Die Geschäftsmodelle in der Musikindustrie haben durch die zunehmende Digitalisierung einen Paradigmenwechsel erfahren. Gerade Auftauchen und Aufstieg der Streaming-Services zeigen bedrohliche Effekte wie andere Disruptive Technologien, bei der laut Wikipedia “ein bestehendes Produkt oder eine bestehende Dienstleistung ersetzt oder diese vollständig vom Markt verdrängt wird”. Zum Problem und (Kultur-)Politikum wird dies aber erst dadurch, dass zahlreiche Musiker vom jetzt verdrängtnuten Modell – also dem Verkauf von Musikmedien wie LP, CD, Tape plus Merch, direkt oder über Labels und Händler – jahrzehntelang leben konnten. Während die Beteiligung am Umsatz, also die “Ausschüttung” an die Content Creators beim Streaming so gering ist, dass tatsächlich nur bei millionenfachen Absätzen nennenswerte Beträge zusammenkommen.
Das turbo-kapitalistische Phänomen selbst ist weithin bekannt und wird regelmäßig und wortreich beklagt. Die Funktionsweise etwa der Abrechnungen oder Zusammenstellungen von Playlists im Detail ist aber zumeist ein Buch mit sieben Siegeln. Weil uns das selbst sehr interessierte, auch und gerade in der Zuspitzung auf unsere geliebten Musik-Genres, haben wir jemand gefragt, der sich damit auskennen müsste. Also natürlich einen (auch) digital veröffentlichen Prog-Rock-Musiker. Dieter Hoffmann (starfish64) kniete sich freundlicherweise für uns in die Tiefen der Statistik-Menüs. Und gab Auskunft.
Letztlich ist es jedoch die Flatrate der Streaming-Dienste, die das Konsumentenverhalten fundamental ändert. Da fällt eine Hürde weg, die bis dahin entscheidend war, ob ein Album gehört wurde oder nicht.
Was hältst Du vom Paradigmenwechsel vom Album(kauf) hin zu Streaming aus der Cloud – generell und Prog-spezifisch?
Das „Album“ als solches verliert dadurch grundsätzlich an Gewicht. Natürlich ist das abhängig vom Genre. Im Prog-Bereich und sicher auch anderen Nischen ist dieser Effekt wohl weniger ausgeprägt als im Mainstream, aber dennoch spürbar. Letztlich ist es jedoch die Flatrate der Streaming-Dienste, die das Konsumentenverhalten fundamental ändert. Da fällt eine Hürde weg, die zuvor noch dafür entscheidend war, ob ein Album gehört wurde oder nicht.
Die Konsequenzen, die sich dadurch ergeben, lassen sich nicht in ein paar Sätzen abhandeln. Sie sind aber weitreichend, positiv, wie negativ. In vielerlei Hinsicht ist der Künstler dabei der Verlierer, aber nicht grundsätzlich.
Ich glaube sogar, dass die zufriedenen Konsumenten durchaus einen deutlich höheren monatlichen Preis akzeptieren würden.
Nutzt Du selbst als Konsument (also nicht als Inhalte-Produzent) die aktuellen Plattformen? Falls ja, welche und mit welchen Erfahrungen?
Ich habe ein Abo bei Apple Music. Das hält mich nicht davon ab, nach wie vor Schallplatten oder CDs zu kaufen. Ich treffe damit, sagen wir mal, eine gewisse Vorauswahl. Das bewahrt mich vor dem einen oder anderen Fehlkauf. Meine Neugier verführt mich allerdings immer wieder dazu, Interpreten zu hören, die ich ohne Abo vermutlich links liegen lassen würde. Tja, und einige davon landen dann auch wieder auf meinem Plattenspieler. Ich glaube also, dass ich mit Apple-Music nicht weniger Geld für Musik ausgebe. Ich bin jedoch sicher nicht der typische Streaming-Konsument.
