(44:37; Vinyl, CD, Tape, Digital; Clouds Hill, 16.09.2022)
19 Jahre sind vergangen, seit Omar Rodríguez-López und Cedric Bixler-Zavala, die beiden führenden Köpfe hinter der US-Amerikanischen Post-Hardcore-Band At The Drive-In, als The Mars Volta die Musikwelt überraschten. Denn ihr 2003er Debüt “De-Loused In The Comatorium” hatte mit der Musik seiner Vorgänger-Band nur wenig gemein. Stattdessen ließen die beiden Musiker, unterstützt unter anderem vom RHCPs- Flea ein Konzeptalbum auf die Menschheit los, wie man es zuvor noch nicht gehört hatte. Moderner Progressive Rock, der zwar eindeutig von den Genre-Größen der 70er beeinflusst war, der aber auch Anteile aus Indie, Alternative, Jazz, Psychedelic, Latin Music und auch Post-Harcore aufwies. Ein Album, das unheimlich technisch, überdreht und wahnsinnig klang, doch gleichzeitig immer wieder Raum für eingängige Melodien ließ. Es war die Frischzellenkur, die der Progressive Rock schon seit langem benötigt hatte. Und so ist “De-Loused In The Comatorium” auch heute noch eine Platte, an der für Prog-Fans kein Weg vorbeiführt. Ein moderner Klassiker, der in Besten-Listen noch immer regelmäßig zu den wichtigsten Rock-Alben des dritten Jahrtausends gezählt wird.
Es folgten kreative neun Jahre, bevor 2012 The Mars Voltas letztes von sechs Studio-Alben erschien. Mit “Noctourniquet” entstand ihr bis dahin vielleicht harmlosestes Werk, denn von dem Wahnwitz der früheren Scheiben war hier kaum noch etwas vorhanden. The Mars Volta agierten plötzlich psychedelischer, songorientierter und vorhersehbarer als zuvor. Zudem ließ der Sound der Platte stark zu wünschen übrig und auch das abstrakte Cover-Artwork von Sonny Kay konnte den großen Kunstwerken von Storm Thorgerson und Jeff Jordan kaum das Wasser reichen. So war “Noctourniquet” für viele Fans und Musik-Journalisten eine Enttäuschung gewesen, so dass es für manch einen im Anschluss halbwegs verkraftbar war, als im Januar 2013 die Auflösung der Band bekanntgegeben wurde. Doch Rodríguez-López und Bixler-Zavala konnten auch in den Folgejahren nicht vollkommen die Finger voneinanderlassen, sodass im Jahre 2014 ein gemeinsames Album unter dem Bandnamen Antemasque sowie drei Jahre später, nach siebzehnjährigem Hiatus, mit “In•ter•a•li•a” endlich eine neue At-The-Drive-In-Scheibe erschien. Es war also lediglich eine Frage der Zeit, bis Rodríguez-López und Bixler-Zavala auch The Mars Volta irgendwann reaktivieren würden. So steht nun, nach zehn Jahren Wartezeit, mit “The Mars Volta” endlich ein neues Album der Kult-Truppe mit mexikanisch-puertorikanischen Wurzeln ins Haus.
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Und genau wie vor fast zwei Jahrzehnten dürften Omar und Cedric mit ihrem neuesten Album auch jetzt wieder die Musikwelt verblüffen. Denn “The Mars Volta” ist musikalisch von Werken wie “Frances The Mute” (2005) oder “The Bedlam In Goliath” (2008) mindestens genauso weit entfernt wie “De-Loused In The Comatorium” von At-The-Drive-In. Gleichzeitig sind aber auch Parallelen zu “De-Loused In The Comatorium” auszumachen, denn “The Mars Volta” ist auf seine ganz eigene Art genauso überraschend und einzigartig wie seinerzeit das Erstlingswerk. Nur eben, dass The Mars Volta im Jahre 2022 keinen Modern Crossover Prog mehr spielen, sondern zu komplexer Pop-Musik übergegangen sind. Art Rock, der in seinem Geiste mehr den Solo-Werken von Prince, David Bowie und Peter Gabriel ähnelt als irgendeiner Progressive-Rock-Scheibe der letzten 53 Jahre. Und trotzdem ist “The Mars Volta” als Album eindeutig der gleichnamigen Band und nicht etwas At The Drive-In oder Antemasque zuzuorden. Denn Omar Rodríguez-López und Cedric Bixler-Zavala haben das musikalische Grundgerüst, für das The Mars Volta bisher bekannt war, ganz einfach auf den Kopf gestellt, ohne dessen wesentliche Bestandteile ganz über Bord zu werfen. So waren die großen Melodien und der Pop-Appeal, die so prominent im Fokus des neuen Albums stehen, schon immer auf den Platten der Texaner zu finden, meist aber versteckt gewesen. Das Chaos, die Komplexität und der Wahnsinn hingegen, für welche die Band seit jeher so bekannt war, sind aus dem Fokus gerückt und geben den 14 Pop-Perlen im Radio-Format einen einzigartigen künstlerische Tiefgang.
