Not All Wonders Have Been Lost
Zweimal waren Alex Henry Foster und die ihn begleitenden The Long Shadows in den vergangenen Jahren bereits in Deutschland als Support Act auf Tournee gewesen und zweimal hatten die Kanadier eine Vorstellung der Extraklasse geboten. Zumindest auf den vom Autor dieser Zeilen betreuten Konzerten. Bei der ersten Begegnung, im Kölner Stadtgarten, im Februar 2020, hatten Foster & Co. die Post Hardcore Progger von …And You Will Know Us By The Trail Of Dead regelrecht an die Wand gespielt und einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Beim zweiten Rendez-vous, im Herbst 2021, im Mainzer Kulturzenrum, eröffnet der Sechser aus Montreal dann für The Pineapple Thief, zu deren professioneller Herangehensweise sie ein ungestümes Kontrastprogram boten, von dem viele Besucher bis heute schwärmen. Dass Foster ein Künstler ist, der die Nähe zu seinen Fans nicht nur liebt, sondern regelrecht sucht, konnte man im Anschluss an die Konzerte erleben, wo er sich als sympathischer und offenherziger Gesprächspartner präsentierte, der sich ausgiebig Zeit für jeden einzelnen Fan nahm. Schon in Köln, im Frühjahr 2020, hatte Alex Henry Foster auf seine anstehende Headliner-Tour hingewiesen, mit dem Hinweis, dass diese Shows noch einmal etwas ganz Besonderes werden würden. Große Versprechungen! Aber es sollte letztendlich, wegen mehrfacher Verschiebungen, mehr als zwei Jahre, bis überprüft werden konnte, was denn dahintersteckte.
Und so war es im Juni 2022 dann soweit: Alex Henry Foster & The Long Shadows kamen zurück nach Deutschland. Endlich als Headliner. In den Wochen vor dem Konzert waren die Musiker in den einschlägigen Online-Foren in aller Munde gewesen und auch die dt. Musikmagazine hatten die Auftritte der Nord-Amerikaner ordentlich gepusht. Ob es letztendlich an der etwas zu unnachgiebigen Propaganda gelegen haben mag oder vielleicht doch an der niemlas enden wollenden Pandemielage. Der eher beschauliche Kölner Yard Club war an diesem Abend, trotz aller Vorschusslorbeeren, zu maximal zwei Dritteln gefüllt. Ob dies als gutes oder schlechtes Omen für diesen Abend zu werten sein sollte, das blieb anzuwarten.
Sef Lemelin
Bevor es jedoch mit Alex Henry Foster losgehen sollte, überlies dieser seinem Bandkollegen Sef Lemelin für einen Kurzauftritt die Bühne. Ein Auftitt, der vielleicht am besten mit dem Wort Effekthascherei zusammengefasst werden kann. Denn Lemlin nutzte seine Zeit, um mittels Knöpfchen und Pedalen Klangexperimente zu veranstalten. Eine Vorstellung, die ohne bleibenden Eindruck blieb, jedoch von viel einschlagender Wirkung hätte sein können, wenn sie als direktes Intro für den Haupt-Act eingesetzt worden wäre. Die aufgrund der hier folgenden Pause jedoch ein wenig im Nichts verzischte.
Alex Henry Foster & The Long Shadows
Schade, denn die Soundspielereien wären wie gesagt eine perfekte Einleitung für das gewesen, was in den nächsten 178 Minuten folgen sollte. Einhundertachtundsiebzig Minuten? Ja, richtig gelesen! Alex Henry Foster und Konsorten nutzten die Gunst der nicht vorhandenen Spersstunde und spielten an diesem Abend ein Set von annähernd drei Stunden!
Und das Faszinierende an dieser Chose war, dass dieser Auftritt zu keinem Moment langatmig oder gar langweilig wurde. Was außerordentlich für Musik ist, die von ihrer Natur her eher repetitiven Charakters ist. Doch gerade die Wiederholungen, leichten Variationen und stetigen Steigerungen der immer wieder gleichen Themen sollten es sein, die die Basis dafür waren, dass das Sextett seine Besucher binnen kürzester Zeit ihn ihren Bann schlagen konnte und aus diesem nicht mehr loslassen sollte.
Für Menschen, die Alex Henry Foster & The Long Shadows noch niemals live erlebt haben, mag dies verwunderlich sein, denn nicht nur das 2018er Debütalbum “Windows in the Sky” ist mit seiner Mischung aus atmosphärischen Soundscapes, post-rockigen Strukturen, noisigen Ausbrüchen und vor Gefühlen berstenden Spoken-Words-Passagen alles andere als leichte Kost. Auch Live-Aufnahmen, wie “Standing Under Bright Lights” vom 2021er Festival International De Jazz De Montréal, wirken teils sperrig und können Menschen, die nicht dabei waren, vermutlich nur schwer vermitteln, welche Energien und Emotionen auf einem Konzert der Quebecer freigesetzt werden.
