(53:15, Vinyl, CD, Digital, Seventh Records, 30.09.2022)
“Magma mag ma, oder Magma mag ma net…”. An dieser, in Freakshow-Kreisen öfter verkündeten Weisheit ist vielleicht was dran. Denn auch wenn der schriftsetzende Betreuer keine Magmalogie studiert hat und bei der kobaïanischen Sprache immer erst an Chaplins “Der große Diktator” denken muss, ließ sich durchaus anerkennend feststellen, dass die französische Kultband mit zu den besten Live-Acts gehört, die man heutzutage noch live sehen kann. Perfektion ist nicht immer Langeweile, sondern kann – im Fall von Magma – auch sehr viel Spaß machen.
Nun nach knapp 18 Monaten und einer (für uns alle) kräftezehrenden Pandemie, wurde diese “Pause” auch von Magma genutzt, um ein neues Album einzuspielen. Auffällig beim ersten Blick ins Booklet, ist, dass nur knapp die Hälfte der sechs Songs (ohne Bonus-Songs) von Mastermind Christian Vander stammt. Sänger Hervé Aknin und die beiden Pianisten Thierry Eliez und Simon Goubert teilen sich die restlichen Credits. Der andere Teil des Line-ups besteht aus der Vokalfraktion Stella Vander, die diesmal auch als Produzentin des Albums tätig war, Isabelle Feuillebois, Sylvie Fisichella, Carolin Indjein und Laura Guarrato. Die Saitenfraktion besteht aus Gitarrist Rudy Blas und Bassist Jimmy Top, Sohn von Jannick Top. Über allem thront natürlich Vander, der auch aktuell immer noch zu den beeindruckendsten Jazz-Schlagzeugern gehört, aber zum Einstieg bei ‘Hakëhn Deis’ einen recht ungewöhnlichen Rhythmus wählt.
Überhaupt macht “Kartëhl”, nach dem mit “Zess” eine Aufarbeitung alter Ideen und eine Art Zyklus von Vander abgeschlossen wurde, mit deutlich kürzeren Songs einen frischen Eindruck und vermittelt eine gewissen Bandatmosphäre, mit der man nicht unbedingt gerechnet hätte. Und obwohl die Songs kürzer sind, ist das Album mit 54 Minuten deutlich länger ausgefallen als üblich. Das markendienliche Hypnotische, die tranceartige, massiv energiegeladene Rhythmik, die sich auf anderen Alben minutenlang ausdehnen kann, wird hier ein wenig zurück gefahren, was durchaus spannend ist. Möglicherweise werden eingefleischte Magma-Jünger zu Anfang etwas verwirrt sein, gerade auch bei so seltsamen Stücken wie ‘Wiï Mëlëhn Tü’. Recht schnell jedoch nimmt den Hörer dieser typische, faszinierende Sog wieder auf, den nur Magma erzeugen können.
“Kartëhl” ist zwar schon irgendwie ein klassisches Magma-Album, lässt aber scheinbar die 70er ein Stück hinter sich und überrascht stattdessen mit vielen neuen und auch ungewöhnlichen Ideen. Wie die Magmalogie-Studenten damit umgehen werden, bleibt abzuwarten.
Bewertung: 12/15 Punkten (MBü 12, KS 11)
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Abbildungen: Seventh Records
Ein Kommentar
Nun ja, ich bin seit über 45 Jahren ein Magmalogie-Student. Ich kann dieser Einordnung nur in Teilen zustimmen, bei der Benotung wäre ich etwas strenger. Auffallend ist das zurückgenommene Bassspiel, das weniger treibend ist. Die Arrangement-Gewichtung ist leicht verändert, das 70er-Jahre-Gefühl ist durch den Verzicht auf polyphone Gesangsstrecken (z.B. Irena balladina) stärker da als bei früheren Einspielungen. Trotzdem man sich bei Walomehndem warrei wieder an Kohntakosz und 1001 °Centigrades (Magma 2) erinnert, dann wieder an Üdü Wüdü und Féliceté thösz, fehlt mir insgesamt die inhaltliche Geschlossenheit, die frühere Scheiben ausgezeichnet hat.
Ein insgesamt eklektizistisches Magma-Album, das mit Dehnde sogar Anleihen an David Bowie nimmt, dem in seinen einzelnen Stücken aber die überraschenden Wendungen fehlen, die Tonart-, Tongeschlecht-, Takt- und Rhythmuswechsel, die Magma sonst auszeichneten. Die einzelnen Stücke sind nett zum Anhören, brennen sich aber nicht wie früher ein und lassen den Hörer etwas rätselnd zurück. Die typische Genialität des magmaischen Wagner-Akkords, der sich in musikalische Langzeitgedächtnis einprägt, fehlt. Von mir daher – leider – nur 10 gute Punkte.