Grundsätzlich sind Streaming-Dienste natürlich für den Konsumenten eine feine Sache. Man kann eben zu jeder Zeit auf einen riesigen Katalog zugreifen. Es gibt nur wenige Interpreten, die man dort nicht findet. Die Soundqualität ist ebenfalls hochwertig. Die meisten Anbieter bieten ja inzwischen auch „lossless“ Datenformate an. Aus Konsumentensicht gibt es also eigentlich nix zu meckern. Ich glaube sogar, dass die zufriedenen Konsumenten durchaus einen deutlich höheren monatlichen Preis akzeptieren würden.
Wenn es für unbekannte Künstler wie uns einen wirklich positiven Aspekt gibt, dann ist es die Tatsache, dass man auch an Ecken der Welt gehört wird, die man auf dem analogen Weg nie erreichen würde.
Mit welchen habt Ihr als Band Erfahrungen gemacht – und welche?
Unsere Musik ist eigentlich auf allen Streaming-Portalen von Spotify bis Deezer verfügbar. Die meisten Hörer haben wir auf Spotify. Die Streams auf Apple-Music sind auch noch vergleichsweise ok. Alle anderen Streaming-Dienste sind dagegen kaum erwähnenswert. Wir sprechen aber von Zahlen, die in der Summe längst nicht an die Streams von Mainstream-Interpreten an einem einzigen Tag heranreichen. Wenn es für unbekannte Künstler wie uns einen wirklich positiven Aspekt gibt, dann ist es die Tatsache, dass man auch an Ecken der Welt gehört wird, die man auf dem analogen Weg nie erreichen würde. Wir werden beispielsweise deutlich öfter in UK und Frankreich gehört, als hier in Deutschland. Auch die meisten CDs, die wir über Bandcamp verkauft haben gehen in diese Länder. Ich weiß von einigen Fans die unsere Alben kaufen, dass sie uns über Spotify oder andere Streamingdienste entdeckt haben. Oft, nachdem sie zuvor eine Besprechung des Albums gelesen haben.
Der Punkt, an dem ein Künstler auf Streaming-Diensten wirklich einen Teil seines Einkommens einfährt, ist jedenfalls irgendwo in Mainstream-Sphären anzusiedeln.
Auch wenn es immer mal wieder einen medienwirksamen Exodus gibt (Neil Young, Joni Mitchell, …) – für das absolute Gros der Bands, seit einer Weile etwa auch für die lange abstinenten King Crimson, führt heute kein Weg mehr am Branchen-Primus Spotify vorbei. Welche Vor- und Nachteile siehst Du da im Vergleich zum Beispiel mit dem eher an Downloads- und Medienverkauf orientierten Bandcamp?
Spotify und Bandcamp haben einen grundsätzlich anderen Ansatz. Bandcamp ist ja speziell auf Independent Künstler ausgerichtet, und bietet zu wirklich fairen Konditionen die Möglichkeit, Musik im herkömmlichen Sinn zu verkaufen – Digital als Download und eben auch CDs oder Vinyl. Für den Versand ist der jeweilige Künstler selber verantwortlich. Das Streaming per Bandcamp-App ist eher ein Add-On – und der Künstler kann selbst wählen, wie oft man einen Song/Album kostenlos abspielen kann (also ein sanftes Incentive, statt harter Paywall, d. Red.)
Das ist alles in allem eine schöne Sache. Die Reichweite ist allerdings im Vergleich zu Spotify und anderen Streaming-Diensten vergleichsweise gering. Um ggf. entdeckt zu werden, ist die Präsenz auf Spotify und Co. sicher ein wichtiger Faktor. Im Grunde muss man dann hoffen, dass ein Teil der Musikliebhaber einen Schritt weiter geht, und durch den Kauf einer CD, Vinyl oder sonstigem Merchandise Artikeln den Künstler unterstützt. Der Punkt, an dem ein Künstler auf Streaming-Diensten wirklich einen Teil seines Einkommens einfährt, ist jedenfalls irgendwo in Mainstream-Sphären anzusiedeln.