Denn Fosters Musik entfaltet ihre Wirkung erst im Zusammenspiel mit dessen Texten, deren poetischen Tiefgang sowie deren persönlicher Bedeutung für den Künstler. Texte die erst durch ausgiebige Auseinandersetzung begriffen werden können. Oder eben dadurch, dass sie von Alex Henry Foster live vorgetragen und miterlebbar gemacht werden. Denn Foster ist auf der Bühne kein Schauspieler, sondern ein Künstler, der das beschriebene Leid förmlich wiedererlebt. Denn wer dem Mann nur ein einziges mal beim Rezitieren seiner Texte in die Augen geblickt hat, der weiß, dass er und seine Lyrics auf der Bühne zu einer Einheit werden.
Glücklicherweise haben es Fosters Bandkollegen von Your Favorite Enemies nicht nur auf “Windows in the Sky” vermocht, diese Gefühle mit Musik einzufangen. Sie schaffen es als The Long Shadows auch immer wieder, diese Gefühle bei Live-Auftritten wie ein Katalysator zu verstärken und aufs Publikum überschwappen zu lassen.
An diesem Abend im Kölner Yard Club, funktionierte dies auf ganz besondere Art und Weise. Denn als gegen Mitternacht die letzten Takte von ‘The Love That Moves (The End Is Beginning)’ verklangen, schienen Band und Publikum zu einer symbiotischen Einheit zusammengewachsen zu sein.
Dass es dazu kommen würde, war anfangs überhaupt nicht absehbar gewesen. Zu gering gefüllt war die Kantine, als dass man hier mit einer überschwenglichen Stimmung hätte rechnen können. Zudem machte Alex Henry Foster beim anfänglichen ‘The Son Of Hannah’ auch nicht den glorreichesten stimmlichen Eindruck. Ein Manko, dass der Sänger schnell wieder im Griff hatte und an dessen Stelle ganz schnell sein umwerfendes Charisma trat. Hinzu kamen die augenscheinliche Spiel- und Lebensfreude der übrigen fünf Musiker die bis zur letzten Sekunde des Abends immer vom Herzen zu kommen schienen und niemals aufgesetzt wirkten. Vibes, die über die Musik getragen eins zu eins aufs Publikum übergingen und durch dessen positives Feedback ein weiteres Mal verstärkt, zurück auf die Band. Welches ihrer Stücke The Long Shadows dabei gerade aufführten, das spielte im Gesamterleben eine eher rudimentäre Rolle. Einzig Alex Henry Fosters sehr ausführliche wie emotionale Ansagen hievten das Erlebnis alle 15 bis 20 Minuten noch einmal auf ein höheres Niveau. Denn was bei Auftritten anderer Bands als unnötig oder störend wahrgenommen werden kann, das verfestigte an diesem Abend die Bande zwischen Publikum und Band. Und selbst als Foster eine Zuschauerin zu sich auf die Bühne einlud, erschien dies als natürlichste und normalste Sache auf der Welt. Eine Hand in die Luft gereckt und mit der anderen eine Gitarre bearbeitend, hatte die Dame zwar keinerlei Plan, was sie da gerade fabrizierte, aber dem noisigen Post Rock von The Long Shadows schadeten die disharmonischen Klänge auf kein bisschen. Stattdessen machte die junge Frau, nach anfänglicher Aufregung, den Anschein, gerade die Zeit ihres lebens zu haben. Und ehrlich gesagt hätte es wohl auch niemanden gestört, wenn sie nicht nur eine gefühlte Viertelstunde, sondern für den Rest des Abends die Band begleitet hätte.
Einer von so vielen besonderen Momenten eines Auftrittes, der genauso schwierig in Worte zu fassen ist wie das Erlebnis eines Alex-Henry-Foster-Konzertes über Tonträger vermittelbar ist. Ein Ereignis, das wohl niemand wirklich nachempfinden kann, der nicht selbst einmal dabeigewesen ist.
Bewertung: 14,5/15 Punkten
Fotos: Chris Bretz
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Konzertbericht: 26.10.21, Mainz, Kulturzentrum
Rezension: “Standing Under Bright Lights • Live From Festival International De Jazz De Montréal” (2021)
Rezension: “Windows in the Sky” (2020)
Konzertbericht: 12.02.20, Köln, Stadtgarten
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Veranstalter & Venue: Yard Club