Toundra, Stromkasten, 06.06.22, Trier, Lucky’s Luke
Craft Beer & Wohnzimmeratmosphäre
Wer in den 90ern im Raum Trier aufgewachsen ist und auf alternative Klänge stand, der wird an Lucky’s Luke, direkt an der Römerbrücke gelegen, wohl kaum vorbeigekommen sein. Ein kleiner gemütlicher Club oder vielmehr eine Diskothek, wie man damals noch sagte, in der regelmäßig der Bär steppte und in der man Musik abseits des Mainstreams zu hören bekam. Manchmal auch live. Dass die Luke auch heute noch existiert, grenzt fast schon an ein Wunder, da praktisch alle anderen damaligen Institutionen für Rockmusik im Raum Trier mittlerweile der Vergangenheit angehören. Und so war es erfreulich für einen nach 20 Jahren an die Mosel zurückgekehrten Redakteur festzustellen, dass Lucky’s Luke nicht nur noch immer existiert, sondern dass diese mittlerweile auch Raum für neue alternative Klänge wie Post Rock geschaffen hatte. Denn Anfang Juni 2022 luden Luck’y Luke und der Trierer Vinyl4Charity e.V. zum Konzert der spanischen Post-Rock-Band Toundra an die Mosel.
Dass dieser Abend etwas Besonderes werden würde, konnte man im Vorfeld schon anhand zwei Faktoren erahnen. Erstens stellte die Luke eine Location dar, deren Fassungsvermögen weit unter dem Durchschnitt lag, der für die Spanier eigentlich Standard ist. Und zweitens war von der Merziger Hobby-Brauerei The Beer Aquarium für diesen Abend ein ganz spezielles Bier in limitierter Auflage gebraut worden: Das “Thunder On The Toundra IPA”.
Dass dann selbst die überschauliche Luke mit einer noch besser überschaubaren Anzahl von Zuschauern vorliebnehmen musste, das hätte man als Enttäuschung wahrnehmen können. So jedoch nicht die vier Herren von Toundra. Ganz im Gegenteil. So schienen die Bandmitglieder schon im Vorfeld des Konzertes die Intimität des Indie-Clubs zu genießen, denn sie mischten sich in der Kneipe, die den Vorraum der Bühne bildete, unter die für sie gekommenen Zuschauer, ließen sich mit diesen auf den ein oder anderen Plausch ein und genossen gemeinsam das für diesen Abend extra gebraute Ale. Bevor die Gäste ihre Lieblinge dann aber auch aus etwas größerer Entfernung auf der Bühne betrachten durften, hieß es dann aber noch ein wenig Geduld aufzubringen. Denn auch eine Vorband war für diesen Abend engagiert worden.
Stromkasten
Dass Stromkasten den wenigsten Anwesenden bekannt gewesen waren, das hatte man schnell ausmachen können. Denn egal, wen man mit dem Namen des Quartetts auch konfrontierte, gab es selten mehr als ein Schulterzucken zurück. Dass Stromkasten jedoch aus Köln stammten, das war relativ schnell in Erfahrung gebracht. Denn niemand hinderte ein daran, die Bandmitglieder hinter ihrem Merch-Stand zu fragen.
Dass die Rheinländer selbst in der heimatlichen Post- und Instrumental-Prog-Rock-Szene nicht über einen höheren Bekanntheitsgrad verfügen, das kann einen nach dem Auftritt an diesem Abend schon ein wenig verwundern. So hätte ein Opener für Toundra kaum passender gewählt werden können. Treibender Post Rock der instrumentalen Art mit atmosphärisch dichten Soundscapes und einer Klang-Ästhetik mit Anleihen aus Stoner- und Desert-Rock. Ein Auftritt, der zwar ohne große musikalische Überraschungen vonstattenging, mit dem die Kölner aber wohl neue Fans für sich gewonnen haben dürften.
Denn Stromkasten wurden ihrer Rolle als Einheitzer voll und ganz gerecht. So feuerten sie das Publikum der Luke genau so an, dass es für den Auftritt des Headliners exakt die richtige Temperatur erreicht hatte.
