Therapy?, 20.05.2022, München, Backstage
Therapy?
Vertagte Geburtstagstherapie – Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!
Zwischen Biergarten und Fußball-Video-Leinwänden versteckt sich das Backstage Werk auf dem Gelände des Backstage Kulturzentrums in München. Die Bauweise der recht flachen Halle erinnert stark an eine Schul-Aula. Was vielleicht an der abgesenkten Hallen-Mitte liegen könnte. Der resultierende Vorteil ist, dass man von jeder Position im Backstage Werk einen guten Blick auf die Bühne hat. Zudem versprüht das Bauwerk eine offene und lockere Club-Atmosphäre.
Am heutigen Abend entern die Nordiren von Therapy? die Bühne und schaffen es nach geschlagenen drei verschobenen/neu angekündigten Terminen, ihre Anniversary-Tour “So much for the 30 Year Plan” dann doch noch durchzuziehen. Somit änderte sich das Motto automatisch auf einen 32-Jahresplan. Vom ursprünglich geplanten März 2020 auf den April 2021 und letztendlich auf den heutigen 20. Mai 2022. Gut Ding will Weile haben. Oder in diesem Falle, muss. Dank Corona.
Aufgrund einer unausweichlichen und unbeabsichtigten Verspätung des tastenhackenden und knipsenden Betreuers kann über den Support Act The Sore Losers leider nicht berichtet werden. Aber Gott sei Dank schaffe ich, der alte Fanboy, es immerhin noch pünktlich zum Main-Act. Die “Aula” ist zu entspannten zwei Dritteln gefüllt. Das Publikum ist ein Querschnitt durch alle Altersgruppen. Und man merkt den Therapy?-Fans an, dass sie sich auf einen gelassenen Best-Of-Abend der Band vorbereiten, mit ehrlichem Punk-, Noise- und Alternative Rock.
Anfang der 90er begannen die Nordiren mit ihrem rauen Stilmix. Mit ihrem zweiten Album “Troublgeum” (1994) und dessen Nachfolger “Infernal Love” (1995) enterten sie europaweit die Charts und flimmerten mit ihren Hits regelmäßig auf dem damals noch relevanten Musiksender MTV. Leider hielt der Erfolg nicht lange an, und die Band buk seitdem eher kleine Brötchen im Musikbusiness. Jedoch hielt sie das nie davon ab, verdammt nochmal einfach weiterzumachen. Und das ohne sich in irgendeiner Weise auf andere Bahnen schieben zu lassen oder einem Trend zu folgen, nur um dem Erfolg hinterherzujagen. Das dürften wohl die meisten ihrer Fans an ihnen schätzen. Therapy? sind nun einmal Therapy?… Man weiß, was man bekommt, dafür aber in “geil”.
Zurück zur “Aula der Münchener Gesamtschule Backstage”. Die doch recht dampfige und schweißtreibende Temperierung – wo zum Teufel hängen die Klimaanlagen? – lässt anfangs schon etwas atembare Luft missen. Aber die in Würde gealterte Alternative-Rock-Mittelschicht, die kleinere bis mittlere Gigs sicher gewohnt ist, lässt das gerne über sich ergehen. Die etwas längeren Wartezeiten am Getränkestand lassen sich aufgrund der üppigen Auswahl an Biersorten und einem noch erträglichen Preis von ca. 3,50€ verschmerzen.
Die drei Therapeuten starten ihre Show pünktlich mit dem Debütalbum-Opener ‘Nausea’. Gewohnt entschlackt, also nur mit dem Allernötigsten, das für guten alternativen Punk Rock gebraucht wird. Eine Gitarre, ein Bass, ein Schlagwerk. Therapy? benötigen auch keine Videoleinwände, Requisiten oder sonstigen Klimbim, sondern liefern einfach nur das ab, was die Gäste am heutigen Abend hören wollen. Ihre besten Songs. Und die kommen mit überraschend gutem und druckvollem Sound.
Gefühlt ohne jegliche Pausen servieren die drei ihre Setlist in bekannter energiegeladener Art. Während Sänger und Gitarrist Andy Cairns seine Riffs und Vocals immer noch genauso temperamentvoll heraushaut, wirbelt ein Bass-spielender Micheal McKeegan breit grinsend und sichtlich erfreut über das, was er tut und was sich im Backstage tut, auf der anderen Bühenhälfte hin und her. Die Bassgitarre ist übrigens herrlich markant und deutlich im Gesamtsound wahrnehmbar.
Das sich Neil Cooper hinter seinen Drums die Seele aus dem Leib trommelt, dürfte jedem schnell auffallen. Wie ein Duracell-Häschen scheint er alles zu geben. Und es steckt offensichtlich so einiges in dem 48-jährigen Engländer. Nicht nur seine körperliche Leistung muss gewürdigt werden, sondern auch sein Drumsolo, welches gut ankommt und ordentlich einheizt. Und das auch noch direkt nach dem sowieso schon anfeuernden Fanliebling ‘Potato Junkie’ und dessen im Fan-Chor schallender Hook “James Joyce is fucking my sister…”
Bis auf einen neuen Song (‘Joy’), der auf dem kommenden Album erscheinen wird, spielen Therapy? sich einmal quer durch ihren Backkatalog. Neben den Hits wie ‘Nowhere’, ‘Screamager’, ‘Die Laughing’ und ‘Diane’ erfreut sich die heitere Zuhörerschaft auch an Songs der letzten beiden Alben “Cleave” und “Disquiet”. Und die fallen sicher nicht hinten runter, wenn man es an der Begeisterung der Fans misst. Denn ‘Callow’, ‘Kakistocracy’ und ‘Sill Hurts’ funktionieren genauso gut wie die Gassenhauer von “Troublegum”. Unter Genießern wird “Disquiet” übrigens gerne als “Troublegum 2” bezeichnet. Aber nur hinter hervorgehaltener Hand versteht sich. Wir wollen ja keinen Streit.
Dass neben dem Joy-Division-Cover ‘Isolation’ und dem Hüsker-Dü-Cover ‘Diane’ auch ‘Breaking the Law’ von Judas Priest auf der Setlist steht – trotz des enormen Backkatalogs der Band – wird von der Audienz gut aufgenommen und abgefeiert. Aufgrund des durchschnittlich im Alter gereiften Therapy?-Fans gibt es keine großen Pogo- und Stage-Diving-Aktionen, was der Stimmung aber natürlich keinen Abbruch tut.
Die ein- und dreiviertel Stunde vergeht wie im Flug, und man würde gern noch eine Stunde hinten dranhängen. Therapy? liefern keinen einzigen trägen Toiletten-Geh-Moment, zum Leidwesen der Blase, sondern nutzen die Zeit vollends aus. Ein Konzert, welches das Können der Band und vor allem ihre ungebrochene Lust an dem, was sie machen, widerspiegelt. Eine Truppe, die nun seit 32 Jahren ihr eigenes Ding macht und mit langem Atem durch erfolgreiche, aber auch maue Zeiten gegangen ist, zeigt sich noch immer motiviert, auf dem Boden geblieben und mit viel Bock auf die Sache. Ist es nicht das, was gute Musiker ausmacht? Nicht die Schwierigkeit oder Virtuosität ihrer Musik oder das erklimmen von Charts, sondern die Freude am Musikmachen – und dass man den Fans zeigt, auch in stickigen kleinen “Aulen”, wie stolz man auf sich und vor allem seine Fangemeinde ist.
Bewertung: 12/15 Punkten
Fotos: Martin Kopp
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Veranstalter: Backstage Concerts GmbH
Venue: Backstage Kulturzentrum München