Polyphia – Remember That You Will Die

Polyphia - Remember That You Will Die (Rise Records, 28.10.2022)(39:07; Vinyl, CD, Tape, Digital; Rise Records, 28.10.2022)
Mit “Remember That You Will Die” ist Polyphia ein in vielerlei Hinsicht überraschendes Album gelungen, das nicht nur die Prog-Welt entzweien wird, sondern wohl auch die eigene Fan-Basis. Denn obwohl “Remember That You Will Die” ganz unverkennbar nach Polyphia und sonst niemand anderem klingt, ist bei der neuen Scheibe doch vieles anders als man gewöhnt ist. Denn Progression erreichen die vier überaus talentierten Musiker auf ihrer aktuellen Aufnahme hauptsächlich durch Kooperation. Hauptsächlich wie gemerkt, denn der Ausflug in die Welt des Flamencos, wie man ihn auf der ersten Single ‘Playing God’ hören konnte, ist auch für Polyphia musikalische Neulandgewinnung und ließ so manchem Fan im Vorfeld der Albumveröffentlichung den Sabber die Lefzen herunterlaufen.

Doch ist dieses Stück nur eines von vieren, bei welchem Polyphia auf Gastmusiker verzichten. Nicht weiter schlimm für Freunde progressiver Klänge, wenn der Gastmusiker Steve Vai heißt, wie bei der zweiten Single ‘Ego Death’. Ein Schmankerl für Liebhaber verfrickelter Gitarrenmusik, da hier die Genies von gestern und heute mit grundverschiedenen Stilen aufeinandertreffen und gerade aufgrund ihrer Verschiedenheit wunderbar miteinander harmonieren.

Oder bei ‘The Audicity’, für das die US-Amerikaner den kanadischen Pianisten Anomalie aka Nicolas Dupuis gewinnen konnten, der dem funkigen Track durch seine Synthies eine für Polyphia ungewohnt jazzige Note verleiht. Und auch der Opener ‘Genesis’ dürfte kaum einem Progger ein Dorn im Auge sein. Denn im instrumental gehaltenen Track erfährt der typische Polyphia-Sound lediglich eine klangliche Erweiterung durch Bläsersätze des produzenten-Duos Ivan Jackson und Conor Rayne alias Brasstracks. Doch gibt es da auch die Stücke Nummer fünf bis sieben sowie Titel Nummer zehn: Mit ‘ABC’ (feat. Sophia Black), ‘Memento Mori’ (feat. Killstation), ‘Fuck Around And Find Out’ (feat. $not) und ‘Chimera’ (feat. Lil West) verfolgen Polyphia konsequent den Weg weiter, den sie erstmals mit ‘So Strange’, gemeinsam mit Cuco, auf “New Levels New Devils” (2018) bestritten hatten. Nämlich die Kooperation mit Sängerinnen und Sängern, die aus prog- und sogar rockfernen Genres stammen.

Konsequent sind Polyphia, das muss man schon sagen, denn Hip-Hop, Trap, EDM, R&B und Pop sind schon lange wesentlicher Bestandteil des musikalischen Gen-Codes der Texaner. Doch wo bisher immer eine Lead-Gitarre die nicht existenten Vocals in den Stücken Polyphias übernommen hatte, treten nun echte Gesangskünstler auf. Eine Entwicklung, die die Musik Polyphias eine ihrer Trademarks beraubt. So entpuppt sich die Musik Polyphias in diesen Stücken plötzlich als R&B, Trap oder Hip-Hop mit polyphianischer Instrumentierung, wohingegen frühere Stücke des Trios als experimenteller Prog-Metal mit stilfremden Einflüssen durchging. Vor allem das von leicht naivem Bubblegum-Pop geprägte ‘ABC’ sowie das stereotypische Hip-Hop-Stück ‘Fuck Around And Find Out’ dürften für viele Progger Skip-Kandidaten darstellen, wenn nicht sogar Objekte grenzenloser Abscheu und Hasses.