Bewertung Stromkasten: 10/15 Punkten
Toundra
So hatten Toundra beim vorgewärmten Publikum also leichtes Spiel, als sie nach einer kurzen Pause das dreieckige, in einer Ecke gelegene Podium von Lucky’s Luke stürmten. Eine Bühne übrigens, die ein ganz besonderes Feature hat, denn die beiden begrenzten Rückwände des Konzertsaales sind vollverspiegelt. So wirkte die Auftrittsfläche der Band für die Zuschauer zwar größer, als sie eigentlich war, doch den Spaniern konnte man schnell anmerken, dass sie eigentlich mehr Platz gewöhnt waren. Ihrer Stimmung tat dies jedoch keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil, denn schon von Beginn an strahlen alle vier Bandmitglieder nicht nur über alle Ohren, sondern auch eine immense Energie und Spielfreude aus.
Musikalisch servierten die Gitarristen Esteban Girón und David ‘Macón’ López sowie die Rhythmusfraktion um Álex Pérez (Schlagzeug) und Alberto Tocados (Bassist) dabei einen schönen repräsentativen Querschnitt durch die meisten Phasen der eigenen Bandgeschichte. Zwar wurden sowohl das 2008er Debütalbum “I” als auch das 2020er Konzeptalbum “Das Cabinet des Dr. Caligari” an diesem Abend nicht bedient, doch gab es neben Stücken des aktuellen Werkes “Hex” auch Lieder aller übrigen vier Studio-Alben zu hören. Und egal aus welcher Schaffensphase die Lieder auch stammten, schon mit den ersten vier Stücken verpasste das Quartett dem Publikum volle Post-Rock-Breitseite. Hochenergetisch und äußerst kontagiös.
Zwar hatte es zu diesem Zeitpunkt mit ‘Watt’ schon eines neues Stück auf die Ohren gegeben, doch Liebhaber des von “Hex” freuten sich wohl hauptsächlich auf eine Live-Aufführung des vierteiligen ‘El Odio’. Und diese wurde natürlich auch geboten und zwar genau wie es sich gehören sollte, in geschlossener Form. Klanglich kamen die Fans dabei übrigens in einen ganz besonderen Genuss. Denn anders als man es von Konzerten gewohnt ist, verzichteten Toundra an diesem Abend auf eine PA und beschallten die Zuschauer stattdessen direkt über ihre Amps. Das Ergebnis: ein ungehobelter Klang der einen right in the face traf, bei dem aber gleichzeitig die Balance zwischen Höhen und Tiefen ausgewogen war und bei dem man alle Instrumente gut wahrnehmen konnte. Effektiver als manch schwere Gerät, das sonst wo aufgefahren wird.
Hatten sich die vier Madrilenen bis zu diesem Zeitpunkt noch irgendwie mit dem begrenzten Platzangebot arrangieren können, versuchten sie mit dem Beginn von ‘Magreb’ den Zuschauerraum für sich in Beschlag zu nehmen. Beschränkten sich die Gitarristen Esteban und Macón anfangs noch auf vereinzelte Ausflüge ins Publikum, wurden zum Beginn von ‘Bizancio’ dann auch die Pedals und Effektgeräte in den Zuschauerraum verlegt. Spätestens bei den Zugaben hatte sich die Grenze zwischen Band und Publikum dann vollends aufgelöst. Toundra spielten immer öfter inmitten der Zuschauer, während Teile des Publikums den Musikanten von der eigentlich ihnen gehörenden Bühne zuschauten.
‘Cobra’ und ‘Cielo Negro’ zündeten somit auf eine Art und Weise, wie man es bisher nicht kannte, denn der Mix aus Energie und Ausgelassenheit erinnerte stark an die Vibes eines Punk-Rock-Konzertes, während die Intimität des Abends sowie die Nähe zur Band einen an ein Wohnzimmer-Konzert denken ließen. Anderthalb unvergessbare Stunden in einem Ambiente, in welchem man Toundra wahrscheinlich so schnell nicht mehr wird antreffen können.
Bewertung Toundra: 14/15 Punkten
Gesamtwertung: 13/15 Punkten
Fotos: flohfish
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Wikipedia
Rezension: “Hex” (2022)
Rezension: “Das Cabinet des Dr. Caligari” (2020)
Rezension: “Vortex” (2018)
Konzertbericht: 30.04.17, MTC, Köln
Rezension: “IV” (2015)
Festivalbericht: 06.10.13, Baarlo (NL), Sjiwa, Prog Power Europe 2013
Weitere Surftips:
Veranstalter: Vinyl4Charity e.V.
Venue: Lucky’s Luke
Bier: The Beer Aquarium