Gibt es ein Publikum, das ihr ohne Spotify nicht erreichen könntet? Über welche Kanäle erreicht ihr sonst neue Hörer?
Da wir fast unser gesamtes Publikum über das Internet erreichen, spielen Streaming-Dienste natürlich eine sehr entscheidende Rolle. Die Hörer, die gänzlich auf Streaming umgestiegen sind, erreicht man auch nur so. Wir würden also ohne Internet praktisch niemanden erreichen, da wir ja keine Live-Band sind. Ich beobachte, dass sich die Hörerschaft mehr und mehr in Richtung Streaming bewegt.
Sehr wichtig als “Gatekeepers” und Multiplikatoren sind nationale, wie auch internationale Web-Zines. Einige haben eine ziemliche Reichweite. Selbst ein Verriss dort verursacht noch einen gewissen Traffic bei Bandcamp oder Spotify. Daneben gibt es etliche sehr umtriebige Internet-Radio-DJs, die ein Herz für unbekannte Künstler haben. Diese Leute wollen natürlich mit Demos versorgt werden. Da das aber alle echte Musikliebhaber sind, kann man schon viele in sehr angenehmer Weise ansprechen. Wir haben zumindest eine Reihe Freunde gefunden, die immer wieder gerne von uns hören. Du weißt ja, wie ich das mache. Wir haben uns ja auch so kennen gelernt.
Welche Erfahrungen habt Ihr – if any – mit ProgStreaming.nl als “Dach” über Diensten wie Spotify gemacht?
Markwin Meeuws ist DER gute Geist im Netz. Wir hatten das Glück, dass wir gleich eine der ersten Bands waren, die auf Progstreaming ge-featured wurden. Das hat uns eine Menge Hörer gebracht. Das Album „A Matter Of Gravity“ haben wir damals auf Bandcamp als „Name your price“ angeboten. Man konnte es also auch umsonst downloaden. Das war natürlich wirklich noch Bedroom-Rock ohne Produktion mit einfachsten Mitteln mit GarageBand aufgenommen. Trotzdem hat die Präsenz auf Progstreaming über 100 Downloads generiert. Ich habe damals sogar der Anfragen wegen eine kleine Auflage CDs in Heimarbeit hergestellt. Also Progstreaming hat bestimmt etlichen Prog-Bands mächtig auf die Sprünge geholfen. Sagte ich schon, dass Markwin DER gute Geist im Netz ist?
Welche Auswertungen erhaltet Ihr über die reinen finanziellen “Abrechnungen” hinaus?
Die Abrechnungen kommen über den Distributor, in unserem Fall Distrokid. Die Beträge werden monatlich ausgewiesen – einschließlich der immerneuen Ernüchterung. Im Prinzip kann man jeden einzelnen Stream zuordnen. Daneben besteht die Möglichkeit, sich bei „,Spotify for artists”anzumelden. Hierzu muss man sich als Künstler zunächst verifizieren. Dort steht eine Reihe von Statistiken zur Verfügung, die sich auch individuell an Zeiträume Songs oder Alben anpassen lassen. Man erfährt, wie oft ein Song oder ein Album gespielt wurde, wie oft ein Stück für den Offline-Modus gespeichert wurde. Wo es gespielt wurde und auch auf welchen Playlists sich die Musik befindet. Man sieht auch, ob gerade im Moment jemand die eigene Musik hört oder wie viele Follower man hat.
Die Daten sind in der Regel nicht ganz tagesaktuell, aber meist vom Vortag. Daraus lässt sich durchaus eine Reihe von Rückschlüssen ziehen. Bringt ein Review von xxx zusätzliche Hörer? Werden nur einzelne Songs gehört oder ein ganzes Album? Welche Songs kommen bei Publikum am besten an? Da gibt es eine Menge Möglichkeiten zur Analyse. Im Übrigen gibt es für Apple-Music und Amazon Music (Unlimited) ähnliche Tools
Wie wertvoll wären bzw. sind Infos über Eure Hörer wie deren Alter, Wohnort etc.?
