Vernachlässigte Schotten
Biffy Clyro sind schon ein Phänomen auf BetreutesProggen.de. Denn die Schotten haben es bei uns bisher bereits auf drei Konzert-Berichterstattungen gebracht, wohingegen von ihren immerhin acht Studio-Alben soweit noch keines besprochen worden ist. Rezensionen hat es bislang nämlich nur eine gegeben, und das ausgerechnet für das eher untypische Soundtrack-Album “Balance, Not Symmetry” aus dem Jahre 2019. Und so kam es auch zuletzt wieder so wie es kommen musste: das letztjährige Biffy-Clyro-Album “The Myth of the Happily Ever After” wurde in guter Betreuer-Tradition von uns vernachlässigt. Auf der aktuellen Tour dagegen waren wir wieder einmal zugegen. Und zwar dieses Mal in der Escher Rockhal, direkt an der luxemburgischen grenze zu Frankreich gelegen.
De Staat
Bevor das luxemburgische Publikum jedoch in den Genuss des britischen Trios kommen konnte, musste es mit De Staat vorlieb nehmen, einer außerhalb den Niederlanden nur wenig bekannten Alternative-Rock-Band aus Nimwegen, bzw. Nijmegen, wie unsere Nachbarn zu sagen pflegen. Oder sollte man besser sagen “durfte vorlieb nehmen”? Eine Aussage, die letztendlich ausschließlich an subjektiven Geschmacksvorlieben festgemacht werden sollte. Denn die fünfköpfige Band füllte ihre Rolle als Opener vollkommen aus. So verfügten die Gelderländer nämlich über eine Bühnenpräsenz, die manch ein Headliner nicht an den Tag legt. Energiegeladen und mitreißend, was vor allem am charismatischen Frontmann Torre Florim lag, der sein Publikum immer wieder anspornen konnte.
Wohl auch daher waren später einige Stimmen von Zuschauern zu hören, die mit der Musik des Quintetts zwar nur wenig hatten anfangen konnten, vom De-Staat-Auftritt insgesamt jedoch überzeugt waren. Verständlich, denn der Crossover aus Industrial Sounds, Electronica und Wave-Rock wirkte abstoßend und anziehend zugleich. Genau wie die Bühnen-Outfits von Vedran Mircetic (Gitarre), Jop van Summeren (Bass, Gesang), Rocco Bell (Keyboard, Gesang), Tim van Delft (Schlagzeug) sowie des bereits eingangs erwähnten Torre Florim (Gesang, Gitarre). Denn die Herren strahlten eine ganz besondere Art von Ästhetik aus – irgendwo zwischen 80er-Jahre-Mode und zeitgenössischer Haute Couture. Ein avantgardistisches Gesamtkunstwerk sozusagen, das gerade augrund seiner Andersartigkeit zu überzeugen wusste. Und vor allem wegen seiner musikalischen Eingängigkeit.
Ein wahrlich unterhaltsamer Gig, selbst wenn man die Musik von De Staat bisher nicht kannte oder diese (noch) nicht wirklich mochte. Denn still standen bei den Klängen der Niederländer nur die wenigsten. Und spätestens beim letzten und wohl bekanntesten Lied hatte es dann auch den letzten gepackt: ‘Witch Doctor’.
Ich jedenfalls war von der Rhythmik begeistert. Vielleicht auch deswegen, da sie mich an ein englischsprachiges Kinderlied erinnerte, sodass ich mich dabei ertappte, wie ich innerlich die Zeilen “Five little monkeys jumping on the bed…” mitsang. Irgendwie passend.
Biffy Clyro
Trotz der sehr starken Vorstellung von De Staat hatten Biffy Clyro keinerlei Probleme damit, dem Auftritt der Niederländer noch einen oben drauf zu setzten. Was nicht nur daran lag, dass die meisten der Anwesenden wegen den Schotten gekommen waren und deren Songs mittsingen konnten, sondern einfach wegen der makellosen Vorstellung des Trios aus Kilmarnock. Wobei die Band heute Abend, wie bei Konzerten von Biffy Fuckin Clyro üblich, von zwei weiteren Musikern unterstützt wurde. Die zweite Gitarre wurde dabei von keinem Geringeren gezupft als vom früheren Oceansize-Frontmann Mike Vennart, der übrigens schon seit Jahren zum Live-Line-Up Biffy Clyros zählt.
