(47:47; Vinyl, CD, Digital; Bird’s Robe Records/Dunk! Records, 09.09.2022)
Der Wahnsinn hat einen Namen: Michael Mills. Oder besser gesagt: Toehider!
Aufmerksamen Lesern unseres Webzines dürfte dieser Name bereits geläufig sein. Den einen aufgrund des von unserem Sascha in höchsten Tönen gelobten 2020er Albums “I Like It!”, den anderen wegen Mills‘ Gastauftitten auf den letzten Ayreon-Alben. Den meistem Prog-Fans hingegen dürfte Mike Mills bisher weniger aufgefallen sein. Erstens, da man ihn aufrund seiner Namensgleichheit leicht mit dem ehemaligen R.E.M.-Bassisten verwechseln könnte. Zweitens aufgrund des Bandnamens, der so rein gar keine Assoziationen zum Prog Rock weckt. Und drittens, wegen der die Alben zierenden, außergewöhnlichen Cover-Artworks des Zeichners Andrew Saltmarsh. Denn dessen Comic-Stil lässt eher auf eine Formation aus den Bereichen Pop oder Skate-Punk schließen.
Doch gerade die beiden letzten Aspekte verdeutlichen, dass es sich hier um keinen gewöhnlichen Prog-Künstler handelt, sondern um einen, der das Genre nicht ganz so toternst nimmt wie manch ein Kollege. Stattdessen spielt Mills geschickt mit den Clichés, die man landläufig mit der Stilrichtung verbindet. Er treibt diese nicht nur auf die Spitze, sondern überzeichnet sie auch gerne. So waren die öffentlichen ersten Lebenszeichen des Künstlers zehn EPs, die er binnen eines Zeitraum von zehn Monaten veröffentlichte. Und Toehiders letztes Studio-Album verdeutlichte noch einmal, sogar mehr als seine Vorgänger, dass Mills genresprengender Ansatz selbst mit dem Wahnwitz eines Devin Townsend mithalten kann. Sascha bescheigte “I Like It!” musikalische Parallelen zu Queen, ABBA, Dream Theater, Vince DiColas Achtziger-Soundtracks, Ayreon, Achtziger-Zappa, Cheeto’s Magazine, IQ, Devin Townsend, Manowar, Erasure, Toto, Dragonforce, Bonzo Dog Doo Dah Band, Nightwish, Stan Bush, Roxy Music, Jim Steinman, Tenacious D, System Of A Down, Katy Perry, ELO und Split Enz. Und auch “I Have Little To No Memory Of These Memories” ist in seiner Grundausrichtung kaum anders. Zwar klingen hier eher Namen wie Gentle Giant, Ronnie James Dio, Coheed And Cambria, Blind Guardian, Rush oder Saga mit, doch wirkt das Album mindestens genauo hyperaktiv, abwechslungsreich und unvorhersehbar wie sein Vorgänger.
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Nichtsdestotrotz unterscheiden sich die beiden Scheiben in einem Punkt ganz grundlegend, denn wo “I Like It!” eine Sammlung zwölf recht unterschiedlicher Songs war, handelt es sich bei “I Have Little To No Memory Of These Memories” um einen einzigen Longtrack mit einer Spielzeit von 47 Minuten und 47 Sekunden. Zwar sind auch in diesem Song ganz unterschiedliche Passagen ausmachbar, die durchaus auch als eigenständige Songs hätten funktionieren können (vgl. die Single-Auskopplung ‘The Hoarder’), doch Michael Mills hat sich dazu entschieden, diese durch Übergänge zu einem wahren Monstrum zu verbinden. So entstand einer der vielleicht abwechslungsreichsten Longtracks, die man seit langem gehört hat. Man merkt dem Künstler an, dass er das Cliché des Konzeptalbums mit dieser Veröffentlichung auf die Schippe nehmen wollte. Doch wie schon einst bei Jethro Tulls “Thick As A Brick” ist auch hier die Parodie eines Longtracks zum Beispiel dafür geworden, wie ein solcher klingen muss, ohne dass es langweilig wird! Und wenn man noch bedenkt, dass Mills dieses Album komplett in Eigenregie eingespielt hat, dann kommt man aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Respekt!
Bewertung: 12/15 Punkten (FF 12, MK 12)
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Besetzung:
Michael Mills (alle Instrumente)
Diskografie (Studioalben):
“To Hide Her” (2011)
“What Kind Of Creature Am I?” (2014)
“Good” (2017)
“I Like It!” (2020)
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Rezension: To Hide Her (2011/2021)
Rezension: “12 EPs in 12 Months” (2008/2021)
Interview: Im Gespräch mit Michael Mills (2020)
Rezension: “I Like It!” (2020)
Rezension “What Kind Of Creature Am I?” (2014)
Sammelrezension “The First Six” (2009-10), “The Last Six” (2009-10), To Hide Here (2011)
Abbildungen: Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von cmm-online zur Verfügung gestellt.
3 Kommentare
Hab’s mir auf Bandcamp angehört.
Nach ca, 20 Minuten konnte ich das echt nicht mehr ertragen, zu hektisch, zu neurotisch, wie eine Zappa-LP auf 45 U/min abgespielt und das während eines LSD-Horrortrips.
Normalerweise bin ich hart im Nehmen und habe wirklich einige schräge Sachen in meinem Portfolio, aber das war einfach zu viel des Guten.
@Lutz
Dad Wort “hyperaktiv” hatte ich nicht unbegründet in meiner Besprechung verwendet.
Kennst du Devin Townsends letztes Album? Ds finde ich persönlich, in dieser Hinsicht, noch viel schieriger.
Hallo Flofish,
danke für die Antwort!
Zu deiner Frage: ich habe zwar ca. 90 – 95% seiner Editionen, aber die letzte habe ich mir bislang noch nicht angehört, da mir die vorausgegangene Platte schon nicht mehr so gefallen hat.
Mein Favorit unter seinen Scheiben ist immer noch TERRIA, könnte ich mir in Endlosschleife anhören!
Ich habe durchaus auch ein Faible für abgedrehte, auch witzig gemachte Scheiben wie z.B. die Platten von Cheeto’s Magazine oder Mars Volta, aber das hier ging gar nicht…liegt womöglich auch an meinem Alter (bin schon 64).
Liebe Grüße & einen guten Wochenstart für dich und das Team,
Lutz
PS: Bin gespannt auf die kommenden Besprechungen. Gibt es eigentlich etwas Neues von The Ancestry Program? Die sind voll der Brüller!