Journey – Freedom
(73:04, Vinyl, CD, Digital, Frontiers Records Europe, 2022)
Ja, zugegeben, hinter dem Begriff AOR tummeln sich massig viele Bands mit sehr überflüssigen Veröffentlichungen. Das meiste davon klingt nach billiger Massenware und bewegt sich nahe am Schlagerniveau. Aber der Adult Oriented Rock, der in den 80ern seine Hochphase erlebt hat, brachte auch Toto, Styx, Asia, Heart und eben Journey hervor. Eine Band, die mittlerweile den Legendenstatus inne hat und vielleicht die größten Meisterwerke des Melodic Rocks, wie man ihn besser bezeichnen sollte, erschaffen hat. Musikalisch immer auf höchstem Niveau und mit einem bemerkenswerten Fingerspitzengefühl für Hits, so dass jeder Vergleich mit den billigen Eigenschaften des AOR hinfällig ist.
Elf Jahre sind nach dem letzten Album “Eclipse” vergangen, dem zweiten Album mit Sänger Arnel Pineda, dessen Geschichte, wie er zum Sänger von Journey wurde, bereits einige Filmemacher zu inspirieren scheint. In diesen elf Jahren war es bei den anderen Mitgliedern der Band eher unruhig. Zum einen musste man sich von Deen Castronovo trennen, der sich bezüglich häuslicher Gewalt zu verantworten hatte, zum anderen musste eine feindliche Übernahme von Ex-Mitgliedern abgewandt werden, die den Namen Journey für sich beanspruchen wollten. Wen dieses unrühmliche Schauspiel interessieren sollte, kann dies alles bis aufs kleinste Detail im Internet nachlesen.
Am Ende konnten Neal Schon und Jonathan Cain als Journey weiter machen, brauchten aber einen neuen Bassisten und einen neuen Schlagzeuger. Mit Randy Jackson, der schon auf dem 86er Album “Raised on Radio” am Viersaiter zu hören war, fand man schnell fähigen Ersatz. Hinter dem Schlagzeug bot man Narada Michael Walden den Hocker an, der u.a. bei Mahavishnu Orchestra, Jeff Beck, Allan Holdsworth, Weather Report, John McLaughlin und Robert Fripp schon die Felle verdroschen hat. Deen Castronovo bekam übrigens eine zweite Chance. Schon auf dem Album ist er mit Background Vocals zu hören und nach den Aufnahmen gab die Band bekannt, dass er bald auch wieder Schlagzeug spielen dürfe.
Aber nun endlich zur aktuellen Musik. “Freedom” bietet satte 73 Minuten Laufzeit und stolze 15 Songs. Für Prog-Bands gehören solche Ausmaße zur Grundausstattung, für Journey ist dies allerdings schon außergewöhnlich. Das erste Highlight lässt trotzdem nicht lange auf sich warten, denn mit ‘Don’t Give Up On Us’ sorgen klare Verweise auf den Übersong ‘Separate Ways’ vom Überalbum “Frontiers” für erste Erregungszustände und leichtes Frohlocken im Melodic-Rock-Zentrum des angestaubten Fan-Hirns. Auch die erste Ballade ‘Still Believe In Love’ überzeugt. Klar, Balladen und Journey gehören ebenso zusammen, wie damals ein Kuschelrock-Sampler, der Rezensent und seine erste (ernsthafte) Flamme Uschi (Name wurde von der Redaktion geändert).
Recht schnell haut die Band das nächste Highlight mit ‘You Got The Best Of Me’ raus, wovon Neal Schon behauptet, dass ihm hierbei eine Art punkige Interpretation von ‘Any Way You Want It’ vorschwebte. Nun würde man die Schon‘sche Interpretation von Punk sicherlich gerne hinterfragen wollen, aber nichtsdestotrotz ist dieser Song ein mitreißendes Energiebündel. ‘Live To Love Again’ markiert die nächste Candlelight-Dinner-füllende Ballade, die nur Journey mit dieser speziellen Energie und diesem mitreißenden Spannungsaufbau hinbekommen.
Die allseits bekannte Vorab-Single ‘The Way We Used To Be’ hingegen gestaltet sich dann leider etwas zäher und so bleibt es bis zur nächsten Ballade ‘After Glow’, die mit einem tollen Gitarrensolo und – auch hier wieder – mit einem famosen Spannungsaufbau in der zweiten Hälfte überzeugt. Die folgenden Songs offenbaren bei allen Balladen trotzdem eine überraschend rockigere Note, die man so von Journey selten zu hören bekommt. ‘All Day and All Night’ zum Beispiel arbeitet sich mit einem markanten Bass und deutlichem Groove ins Ohr. Und klingt dabei weder glatt noch überproduziert.
Mit ‘Don’t Go’ und ‘United We Stand’ bewegt sich die Band dann wieder zurück in die typische 80er-Phase, ohne dabei irgendwie peinlich zu klingen. Ein Fest im Zeichen der Nostalgie.
Das letzte Album mit Steve Perry “Trial By Fire” erschien 1996 und ist seitdem, nach Meinung des Autors, auch immer noch unübertroffen. Der letzte Song auf “Freedom” bringt diese These allerdings doch ein wenig ins Wanken. ‘Beautiful As You Are’ ist wieder eine Ballade, allerdings eine sehr gute, nein, eine hervorragende. Man wischt sich ein Freudentränchen weg und am Ende des Albums ist man durchaus bereit, als Fazit zu behaupten, dass “Freedom” möglicherweise das beste Album nach “Trial By Fire” sein könnte. Vielleicht sogar besser, wäre es nicht so lang und hätte es nicht in der Mitte einen kleinen Stimmungsdurchhänger. Wären in guten 45 Minuten alle Highlights von “Freedom” enthalten, gäbe es ohne Zweifel beinahe die Höchstnote.
Nach elf Jahren melden sich Journey mit einem kraftvollen, frischen Album in Überlänge zurück. Mindestens die Hälfte der Songs sind Hits und es ist bemerkenswert, dass die Jungs es immer noch drauf haben. Es ist sehr erfreulich, die Band nach all den Jahren immer noch so gut in Form zu sehen. Und glaubt man den Aussagen von Neal Schon, hat man im gesetzten Alter auch für die Zukunft noch lange nicht genug.
Bewertung: 13/15 Punkten
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Abbildungen: Frontiers Records Europe