Big Big Train, Dim Gray, 05.09.2022, Zoetermeer (NL), Boerderij

Party till the cows come home to the Barn (or rather the Boerderij)


Big Big Train… Als sie durch einen tragischen Unfall ihren charismatischen, allseits beliebten Frontmann David Longdon verloren, sah es kurz nach “Es fährt ein Zug nach Nirgendwo” aus. Doch die Band respektierte den offensichtlich tradierten Wunsch Davids und machte ohne ihn weiter. Ersatz wurde im ehemaligen PFM-Sänger Alberto Bravin gefunden, weitere Verstärkung beim Dim-Gray-Keyboarder und Sänger Oskar Holldorf und so rollte die Lok wieder an…

Aufgrund eines weggefallenen Festivalauftritts war allerdings leider von der geplanten Europatournee nur ein einziger Auftritt auf dem Kontinent übriggeblieben, der in der großartigen Boerderij im niederländischen Zoetermeer. Da kann man dann auch mal 300 Kilometer für “nur” ein Konzert fahren. Zumal klar war, dass viele liebe alte Bekannte dort anzutreffen sein würden.

Die hunderte Meter lange Schlange am Einlass deutete an, dass der – wortwörtlich – einzigartige Gig gut besucht sein würde. Tatsächlich hat der Autor den Club noch nie so gepackt voll erlebt – nicht bei IQ, nicht bei Eddie Jobson.

Dim Gray

Die Vorgruppe hatten viele der Besucher dabei überhaupt nicht auf dem Zettel, wie mehrere kleine “Publikumsbefragungen” im Getümmel ergaben. Dennoch kamen die sympathischen Norweger sensationell gut an. Das ließ sich außer am tosenden Applaus auch daran ablesen, wie der Merch-Stand nach den letzten Tönen überrannt wurde, um vielleicht doch noch (blitzschnell ausverkaufte) Pretiosen wie die aktuelle CD “Firmament” zu ergattern.

Setlist.fm ist ausnahmsweise noch etwas knauserig mit Informationen, bei ‘Dreamer’s Disease’ mit seinem schleppenden Rhythmus und besonders herrlichem Refrain und bei ‘Black Sun’ ist man sich immerhin sicher. Der Autor außerdem bei ‘The Wave We Thought We’d Ride Forever’ und dem wunderschönen ‘Avalon | The Tide’. Apropos schön: Diese Band hat den unverschämten Luxus, zwei exzellente Sänger am Start zu haben: Keyboarder Oskar Holldorff mit seiner klaren, hohen “Engelsstimme” und Gitarrist Håkon Høiberg, dessen Stimme ganz leicht heiser und ungemein “soulfull” klingt. Und wenn beide zweistimmig unterwegs sind, wird es einfach berückend…

Insgesamt ergab sich ein lustiger Kontrast: live ist die ohnehin ja episch-schwelgerische Musik sogar noch trauriger. Die sympathischen Musiker selbst aber freuten sich wie junge Hunde über die Show, das zahlreiche (und sie feiernde) Publikum. Und über die Tatsache, dass einige der Songs hier tatsächlich ihre Bühnentaufe erlebten, wie Oskar uns anvertraute. In Summe 45 Minuten purer Schönheit.

Wer die Musik von Dim Gray bislang nicht kennt, kann sie sich vielleicht als eine Mischung aus Washington und Soup vorstellen. Und wer die Gelegenheit bekommt, sie live zu erleben, der sollte das unbedingt tun. Jammerschade um die ausgefallene Europa-Tour!

Die nur 30 Minuten währende Umbaupause wurde durch folgenden Dreisprung multipel versüßt: A) einem dramatischen Gewitter und Wolkenbruch direkt über dem Club (Petrus hat den Auftritt also gerade so wie wir beklatscht. Und auch nicht zu knapp geheult). B) Die Entdeckung, dass das Café der Boerderij gleich mehrere Trappistenbiere vom Fass ausschenkt, C) ausgesprochen nette Gespräche.

Big Big Train

Für das Folgende hätte Oskar wie erwähnt eigentlich direkt auf der Bühne bleiben können. Außer ihm erschienen nun neben dem bewährten Lokführer Gregory Spawton (Bass) auch der von Beardfish oder Gungfly bekannte und beliebte Rikard Sjöblom (Gitarre, Keyboards), Dave Foster (Gitarre), Violinistin und Sängerin Clare Lindley, Nick D’Virgilio sowie last but not least eine dreiköpfige Bläsersektion unter Leitung von Dave Desmond. Und natürlich “der Neue”, auf den die Fans natürlich ganz besonders gespannt waren. Selbstverständlich ist das Alles wie immer Geschmackssache – und ein David Longdon auch simpel nicht zu ersetzen – von niemand. Aber ein großes Gefühl für den riesigen Verlust blieb spürbar – und ehrlich gesagt auch ein kleiner Stich von so etwas wie Enttäuschung beim Erleben von ausgesprochenen BBT-Lieblingsliedern.

Schon der Aufmacher ‘Master James of St. George’ geriet überraschend “heavy”, falls man von so etwas bei den Briten überhaupt sprechen kann. ‘Made From Sunshine’ profitierte enorm von den im Hintergrund platzierten fetten Blechbläsern. Für ‘The First Rebreather’ wechselte Bravin von der (kaum hörbaren) akustischen Gitarre zum Keyboard, ohne dass dies den Sound spürbar verändert hätte.

Das weiterhin enorm nach Genesis klingende ‘Atlantic Cable’ brachte ein sagenhaftes Gitarren-Solo von Rikard mit sich und ‘The Florentine’ ein Gesangsduett mit “NDV”, der dafür als “Our Visionary, our Painter!” angesagt wurde.

‘Telling The Bees’ erklang “unplugged” und mit Sologesang von Nick, ‘Hedgerow’ mit eindrucksvollen Geigen-Soli von Clare. ‘A Mead Hall In Winter’ (mit Drum-Solo) markierte schon das nahende Konzert-Ende, als Zugabe wurde ‘East Coast Racer’ gegeben.

PS: Das ist Jammern auf Nanga-Parbat-Niveau, schon klar. Aber BBT haben drei bis vier Menschen auf der Bühne, die m. E. stärkere Stimmen haben, als ihr neuer, etwas nerdig wirkender und irritierenderweise das Publikum zum Mitklatschen auffordernde Lead Singer: Clare Lindley (und wenn die singt, klingt es mehr nach David Longdon als beim Italiener), Rikard Sjöblom, Nick D’Virgilio und vor allem natürlich den umwerfenden Oskar Holldorff. Warum lassen sie die nicht wenigstens manchmal bzw. etwas öfter ‘ran?

PPS: Vielen Dank für die exzellenten Live-Fotos an Bert Treep!