(1:05:00 (inkl. Bonus-Tracks); Boxset (2CD + Blu-ray), Vinyl (3LP – 45 RPM), Vinyl (2LP), CD, Tape, Digital; Music For Nations/Sony Music, 2022)
Erst Tool, jetzt Porcupine Tree und demnächst wohl auch noch ein neues Album von The Mars Volta. Die Prog-Größen der Jahrtausendwende kehren nach längeren Auszeiten nach und nach alle zurück. Und es allen Fans dabei recht zu machen, ist gar nicht so einfach. Nachdem The Mars Volta am 21. Juni 2022 mit ‘Blacklight Shine’ ihr erstes neues Stück Musik seit 2013 veröffentlichten hatten, war die Resonanz in den sozialen Medien groß. Fast jede Stimme äußerte Begeisterung über die Reunion von Cedric Bixler-Zavala und Omar Alfredo Rodriguez-Lopez, doch ihr neues Lied stieß teils auf sehr negative Reaktionen. Denn die Band mit mexikanischen und puerto-ricanischen Wurzeln hatte es gewagt, sich musikalisch weiterzuentwickeln. Die neun Jahre, die ins Land gestrichenen waren, waren einfach nicht spurlos an den Künstlern vorüber gegangen.
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Porcupine Tree waren als Band sogar noch länger aus der Öffentlichkeit verschwunden, doch die dreizehn Jahre, die seit “The Incident” vergangen sind, hört man Steven Wilson und seinen beiden Mitstreitern Richard Barbieri sowie Gavin Harrison kaum an. Denn die Stachelschweinbäume liefern mit “Closure/Continuation” genau das ab, was sich viele Fans der Kult-Band erhofft und sich v.a. die Hasser der letzten Wilson-Solo-Alben dringlichst herbeigesehnt hatten: ein Album, dass zu 100 Prozent nach Porcupine Tree klingt. Fans, die sich allerdings eine ähnliche Entwicklung wie bei The Mars Volta gewünscht hatten, nämliche stilistischen Fortschritt, die könnten vom Reunion-Werk der Briten enttäuscht sein. Denn obwohl “Closure/Continuation” starke eigene Akzente setzt, bleiben die ganz großen Überraschungen aus. So experimentierfreudig Steven Wilson nämlich in der letzten Dekade mit seinen Solo-Alben gewesen ist, so safe bringen Porcupine Tree ihr jüngstes Baby nach Hause. Es ist ein Umstand, den man sowohl als positiv als auch als negativ betrachten kann, der als Tatsache jedoch unbestreitbar ist. “Closure/Continuation” hätte – stilistisch betrachtet – in dieser Form auch schon vor zehn Jahren erschienen sein können.
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Stlistisch wohlgemerkt. Denn produktionstechnisch und klanglich sind Porcupine Tree ganz klar auf der Höhe der Zeit. Was ja kein Wunder ist, wenn man Steven Wilsons Zeitvertreib als Remixer der großen Alben der letzten Dekaden im Hinterkopf hat. So gut, und das muss man ganz ohne Umschweife sagen, haben Porcupine Tree in ihrer Karriere noch nie geklungen. Es ist es eine wahre Freude, den drei Musikern beim Musizieren zuzuhören. Insbesondere Gavin Harrison, der hier eine beeindruckende Leistung abliefert. Denn sein so variantenreiches wie gefühlvolles Rhythmus-Spiel dringt in Bereiche der Seele vor, die sonst nur melodiegebenden Instrumenten vorbehalten sind. Und auch wenn Colin Edwin dem ein oder anderen fehlen mag. Wilsons Bass auf diesem Album ist eine Wucht und so gut mit Harrisons Schlagzeug-Spiel abgestimmt, dass die beiden Instrumente alleine schon das Album tragen.
Überhaupt ist “Closure/Continuation” viel mehr ein Bass- als ein Gitarren-Album, was wohl dem Umstand geschadet ist, dass ein Großteil der Lieder auf diesen Instrumenten entstanden ist. Denn am Anfang des Entstehungsprozesses standen lediglich Bass und Schlagzeug. So entwickelte sich ein rhythmisches Grundgerüst, das ausreichend Zwischenräume offenließ, die Richard Barbieri mit seinem so typischen Sounddesign füllen konnte. Und auch Steven Wilson mit seiner Gitarre, die, zwar nicht mehr so dominant ist wie auf früheren Alben, aber natürlich nicht ganz verschwunden ist. Ein Album, das voller Dynamik steckt, das mit Lautstärke spielt und größtenteils ohne echte Höhepunkte auskommt. Denn die sieben (respektive zehn Stücke, insofern man die drei Boni mitrechnet) mäandern gerne vor sich hin. Bäumen sich immer wieder von neuem auf, doch ohne in einem Ausbruch zu kulminieren, sondern um sich immer weiter zu verdichten und anschließend wieder zu entspannen. So bilden Soli auf dieser Platte niemals eine wirkliche Eruption innerhalb eines Stückes, sondern allerhöchstens den Peak eines Wellenkammes.