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Wer sich jetzt des Stückes ‘The Widow’ vom Album “Frances The Mute” entsinnen sollte, der denkt zwar ansatzweise in die richtige Richtung, allerdings bei Weitem nicht weit genug. Denn trotz seiner Radiotauglichkeit war die 2005er Single noch eindeutig als Progressive Rock identifizierbar. Bei den Liedern auf “The Mars Volta” ist dies durch die Bank anders. Und so sollte man sich wirklich aller Erwartungen entledigen, bevor man die Platte zum ersten Mal auflegt. Denn derjenige, der beim Hören mit der Vergangenheit zu vergleichen beginnt, wird sich wohl nur schwerlich auf diesen stilistisch abwechslungsreichen, vielschichtigen und stets leicht zugänglichen Klangkosmos aus karibischen Rhythmen, lateinamerikanischem Flair, Ambient Electronics, Funk, RnB, Free-Jazz, Lounge-Music, Pop und Art Rock einlassen können. Befreit man seine Gedanken jedoch, so vermögen es The Mars Volta, den Hörer mit jedem neuen Durchgang ihres Neulings immer tiefer in den Bann zu ziehen. Denn hinter den oberflächlichen Melodien verstecken sich tiefgründige Songstrukturen in glasklarer Klangqualität.
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So haben The Mars Volta in drektem Vergleich zu Steven Wilson gleich doppelt die Nase vorne. Denn erstens ist “The Mars Volta” im Vergleich zu Porcupine Trees diesjährigem Comeback “Closer/Continuation” das weitaus mutigere und spannendere Album. Vor allem aber ist der siebente Streich der Texaner genau das überragende Pop-Album geworden, das Wilson vermutlich mit “The Future Bites” hatte aufnehmen wollen.
Volle Punktzahl!
Bewertung: 15/15 Punkten (FF 15, KS 10)
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Besetzung:
Omar Rodríguez-López (Guitar)
Cedric Bixler-Zavala (Vocals)
Marcel Rodríguez-López (Keyboards)
Eva Gardner (Bass)
Willy Rodriguez Quiñones (Drums)
Diskografie (Studioalben):
“De-Loused In The Comatorium” (2003)
“Frances The Mute” (2005)
“Amputechture” (2006)
“The Bedlam In Goliath” (2008)
“Octahedron” (2009)
“Noctourniquet” (2012)
“The Mars Volta” (2022)
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Wikipedia
Rezension: “Noctourniquet” (2012)
Rezension: “Octahedron” (2009)
Rezension: “The Bedlam In Goliath” (2007)
Rezension: “Amputechture” (2006)
Rezension: “Scabdates” (2005)
Rezension: “Frances The Mute” (2005)
Rezension: “De-Loused In The Comatorium” (2003)
Abbildungen: Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von KINDA zur Verfügung gestellt.
2 Kommentare
Danke für deine Rezension
Ich glaube, dieses Album wird die “The Mars Volta-Community spalten. Wer “spidermans” Cedric Bixler Zavalas Stimme nicht mag, wird wahrscheinlich eh nicht zur “community” dazu gehören. Aber genau dieses plötzlich, wie irre aufkommene Gekreische fehlt auf dieser sehr eingängigen Platte vollkommen.
Klar, man redet immer so schön von “Weiterentwicklung”, aber die Jungs sind inzwischen Männer geworden und vielleicht auch vernünftiger. War da nicht auch eine massive Heroin-Abhängigkeit bei den Jungs aus El Paso in früheren Zeiten mit im “Spiel”?
Na..ja, ich würde das Album nicht in ein “Latin-Pop”-Schublädchen schieben wollen, wenn ich mir vorstelle, wer sich da schon befinden könnte, wirds mir doch ein bisschen gruselig. Ich habe lange auf das Album gewartet, ich bin nicht entäuscht, aber überrascht…
@Georg
Das ganze Pop-Ding, ob Latin oder was auch immer, das ist eh sowas von relativ. Denn das Album ist noch immer weit davon weg, im Radio gespielt zu werden.