Shearwater – The Great Awakening

The Great Awakening(58:00, 2LP + MP3, Poliborus Cargo, 2022)
Lange sechs Jahre hat es gedauert. Ein Hiatus, den Jonathan Meiburg, Kopf der Band Shearwater aus Austin/Texas, in erster Linie mit seiner Frustration bzgl. der politischen Entwicklungen in seiner Heimat USA begründete. Er wollte schlicht kein von Hoffnungslosigkeit geprägtes Album machen. Stattdessen schrieb er ein Buch, brachte mit Shearwater eine Bowie-Trilogie auf die Bühne und veröffentliche statt dessen mit der Band Loma zwei wunderbare Alben.

Doch irgendwann war wohl doch wieder die Zeit für ein Shearwater-Album gekommen. “The Great Awakening” – Der Titel scheint Programm. Die Indie-Rock-Einflüsse der letzten Werke “Animal Life” und “Jet Plane And Oxbow” sind verschwunden. Das Werk flanscht vielmehr an “The Golden Archipelago”, dem letzen Album der sogenannten “Island Arc” Trilogie an. Verschwörungstheoretiker aufgepasst: The Anfangsbuchstaben beider Albumtitel sind T, G und A, dazu noch in der gleichen Reihenfolge.

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Der Opener ‘Highgate’ gibt die Richtung vor: „Here comes your heart attack/Starless and bible black/And here is the endgame.” Ein Auftakt, der viele Assoziationen zulässt, die sich in den folgenden knapp 60 Minuten manifestieren. Wahrscheinlich gibt es niemanden neben Jonathan Meiburg, der Mark Hollis’ Verständnis von Musik so verinnerlicht hat. Keine Note zu viel. Auch Stille ist Musik. Doch um Missverständnissen vorzubeugen – Man kopiert Hollis nicht. Es ist keine Hommage, wie das kürzlich erschienene Album “Solace“, der Formation Held By Trees. Meiburg und seine Kollegen finden eigene Mittel. Maßgeblich beteiligt sind neben Josh Halpern  und Emily Lee inzwischen auch die Loma-Mitglieder Emily Cross und Dan Duszynski. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass Shearwater inzwischen ein wenig nach Loma klingen. Sucht man nach weiteren Assoziationen, komt man auf Kate Bushs Aerial oder Peter Gabriels Soundtrack zu “Birdy”.

‘No Reason’ sinniert in Zeitlupe über die Existenz von Gott. Die Titel ‘Xenarthan’ und ‘Laguna Seca’ bauen auf steten Rhythmen auf, über denen zarte Streicher schweben, Gitarren vereinzelte Töne einwerfen. Man spürt förmlich die Sorgfalt, mit der diese Musik arrangiert wurde. Die zerbrechliche, zarte Atmosphäre zieht sich durch das gesamte Werk. Nur wenige Titel brechen aus. Einer davon ist ‘Empty Orchestra’, das von einem kraftvollen Rhythmus und elektronischen Einsprengseln geprägt ist.

Ein Höhepunkt ist das zarte ‘Aqaba’, das bereits vor Monaten als erster Teaser veröffentlicht wurde. Interessanterweise taucht dieser Titel in einer Liste von Steven Wilsons hundert Lieblingsliedern auf, die man in seinem Buch “Limited Edition Of One” nachlesen kann. Das Stück eröffnet den sanft-epischen Abschluss des Albums mit den Titeln ‘There Goes The Sun und ‘Wind Is Love.

Mit Sicherheit ist “The Great Awakening” kein Soundtrack für einen lauen Sommerabend. Auch Meiburgs Gesangsstil wird nicht jedermanns Geschmack sein. Ein besonderes Kunstwerk ist es jedoch allemal. Ein weitestgehend leises fragiles Werk, das Aufmerksamkeit fordert und entdeckt werden will ohne sich aufzudrängen. Dazu noch in einer kleinen Nische weit weg vom Mainstream. Kein leichtes Unterfangen, in einer Musikwelt, in der man meist nur mit Lautstärke, Sex oder Testosteron Gehör findet.

Teapot of the Week
“Teapot of the Week” auf Betreutes Proggen in der KWxy/2022

Lässt man sich darauf ein, landet das Album eventuell auf der persönlichen Liste von Alben für die Insel. Spätestens dann ist auch die Erkundung der “Island Arc”-Trilogie bestehend aus den Alben “Palo Santo”, “Rook” und “The Golden Archipelago” unumgänglich. Innerhalb seines eigenen Kosmos’ eines kontemplativen und minimalistischen Post-Rock ist “The Great Awakening” nichts weniger als ein Meisterwerk.
Bewertung 15/15 Punkten

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Abbildung: Shearwater / Cargo