Diese Information bekommt man tatsächlich. Für angesagte Mainstream Acts sind das mit Sicherheit enorm wichtige Daten. Insbesondere für Promotion und Placement. Für kleinere Act lässt sich zumindest ablesen, in welcher Stadt beispielsweise Publikum zu einem Konzert kommen würde. Ich persönlich finde es schlicht interessant, wohin unsere Musik wandert. Irgendjemand in Chile scheint zum Beispiel ein großer Fan zu sein.
Ein Stream bringt in der Regel weniger als 0,3 Cent (…) Spotify zahlt von den bekannten Diensten am wenigsten.
Was bringt ein gestreamter Song konkret dem Künstler materiell?
Man kann sagen: „Next to nothing”. Ein Stream bringt in der Regel weniger als 0,3 Cent. Dabei kommt es auch darauf an, wo der Song gestreamt wurde oder wie lange er ist. Spotify zahlt von den bekannten Diensten am wenigsten. Davon muss der Künstler noch die Kosten für den Distributor und Steuern abziehen. Die Zahlen bekomme ich wie erwähnt von Distrokid. Ob es für andere Distributoren oder Labels andere Konditionen gibt, weiß ich offen gestanden nicht.
Sicher ist, dass durch das Streaming die bezahlten Downloads fast völlig weggebrochen sind.
Wie hoch müsste die Ausschüttung nach Eurem Gefühl sein, damit die Einnahmenverluste bei Albumverkäufen ausgeglichen werden?
Diese Frage ist ganz schwer zu beantworten. Das hängt mit Sicherheit auch vom Bekanntheitsgrad des Künstlers ab. Sicher ist, dass durch das Streaming die bezahlten Downloads fast völlig weggebrochen sind. Lediglich auf Bandcamp findet das noch vereinzelt statt. Auf der anderen Seite vergrößert sich durch die Streaming-Dienste die Reichweite eines Künstlers, auch unsere. Dadurch verkauft man wiederum das eine oder andere physische Album. Umgekehrt gibt es natürlich Fans die früher vielleicht ein Album gekauft hätten, sich jedoch heute mit dem Stream zufrieden geben. Bislang lief bei starfish64 jedes neue Album ein wenig besser als das zuvor. Mit oder trotz Spotify? Ich weiß es nicht.
Die Musik die im Offline-Modus gehört wird meines Wissens nicht anders vergütet als tatsächlich gestreamte Songs. Die Playcounts werden eben nur zeitversetzt, sobald der User wieder online ist, mit der Spotify-Datenbank abgeglichen.
Macht es (finanziell) irgendeinen Unterschied für Bands, wenn User sich die Musik nicht nur anhören, sondern auch via Spotify App herunterladen – auf PC und/oder Mobile Device, um es offline hören zu können?
Nein, die Musik die im Offline-Modus gehört wird meines Wissens nicht anders vergütet als tatsächlich gestreamte Songs. Die Playcounts werden eben nur zeitversetzt, sobald der User wieder online ist, abgeglichen. Wenn ein Hörer einen Song oder ein Album speichert, dann beabsichtigt er jedoch höchstwahrscheinlich, die Musik öfter zu hören. Es ist also ein deutlicher Hinweis darauf, dass ihm die Musik gefällt. Natürlich bleibt Musik in der Mediathek eines Hörers auch eher im seinem Fokus, wenn er gerade mal nicht so richtig weiß, was er als nächstes hören soll.
Ob gespeichert oder nur gestreamt wird, ist also eine sehr wertvolle Information. Die, die Downloader sind – im Streaming-Kontext – die wirklichen Fans. Andere Hörer haben eventuell nur einmal reingehört, oder eine Playlist ausgewählt, die den jeweiligen Song enthält. Von den Hörern, die dein Album speichern, kommt eventuell auch jemand auf die Idee zu sagen: “Das Ding will ich als CD/LP im Regal stehen haben.”
