(41:52; Vinyl, CD, MC, 8-Track-Tape, Digital; EMI/ Capitol, 1967)
Was ist das für ein Album, auf dem zwar Pink Floyd steht, das aber oftmals weit unter dem Radar vieler “Dark Side of the Moon“-Fans liegt. Das bei Psych-Rock-Fans hingegen ganz oben auf der Liste steht? Dieses eine Debütalbum mit diesen vier schnieke aussehenden Jungs – garantiert der Traum einer jeden Schwiegermutter. Ziemlich trashig wirkt das durch eine Prisma-Linse aufgenommene Foto der Pink-Floyd-Gründungsbesetzung – das man sich übrigens von George Harrison ausgeliehen hat. Gerade mal im Studentenalter und modetechnisch noch tief in den 60er Jahren steckend, zieren sie das Cover ihres Debütalbums “The Piper at the Gates of Dawn”. Was dieses Cover ausstrahlen soll, liegt auf der Hand. Psychedelik.
Wir schreiben das Jahr 1967. Der ganz frisch aufgekommene Psychedelic Rock überrollte die Beat-Ära der frühen 60er Jahre und der braven, zugeknöpften Vorstadt-Jugend. Psych-Rock steht für Freizügigkeit, Grenzenlosigkeit, Bewusstseinserweiterung und Weltoffenheit. Gerade Letzteres spiegelt sich in der Musik wieder. Die Beatles veröffentlichten ein Jahr zuvor “Revolver” und trieben den neuen Jugendstil deutlich an. 1967 war ein Jahr, welches eine Reihe an großen Psych-Rock Alben hervorbrachte. Love veröffentlichten “Forever Changes”, Cream “Disraeli Gears”, The Moody Blues “Day of Future Passed”, Procol Harum ihr gleichnamiges Debüt und The Beatles ihr Überalbum “Sgt.Pepper and the Lonely Hearts Club Band”. In dieser starken und fast schon explosionsartigen Musiktransformation warfen auch die jungen Barrett, Water, Mason und Wright ihr Erstlingswerk auf den Markt. Und wie sollte es auch anders sein, es erklomm Platz 6 der britischen Albumcharts. Immerhin kam es genau zur richtigen Zeit. Auch sollte man nicht vergessen, dass Pink Floyd sich schon seit mehr als einem Jahr einen Namen als Live-Band im Londoner Untergrund machte und bereits als wichtige Formation in der Psych-Rock-Bewegung galt.
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“The Piper at the Gates of Dawn” haut natürlich voll in die Psych-Kerbe. Auf der einen Seite steht noch die geradlinige Beatmusik, andererseits brechen die vier Engländer mit der Einfachheit des Genre und treiben ihre Musik mit fast hypnotisch wirkenden Wiederholungen und Improvisationen in die Länge. Die langen, improvisierten Live-Stücke der Band übernahm man aufs Album und fügte kürzere Tracks aus Syd Barretts Feder hinzu. So einen ganzen Longplayer zu füllen, stellte natürlich eine schwierige Aufgabe dar. Das Konzept der endlos wirkenden Improvisation arbeitete Pink Floyd noch bis in die 70er zur Perfektion aus und sollte ihr Markenzeichen werden – wenn sie nicht gerade Alan Parsons beim Frühstückmachen aufnahmen.
Während der Nachfolger “A Saucerful of Secrets” schon viel erwachsener und kompakter klingt, wirkt der “Piper” stellenweise noch schrullig und an einigen Stellen schon fast naiv. Interessant sind aber die Details, die Nick Mason am Schlagzeug oder Rick Wright an Orgel und Keyboard einfließen lassen. Genau die sind es, die den Songs neben den ausufernden Psych-Entgleisungen auch einen free-jazzigen Charakter geben. Zu hören ist das bei ‘Interstellar Overdrive’, ‘Take Up Thy Stethoscope and Walk’ und ‘Pow R. Toc H.’.
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Der Aufbau von spährischen Klangteppichen wie bei ‘Astronomy Dominé’ und der vordergründige markante Bass von Roger Waters (‘Lucifer Sam’) sind die markanten Eckpfeiler der frühen Phase von Pink Floyd.
Gelegentlich begegnet man der Ansicht, “The Piper at the Gates of Dawn” sei eine Aneinanderreihung von Titeln die gar nicht zusammen passen. Aber erst im ganzen Hördurchgang merkt man dem Album seine Genialität an. Erst dann spürt man die starke Reibung zwischen naiver Beatmusik (‘The Gnome’, ‘The Scarecrow’, ‘Bike’) und den LSD geschwängerten psychedelischen Improvisationen. Ein großartig wirkender Mix, der überzeugt weiß und alles andere als nur ein kurzweiliges “nettes” Hörvergnügen bietet. Textlich ist man jedoch noch weit von wirklichen Konzeptalben entfernt. So behandeln Pink Floyd hier neben Weltraum-Fantasien auch Stories über Zwerge, Vogelscheuchen und Fahrräder.