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Doch sollte man sich, objektiv betrachtet, über eine solche Entwicklung aufregen? Darf man natürlich, muss man aber nicht. Selbstverständlich wäre es für Prog-Rocker schöner gewesen, ein ganzes Album mit Stücken wie ‘Playing God’ oder ‘Ego Death’ zu bekommen. Oder eines, das lediglich aus Kooperationen im stile von ‘Bloodbath’ besteht, bei dem Tim Henson, Scott LePage, Clay Gober und Clay Aeschliman, gemeinsam mit Chino Moreno, die Welten von Polyphia und Deftones vereinen.

Doch Polyphia kennen musikalisch nur wenige Grenzen und so ist es nur natürlich, dass sie sich gleichzeitig in verschiedene Richtungen weiterentwickeln. Nicht mit jedem Song zur Freude eines jeden Fans, aber wahrscheinlich mit jedem einzelnen Song zur Freude eines anderen Fans. Denn wer einmal auf einem Konzert der Südstaatler gewesen ist, der weiß, wie bunt sich das Publikum Polyphias zusammensetzt. Und Fans, die Polyphia eben hauptsächlich wegen ihrer poppigen Seite mögen, werden insbesondere an den oben genannten vier Stücken ihre helle Freude haben. Denn erstens ist “Remember That You Will Die” produktionstechnisch Honig für die Ohren, zumindest für diejenigen, die es hip-hop-typisch basslastig mögen. Und zweitens findet man einen spieltechnischen Unterbau wie bei Polyphia in diesen Genres eher selten.

Eine Alternative wäre vielleicht eine Platte im Stile des letzten Albums gewesen, doch drei Stücke dieser Art, nämlich ‘Reverie’, ‘All Falls Apart’ und ‘Neurotic’ reichen auf “Remember That You Will Die” vollkommen aus. Kommentar meiner Frau hierzu:

Ist das die neue Polyphia? Klingt wie immer!

Macht unterm Strich wohl zwölf objektive Punkte und zehn aus der subjektiven Sicht:
Summa Summarum…
Bewertung: 11/15 Punkten (FF 11, MK 8)

Polyphia - Remember That You Will Die (Rise Records, 28.10.2022)
Credit: Travis Shinn

Besetzung:
Tim Henson
Scott LePage
Clay Gober
Clay Aeschliman

Gastmusiker:
Brasstracks
Ivan Jackson
Conor Rayne
Anomalie
Sophia Black
Killstation
$not
Lil West
Chino Moreno
Steve Vai

Diskografie (Studioalben):
“Muse” (2014)
“Renaissance” (2016)
“New Levels New Devils” (2018)
“Remember That You Will Die” (2022)

Tourdaten:
2023
09.05. 🇬🇧 Bristol, SWX
10.05. 🇬🇧 Glasgow, Garage 2
11.05. 🇬🇧 London, The Crown & Sceptre
12.05. 🇬🇧 Birmingham, O2 Institute
13.05. 🇬🇧 Manchester, O2 Ritz
15.05. 🇧🇪 Antwerpen, Trix
16.05. 🇳🇱 Amsterdam, Melkweg
17.05. 🇩🇪 Hamburg, Fabrik
18.05. 🇩🇪 Berlin, Kesselhaus
20.05. 🇩🇪 Leipzig, Felsenkeller
21.05. 🇩🇪 Köln, Essigfabrik
22.05. 🇩🇪 München, Backstage Werk
23.05. 🇮🇹 Mailand/Milan, Alcatraz
24.05. 🇨🇭 Zürich, Komplex
26.05. 🇫🇷 Paris, Bataclan
27.05. 🇫🇷 Paris, Bataclan
29.05. 🇳🇱 Amsterdam, Melkweg
31.05. 🇬🇧 London, O2 Shepherds Bush Empire

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Konzertbericht: 17.02.20, Köln, Gebäude 9

Abbildungen: Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von Starkult zur Verfügung gestellt.