Es gibt inzwischen unzählige zwielichtige Anbieter, die für ein paar Dollars garantieren, Songs auf Playlists mit großer Reichweite zu bringen. (…) Wenn durch die Streams keine neuen Follower für die eigene Band dazu kommen, dann hat man wenig gewonnen.
Macht es (finanziell) irgendeinen Unterschied für Bands, wenn User oder Medien wie z. B. BetreutesProggen ihre Songs zu ihren PLAYLISTS hinzufügen?
Ich denke schon. Alles hängt natürlich vom Bekanntheitsgrad des Kurators ab. Wird eine Playlist von einem Magazin kuratiert, dann spricht sie die Leser jenes Magazins mit Sicherheit an. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass vermutlich auch die enthalte Musik für die Hörer interessant ist.
Der Wunsch auf möglichst viele Playlisten zu kommen, ist ja inzwischen eines der vordringlichsten Themen bei aufstrebenden Künstlern. Doch das Thema ist komplex und voller Fallstricke. Wo wir schon beim Thema „Payola” sind. Es gibt inzwischen unzählige zwielichtige Anbieter, die für ein paar Dollars garantieren, Songs auf Playlists mit großer Reichweite zu bringen. Eine befreundete Band ist vergangenes Jahr auf einen solchen Anbieter reingefallen. Für zirka zwei Wochen wurden zwei Titel mehrere 1.000 Mal gespielt. Einem der Bandmitglieder ist irgendwann über die „Spotify for Artists“ – App aufgefallen, dass plötzlich fast hundert Hörer gleichzeitig ihre Musik hören. Er hat dann freudestrahlend einen Screenshot von seinem Handy auf Facebook geteilt. Nach einer halben Stunde war der Spuk allerdings vorbei. Den Jungs wurde ziemlich schnell klar, dass das wohl kaum echte Hörer waren. Zudem war die Playlist auch ein kruder Mix aus Rock-Klassikern, Punk, New-Wave und eben ein paar völlig unbekannten Stücken. Welcher normale Mensch hört sich eine solche Playlist an? Wie genau diese „Plays” generiert werden und wie die sog. Kuratoren es schaffen, dass diese Playlisten tausende von Followern haben, weiß ich nicht. Inzwischen berichten aber viele Bands in entsprechenden Foren von ähnlichen Erfahrungen. Welchen Effekt die Präsenz eines Songs auf einer Playlist hat, hängt grundsätzlich von einer Reihe von Faktoren ab. Genre, Größe und Reichweite (Follower) der Playlist sind wohl die wichtigsten Faktoren. Natürlich ist auch die Position auf der Playlist von großer Bedeutung, vor allem, wenn sie länger ist. Es muss also schon einiges zusammenkommen, damit Hörer wirklich bei einem Song hängen bleiben und mehr von den Interpreten hören möchten. Wenn durch die Streams keine neuen Follower für die eigene Band dazu kommen, dann hat man wenig gewonnen.
Playlists hören, ist vielleicht auch das neue Radio hören. Man lässt sich berieseln, ohne wirklich zuzuhören. Man sollte gerade als unbekannter Interpret oder Band keine zu großen Hoffnungen in dieses Instrument setzen. Ich denke, man muss sich im gesamten Social-Media-Bereich möglichst vielseitig engagieren. Natürlich gehören Spotify Playlists dazu, aber eben nur als ein Faktor von vielen.
Geben die Statistiken/Abrechnungen, die ihr von Spotify erhaltet, dies wieder?
