Herzberg Festival 2022 – All together, NOW!
Eine nicht mehr grüne Grünfläche vor einer mit Liebe zum Detail bunt geschmückten Bühne. Ich bin in der besten Gesellschaft, die ich mir denken kann und sitze mit einem erfrischenden Kaltgetränk auf der Wiese, Kamera-Equipment kurz weggepackt daneben. Ein paar Meter vor mir zaubern Sunhair und Ax Genrich (Ex-Guru Guru) auf der Bühne Soundgemälde für das Publikum und ich nehme einen tiefen Schluck:
2021? Moment, was steht auf dem Becher? Aber da war doch gar kein… Ist es wirklich über tausend Tage her seit dem letzten Herzberg Festival 2019 (die „Burg“ nun nicht mehr im Namen, sie leuchtet aber weiterhin bunt angestrahlt vom Hügel herunter)?
In was für einer Zeit wir leben! In diesem euphorischen Moment immerhin sind die vergangenen drei Jahre wie Krümel. „Tausend Jahre sind ein Tag“, wissen wir ja noch von der klugen Kinderserie „Es war einmal…der Mensch“. Aber was für eine Durststrecke es war!
„All together, NOW!“, mit ‘Now’ in Großbuchstaben und Ausrufezeichen, so das diesjährige Motto. Mehr als 10.000 Menschen wurden wieder am letzten Juli-Wochenende in der windigen Rhön zu Deutschlands größtem hippiesken Musikfestival erwartet. Und sie kamen wieder! Friedliebende Menschen, künstlerisch aktive Menschen, Menschen, die sich wiedersehen nach langer Zeit. Alt und jung, von nah und fern. Menschen, die aus dem Alltag ausbrechen und Menschen mit richtig alternativem Lebensstil. Doch zu diesen später mehr.
Am Presse- und Fußgängereingang ist schon Mitveranstalter Gunther Lorz von einem Trio des Regionalfernsehens in Beschlag genommen, im Hintergrund Soundcheck-Klänge von Guru Guru, dem ersten Act auf der Hauptbühne. Es sollen rekordverdächtig viele Menschen den Fußgängereingang passiert haben, wird es später heißen. Sicher haben einige das 9-Euro-Ticket und den eigens für die Festivaltage installierten Shuttlebus genommen. Wann, wenn nicht jetzt! Was für Freiheiten das schafft!
Für die Motorisierten wartet am anderen Ende des Geländes die Schlange:
Doch auch das Warten im Wald hat rituellen Charakter. Solange ich rechtzeitig zum Elektrolurch an der Bühne stehen kann, ist alles gut. Und in der Tat:
Chapeau für 81 Jahre und kein bisschen leise sein an Mani Neumeier und Guru Guru an dieser Stelle!
Im Anschluss: Lazuli aus Frankreich beginnen all ihre Auftritte mit dem Ablesen eines Ansagetextes in charmantem Deutsch und enden all ihre Auftritte mit einem neunhändigen Marimbasolo („Invisible Touch“ von Genesis wurde diesmal interpretiert). Dazwischen liegen 90 Minuten pure Lebensfreude, die so gut auf dieses freundliche Fest passen!
Überhaupt, Freundlichkeit. Für ein paar Tage sind die Geschehnisse der Welt nicht aus der Welt, das leider nicht, aber doch so gezähmt, dass man sich danach wieder mit frischem Elan daran abarbeiten kann. Und für die Restaggression, die von der Welt außerhalb des Fests noch übrig ist, gibt es die „Schurken schlagen“-Aktion der Partei. Vulgo Dosenwerfen. Tat gut!
In solch unsicheren Zeiten ein Fest dieser Größe und Wohlorganisiertheit zu veranstalten, dabei Musikschaffende von ‘ganz Groß im Rock Business’ (New Model Army, Blues Pills) bis ‘absolut Geheimtipp’ zu engagieren, das zu loben gehen mir langsam die Superlative aus!
Jedes dieser Bilder hier ist also als eine Hommage an die jeweilige Band/die Person zu verstehen:
Heavy Feather aus Stockholm:
Noch ein Geheimtipp – Bloodflowers aus Düsseldorf:
Endlich live in Deutschland, Oiapok:
Als “Camembert” beeindruckten die Gong-Afficionados vor einigen Jahren das Freakshow Artrock Festival-Publikum in Würzburg. Erste von Charly Heidenreich 2022 auf den Herzberg geholte Band (neben Killing Spree und Sex Magick Wizards).
Ein herrlich psychedelischer und gleichzeitig beatlastiger Trip durch den Dschungel mit Takeshi’s Cashew:
Acua:
Ein Regenguss für die Natur, im Hintergrund Neurotic Parlo:
Klaus der Geiger, die Legende:
Live-Geschehen abseits der großen Bühnen, hier Lara von der Baobab Band:
Wowo Wortmann sagt die größte Formation des Festes an – The Dorf:
Gunther Lorz heißt Space Debris willkommen:
Ax & Sunhair:
Über 50 Jahre Epitaph!:
Kadavar:
Yvonne Mwale aus Sambia, schon zum zweiten Mal dabei:
Djazia Satour aus Algerien:
Killing Spree, das französische Duo Infernale:
Grombira aus den Wüstenweiten Würzburgs:
Elmar Feuerstein kündigt die kurzfristig eingesprungenen Blues Pills an:
Sex Magick Wizards verzaubern den letzten Abend auf der Freak Stage:
Und dann war da noch mein eingänglicher Teaser zu den alternativen Lebensstilen. Es gibt dazu kein Bild und ich fragte auch nicht nach seinem Namen; er täte auch nichts zur Sache:
Seit Jahren fallen mir im Herzberg-Publikum vereinzelt junge Männer (und, wenn auch weniger, Frauen) in Gesellenkleidung auf: weite schwarze Schlaghosen, weiße fluffige Hemden, breite Hüte, wie Boten aus einer anderen Zeit. Am Frühstückstisch meiner Lieblings-“Bar jeder Sinne“ endlich mal den Mut gefasst, einen solchen anzusprechen. Nicht Kleidung und auch nicht Tracht, sondern Kluft, sagte er uns. Tatsächlich ist er ein Geselle auf der Walz. Drei Jahre und einen Tag ist er ohne die neuzeitlichen Annehmlichkeiten des Alltags (here’s looking at you, smart phone) unterwegs, um bei verschiedenen Meistern zu lernen und arbeiten. In der Wandertasche eine wasserabweisende Landkarte mit eingezeichnetem Bannkreis um seinen Heimatort, den er in dieser Zeit nicht betreten darf. Immer auf die Mithilfe der Umgebung angewiesen.
Chapeau, alternativer wird’s nicht!
Service-Bild am Ende:
Der Termin für das nächstjährige Herzberg Festival steht auf diesem semitransparenten Banner, im Hintergrund lassen sich Kadavar erahnen:
Bis dahin!
Text und Live-Fotos: Monika Baus, ArtRockPics