Die Plattenfirma EMI ließ den vier Engländern freie Hand bei der Produktion. An Pink Floyd war es nun, ihre Live Stimmung so gut wie möglich aufs Band zu bekommen. LSD war übrigens ziemlich sicher ein Teil des kreativen Prozesses. In der ersten Auflage noch in Mono, wurde bei den Stereoversionen deutlich mit starken Panning gespielt, was damals zur Einführung von Stereo gerne mal überzogen gemacht wurde. Soundtechnisch kling der “Piper” aber klar und recht nah und direkt, was für Aufnahmen der 60er Jahre aber oftmals typisch war.
Wer vielleicht bisher einen Bogen um “Piper” gemacht hat, der sollte dem Album ruhig mal eine Chance geben und sich hier in Ruhe die Dreiviertelstunde Zeit nehmen. Zu empfehlen ist klanglich definitiv die Vinyl-Form. Zwar schlägt die britische Erstpressung in Mono im besseren Zustand mit 700 € aufwärts zu Buche. Aber eine gut erhaltene deutsche Pressung bleibt mit 30-50 € noch im Rahmen. Vorsicht aber bei frühen US-Pressungen, denn die enthielten nicht ‘Astronomy Dominé’, ‘Bike’ und ‘Flaming’. Wer auf das Cover verzichten kann, der sollte auch einen Blick auf das Doppelpack “A Nice Pair” werfen, bei dem noch “A Saucerful of Secrets” mit dabei ist. Klanglich und preislich ist die im Verhältnis nämlich unschlagbar. Natürlich kann man auch auf CD ausweichen, man büßt hier aber deutlich an Charakter und Wärme ein. Und diesen akustischen Flair möchte man nicht missen.
Schlussendlich ist “The Pipers at the Gates of Dawn” natürlich nicht mit “The Dark Side of the Moon” oder “Wish You Were Here” zu vergleichen. Die Frühphase von Pink Floyd stellt einen harten Kontrast zur späteren Hochphase der Band dar. Doch dieser Mix aus Beatles-esquem Popcharme, Improvisationen und LSD- geschwängerter Studentenpartyluft fasziniert auch heute noch. Die Band hat sich nach dem Weggang von Syd Barrett fast komplett gewandelt. War der exzentrische und fantasievolle Barrett hier noch der Autor fast aller Songs, zeigt sich auf späteren Alben mehr und mehr die Handschrift von Waters und dem 1968 hinzugestoßenen David Gilmour. Auch das recht schnelle Ende der Psych-Rock-Welle und die Metamorphose in den Prog-Rock steht schon Anfang der 70er Jahre an. Mit dieser schwammen die vier fleißig mit.
Live zu bestaunen gibt es einen großen Teil des Albums auf der Tour von Nick Mason´s Saucerful of Secrets. Die legen ihren Schwerpunkt nämlich hauptsächlich auf die Frühphase von Pink Floyd. Zurecht wie ich finde.
Links zu Pink Floyd – “The Piper at the Gates of Dawn”:
Homepage
Discogs (Infos, Pressungen, Releases)
Wikipedia
YouTube
Spotify
Tidal
Deezer
Qobuz
Abbildungen: Martin Kopp
4 Kommentare
Schöner Bericht
Vielen Dank!
Hallo Martin, du hast die Magie der frühen Musik der vier Briten sehr schön analysiert und beschrieben. Auf den folgenden Alben, besonders auch in den Soundtracks More und Obscured By Clouds, aber auch beim Live-Studio-Split Ummagumma, strahlen The Crazy Diamonds immer wieder durch. Einige dieser Mosaikstücke konnte ich am 07. Mai 2022 in der Westfalenhalle bei Green und Symphonic Floyd Live und in Farbe wieder mal erleben. Und die Magie wirkt immer noch !! Pink Floyd sei es gedankt !! Ich habe ALLE originalle Vinyls aus der Zeit Ende der 60er und Anfang der 70er und der Klang ist nicht nur technisch analysiert anders, sondern auch hier entsteht durch die elektromechanische Wandlung von Rille, auf Nadel, auf bewegliche Spule/Kern (je nach Tonabnehmer) ein anderes Klangbild. Für diese Art von Hören MUSS man sich Zeit nehmen, aber das Eintauchen in diesen Klangkosmos transportiert mich immer wieder in die Zeit der Ende 60er. Sehr schöne Rubrik, mit einem sehr schönen Beitrag, von einem Liebhaber !! Danke dir sehr, Martin !! Klingende Grüsse vom SchoTTen
Vielen Dank Roland! Das freut mich. Ja, ich nehme mir viel Zeit, nicht nur für neue Musik, sondern auch für alte Klassiker. Da braucht es nicht viel, sondern nur eine Couch, ein Getränk, das Cover in der Hand und das wars. Das machen heutzutage leider nur noch wenige, und hören meistens nur noch “nebenbei” Musik.
Wie du siehst, besitze ich leider nicht die Originalpressung. Bei meiner handelt es sich um eine späte 70er oder frühen 80er Pressung. Fame stand eher für eine günstige Auflage. Werde aber früher oder später versuchen zumindest frühe UK Pressungen zu ergattern.