Ja, man kann sehen, auf welchen Playlist man als Interpret vertreten ist, auch um welche Songs es sich im Einzelnen handelt. Allerdings muss die Playlist von mehr als nur einer Person gehört werden. Jede dieser Playlists kann natürlich über die Spotify App auf die Anzahl ihrer Follower, Titelanzahl der Playlist und Position der eigenen Titel hin überprüft werden. Daraus lässt sich so Einiges ableiten. Aus meiner Sicht hat eine für den Künstler wertvolle Playlist eine nicht zu große Anzahl von Titeln. Das Genre sollte einigermaßen abgegrenzt sein, und die Playlist sollte natürlich auch viele Follower haben. Sind diese Kriterien erfüllt, dann kann man ggf. auf diesem Weg von neuen Hörern entdeckt werden. Je weiter eine Playlist von diesen Kriterien abweicht, desto unwahrscheinlicher wird es, dass sich ein Effekt einstellt.
Werden Plays von Songs einer Band in Playlists Dritter genauso “gezählt” und abgerechnet wie alle anderen auch?
Bezüglich der Abrechnung ist es nicht relevant, ob ein Titel per Playlist, Bibliothek oder Radio gehört wird
Bei vielen größeren Acts werden auf Spotify neben dem “Künstler” sehr präsent oben zwei Spotify-eigene Playlists angeboten:
“XY Radio” und “This is XY”.
Wie stellt Spotify die Deines Wissens zusammen, haben Bands selbst Einfluss darauf und wie würdest Du die Unterschiede zwischen den beiden Listentypen beschreiben?
Das Künstler-Radio folgt einem Genre plus Hörgewohnheiten des Abonnenten. Dafür gibt es wohl entsprechende Algorithmen. Vereinfacht ausgedrückt: Hört jemand Genesis, dann gefällt ihm höchstwahrscheinlich auch Phil Collins oder Marillion oder, oder, oder… Je unbekannter ein Interpret jedoch ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass er innerhalb einer solchen Liste auftaucht. Hier werden ganz klar arrivierte Interpreten bevorzugt. Im Künstler Radio unbekannter Interpreten kommen bekanntere Interpreten vor. Umgekehrt ist das sehr unwahrscheinlich. Das kann man auch bei der Rubrik „Was anderen Fans gefällt“ beobachten. Ich habe das extra mal für starfish64 gecheckt. Da wird beispielsweise auf The Watch, Abel Ganz oder Crystal Palace hingewiesen, jedoch nicht umgekehrt.
Wie reine Künstler-Playlists zusammengestellt werden, ist mir nicht bekannt. Ich habe auf Apple Music selber schon die eine oder andere solche Liste angehört. Ich hatte nicht den Eindruck, dass es sich um sog. Essentials handelt. Natürlich gibt es Künstler die eigene Playlists kuratieren, was in Bezug auf den eigenen Back-Katalog sehr nützlich sein kann. Daneben gibt es natürlich auch Fans, die solche öffentlich verfügbaren Playlists erstellen. Letztlich zeigt auch dies, dass bekanntere Künstler von dem System-Spotify begünstigt werden, da sich der eine oder andere virale Effekt so von selbst einstellt.
Das gleiche gilt für thematische Playlists. Dort findet man mit Sicherheit genau die Titel, die auch Format-Radio Stationen auswählen würden. Das Genre Prog-Rock ist für die Streaming Dienste sowieso kaum relevant.
Wie informiert Euch Spotify über solche Features, wenn überhaupt?
Es gibt auf der “Spotify for Artist”-Seite so eine Art Guide in dem man allerhand „nützliche” Tipps bekommt. Auf viele Dinge kommt man irgendwie auch selber. Wie bereits im Grunde weiter oben bereits beantwortet, muss man verschiedene Medien gleichzeitig nutzen, um unter anderem öfter auf Streaming Diensten gespielt zu werden und um auf deren Playlists zu landen.
Wie werden die Titel für diese Listen ausgewählt – soweit ihr wisst? Algorithmus, Zufallszahlengenerator oder Redaktion?