Ein Stilmittel, das zwar nicht ungewöhnlich ist, in diesem Extrem bei Porcupine Tree jedoch noch nicht anzutreffen war. Grandioses Beispiel für diese Art von Songaufbau ist dabei der Long-Track der Platte: das das Album abschließende ‘Chimera’s Wreck’. Porcupine Trees Verneigung vor den Größen des 70er-Jahre-Progs. Ein Lied, dessen Anfang in ähnlicher Form auch auf “Trespass”, dem Genesis-Vermächtnis von Anthony Phillips, gestanden haben könnte und das nach gut neun-einhalb Minuten im Stile Gentle Giants zu Ende geht. Dazwischen Porcupine Tree at their Best, mit Musik, die sich, um die unheimliche Spannung zu halten, niemals vollends entladen darf. Ganz wie in einer wilden Nacht, in der man stundelang einen Orgasmus unterdrückt, um das Liebesspiel bis in die frühen Morgenstunden fortführen zu können.
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Ansonsten spielen Porcupine Tree sich auf “Closure/Continuation” durch die eigene Bandgeschichte. Nicht chronologisch, sondern die verschiedenen Bandphasen immer wieder auf neue Art und Weise miteinander vereinend. Ausflüge ins Psychedelische der Anfangstage sind dabei genauso vorhanden wie die metallischen Akzente der Periode ab “In Absentia”. Und auch die Pop-Melodien und Wilsons melancholische Gesangslinien, für welche die Balladen der Band so berühmt waren, durchziehen das Album. Jedoch ohne, dass hierbei eine wirkliche Ballade entstanden wäre. Denn hierfür sind die Stücke einfach zu technisch, zu kraftvoll, zu abwechslungsreich und zu schwermütig. Jedenfalls in der Standard-Version von “Closure/Continuation”.
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Dass Porcupine Tree auch noch anders können, zeigen sie dann erst bei den Bonus-Tracks. Denn neben einem Instrumental finden sich hier zwei Lieder, die aufgrund ihres Songaufbaus viel besser ins Ohr gehen, als die Stücke der Standard-Ausgabe. Und so sollten Porcupine-Tree-Fans aller Bandphasen mit “Closure/Continuation” gut bedient sein. Ob sich das Album zum Band-Klassiker wird aufspielen können, bleibt abzuwarten. Als abschließeneds Album einer beeindruckenden Karriere fasst es jedenfalls noch einmal alles zusammen, wofür diese Band so berühmt war. Die komprimierte Essenz einer grandiosen Karriere sozusagen. Ein zukunftsweisendes Progressive-Rock-Album ist “Closure/Continuation” jedoch nicht geworden. Aber das kann ja noch kommen. Sollte sich das Trio gegen Closure und für Continuation entscheiden.
Bewertung: 13,5/15 Punkten (WE 13, FF 13,5, MK 13, JM 13, KR 12, MBü 11)
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Tracklist:
1. ‘Harridan’
2. ‘Of The New Day’
3. ‘Rats Return’
4. ‘Dignity’
5. ‘Herd Culling’
6. ‘Walk The Plank’
7. ‘Chimera’s Wreck’
–
8. ‘Love In The Past Tense’ (Bonus Track)
9. ‘Never Have’ (Bonus Track)
10. ‘Population Three’ (Bonus Track)
Besetzung:
Steven Wilson
Richard Barbieri
Gavin Harrison
Diskografie (Studioalben):
“On The Sunday Of Life…” (1992)
“Up the Downstair” (1993)
“The Sky Moves Sideways” (1995)
“Signify” (1996)
“Stupid Dream” (1999)
“Lightbulb Sun” (2000)
“In Absentia” (2002)
“Deadwing” (2005)
“Fear Of A Blank Planet” (2007)
“The Incident” (2009)
“Closure/Continuation” (2022)
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Rezension: “Octane Twisted” (2013)
Rezension: “The Incident” (2009)
Rezension: “We Lost The Skyline” (2008)
Rezension: “Nil Recurring” (2007)
Rezension: “Fear Of A Blank Planet” (2007)
Rezension: “Deadwing” (2005)
Rezension: “In Absentia” (2002)
Rezension: “Stars Die: The Delerium Years 1991–1997” (2002)
Rezension: “Metanoia” (2001)
Fotostrecke: 31.3.01, Aschaffenburg, Colos-Saal
Fotostrecke: 30.03.01, Karlsruhe, Substage
Rezension: “Lightbulb Sun” (2000)
Rezension: “Voyage 34: The Complete Trip” (2000)
Rezension: “Stupid Dream” (1999)
Rezension: “Coma Divine” (1997)
Interview: Excerpts Rrom An Interview With Steven Wilson (1997)
Rezension: “Signify” (1996)
Rezension: “Monoloop” (EP) (1994)
Abbildungen: Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von Head Of PR zur Verfügung gestellt.
2 Kommentare
Eine der Musik entsprechende, harmonisch-professionelle Rezension – großes Kompliment und Dankeschön!
Vielen lieben Dank für das tolle und nette Feedback. da weiß man, wofür man sich die ganze Arbeit macht.