Eingeleitet wurde der Auftritt übrigens von einer Einspielung des 30. Opus’ von Richard Strauss, genauer gesagt dem Hauptthema von “Also sprach Zarathustra”. Ein Werk, das die Stimmung des gespannten Publikums befeuerte und die perfekte Einleitung für ‘DumDum’ war, das Stück, das auch schon auf dem aktuellen Album als Opner fungierte. Und obwohl vielleicht noch nicht allen Zuschauern bekannt, verfehlte das Lied seine Wirkung nicht. Genauso wenig wie die beiden folgenden Stücke ‘A Hunger In Your Haunt’ und ‘Tiny Indoor Fireworks’, die auch aus dem jüngeren Repertoire der Band stammen und allesamt über eingängige Hooklines verfügen. Richtig zum brodeln gelangte die Rockhal dann aber erst, als Biffy Clyro nach diesen neuen Stücken mit einem Tripple aus Bandklassikern nachlegten, nämlich dem treibenden ‘Who’s Got A Match?’ vom 2007er “Puzzle”, dem Radio-Hit ‘Black Chandelier’ vom 2013er “Opposites” sowie der “Only Revolutions”-Single ‘The Golden Rule’.
Zu diesem Zeitpunkt war es übrigens auch schon für Nicht-Band-Kenner im Publikum nachvollziehbar geworden, welche der drei Gestalten auf der Bühne zur Stammbesetzung Biffy Clyros gehörten. Denn im Gegensatz zu ihren Aushilfsmusikern hatten Lead-Sänger und Gitarrist Simon Neil, Bassist James Johnston sowie dessen Bruder und Schlagzeuger Ben bereits obenrum blankgezogen. Überhaupt schien es eine klare Rollenverteilung auf der Bühne gegeben zu haben, denn obwohl sich Mike Vennart im Hintergrund einen abrockte, blieben ihm die vorderen Gefilden der Bühne verwehrt. Schade, denn gerade sein oft post-rockig flirrendes Gitarrenspiel gab den Biffys eine ganz besondere Live-Note.
Verstärkt von zwei Violinistinnen wechselten sich v.a. im Mittelteil immer wieder Songs aus der mittleren Phase der Band, wie das auf Akustikgitarre vorgetragene ‘Machines’, ‘Mountains’ oder ‘Wolves Of Winter’ mit Stücken der beiden letzten Alben ab. Auf Lieder ihrer ersten drei Alben verzichteten Biffy Clyro allerdings komplett – zum Leidwesen der frühen Fans. Doch einen Mangel an musikalischer Vielfalt bedingte dies nicht. Denn obwohl die Refrains der Schotten fast durch die Bank Hymnencharakter haben, gab es eine stilistische Vielfalt zu hören wie sie nur wenige Bands beherrschen. Balladen, Post-Rock und Alternative, progressive Passagen, orchestrale Arrangements und natürlich auch immer wieder eine gesunde Prise Post-Hardcore aus den Anfangstagen. Wer Biffy Clyro bisher nur als Radio-Band kannte, dem dürfte an diesem Abend die Kinnlade runtergefallen sein.
Dass Biffy Clyro aber trotzdem in die Stadien dieser Welt gehören, dass bewiesen sie mit den drei abschließenden Stücken des regulären Sets. Denn für Lieder wie das epische ‘Living Is A Problem Because Everything Dies’, ‘das eingängig-verträumte Bubbles’ und den unvermeidlichen ‘The Captain’ schien die Rockhal irgendwie zu klein geraten.
Zwar konnten Biffy Clyro dieses Niveau nicht nochmals steigern, als sie für die Zugaben zurück auf die Bühne kamen. Doch sie konnten es zumindest für drei weitere Songs halten. Und dass diese Band noch lange nicht ihren Zenith überschritten hat, zeigte sich insbesondere daran, dass das vom jüngsten Album stammende, Noise-Rock-geprägte ‘Cop Syrup’ ohne Weiteres mit einer großartigen Pop-Nummer wie ‘Different People’ mithalten konnte. Ein Song, von dem man schon jetzt sagen kann, dass er einmal ein Live-Klassiker werden wird. Da bedurfte es schon einer Über-Ballade wie dem abschließenden ‘Many Of Horror’, um noch einmal ‘runterzukommen und das Konzert trotzdem auf einem Hoch verlassen zu können.
Fotos: flohfish
Chauffeur & Support: F. Pfitzmann
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Rezension: “Balance, Not Symmetry (Original Motion Picture Soundtrack)” (2019)
Konzertbericht: 09.02.17, Bochum, RuhrCongress
Konzertbericht: 11.11.16, Köln, Lanxess Arena
Konzertbericht: 29.04.16, Münster, MCC Halle Münsterland
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