Es gibt eine redaktionelle Auswahl, zumindest kann man auch als Künstler selbst einen noch unveröffentlichten Titel der Redaktion vorschlagen. Wie das bewertet wird, ob wirklich jemand einen Titel im Vorfeld hört, kann ich nicht beantworten. Ich denke es ist unter dem Strich ein Mix aus Algorithmus, Redaktion und den vorliegenden Daten über die Hörgewohnheiten des jeweiligen Hörers. Auf diese Weise kommen Titel auch auf diesen ” Release Radar”. Wenn man einem Künstler folgt, dann wird man auch auf dessen Neuerscheinung aufmerksam gemacht. Deshalb ist es für unbekannte Künstler wichtig, die Anzahl der Follower zu vergrößern. Das sollten natürlich Hörer sein, die tatsächlich deine Musik hören. Ich bekomme auch schon immer mal solche „Like mich mal, dann like ich dich auch” Anfragen, Das ist natürlich Quatsch und reine Augenwischerei, Leider entstehen auf diese Weise auch oft die hohen Follower-Zahlen von Playlists. Es gibt ja entsprechende Dienste, über die Künstler Songs an Playlister und Influencer „pitchen“ kann. Oft ist dort die Grundvoraussetzung, dass man die Playlist der Playlister „liked“ bzw. deren Profil “folgt”.
Über die Kriterien, die eine Playlist für die Künstler hilfreich macht, hab ich ja bereits gesprochen. Doch das gilt ja auch für Hörer. Jeder Hörer hat einen bestimmten Geschmack. Wer hört denn eine Playlist, in der jeder dritte Titel dem eigenen Geschmack nicht entspricht?
Hast Du eine abschließende Botschaft an Eure Fans, an Musikkonsumenten und Prog-Liebhaber?
Ich glaube schon, dass es wichtig ist gerade von unbekannteren Künstlern ein Album als CD/LP oder auch als Download zu kaufen. Einfach als Wertschätzung, Man braucht ja kein Rechenkünstler zu sein, um abzuschätzen, wie viele Streams es braucht, um den Gegenwert von 50 verkauften CDs zu erreichen.
Wir freuen uns natürlich auch über jeden neuen Spotify-Follower und jeden der unsere Musik in seine Bibliothek sichert. Aber letztlich hilft uns das nicht, die Kosten für Produktion, Presswerk und insbesondere Equipment und Software zu decken. Da sind Bandcamp, Onlineshops wie Just for Kicks oder – in Frankreich – Cosmos Music hilfreicher. Ich investiere ja gerne in das Projekt starfish64, weil es einfach sehr viel Spaß macht und es schön ist, dass die Musik ein paar Leuten richtig gut gefällt. Aber mit etwas mehr finanziellem Spielraum kann man seine eigene Produktion auch auf ein anderes Level bringen. Es scheint aber doch viele Prog Fans zu geben, die eher ein sündhaft teueres Boxset mit fünf einseitig bespielten LPs kaufen, als einem Tipp von Magazin x oder y zu folgen und sich ein Album von einer unbekannten Band ins Regal zu stellen.
Siehst du neben den negativen Entwicklungen in Sachen schwindender Verkäufer von Tonträgern, auch eine positive Seite des Streaming für die Musikindustrie?
Doch, schon. Fakt ist ja, dass Streaming in Bezug auf den Backkatalog eines Labels oder eines Majors im Prinzip das Schlaraffenland ist. Der komplette Backkatalog kann ohne großen Aufwand und Kosten in Gänze zur Verfügung gestellt werden.
Wirtschaftlich riskante Entscheidungen, ob man ggf. von einem Album von Interpret X noch einmal nachpressen lässt oder nicht, braucht man zumindest in der “Digitalen Welt” einfach nicht mehr zu treffen. Und auch nicht auf die Produktion in völlig überlasteten Presswerken zu warten. Wo hätten beispielsweise in der analogen Welt so schnell die ganzen Medien für Kate Bushs “magic return” herkommen sollen? Heute wird es halt gestreamt oder nicht.
Für den einzelnen, weniger bekannten Künstler aber ist das eher ein weiterer Nachteil … neben den vielen anderen, über die wir gesprochen haben.
Danke für das Gespräch!
Abbildungen: Dieter Hoffmann / starfish64