Vorurteillosis
Anlässlich der Würdigung des Prognosis-Auftritts von Novena hatten wir ja noch Auslassungen zum Thema Musik rezensieren vs. Vorurteile angedroht. Here they are.
Also munter hinein in die peinlichen Geständnisse: Autor dieses ist – wie vermutlich die meisten Prog-Metal-Fans durchaus ein Fan von Haken, ‘As Death Embraces’ ist sogar so etwas wie einer der Lieblingssongs für die Insel. Entsprechend häufig wurden die Briten natürlich auch livehaftig gesehen. Aber leider stets mit dem Effekt, dass das Geschehen am ästhetischsten mit geschlossenen Augen gewirkt hat. Irgendwas an dem Agieren des grundsätzlich großartigen Mikrofon-Hakens Ross Jennings führte immer dazu, dass ich das lieber nur hören, statt auch noch sehen wollte. Schnell war ein Vorurteil ausgebrütet: “dieser eitle Minipli-Fatzke”. Von dem phantastischen und jeden Wunsch nach Street Credibility und Heavyness bedienenden Novena-Gig fast kuriert, hat mich das intime Solo-Set an diesem frühen Samstagnachmittag dann endgültig als R.J.-Fan zurückgelassen.
Der kleine Saal war um 14 Uhr, also zu einer für manch eine/n noch unchristlichen Stunde, schon schmeichelhaft gut gefüllt. Wofür sich der Barde mehr als einmal sehr glaubhaft bedankte. Bereits der Aufmacher ‘Rocket Science’ verriet, wie wunderbar dieses Konzept “ein Mann, eine Gitarre, ein virtuelles Lagerfeuer und eine Stimme” hier aufging.
Eine Live-Erstaufführung sollte das besonders rhythmische ‘Violet’ dargestellt haben. Eine vergleichsweise poppig-fröhlich klingende Nummer, bei der es doch um “some wasted years” geht – also gewissermaßen ein Effekt wie bei The Smiths.
Doch im Folgenden blieb – wie ja auch naheliegend – das Album “A Shadow Of My Future Self” (2022) im Fokus. Zunächst mit dem total uneitel, ja eher betroffen anmoderierten, offensichtlich stark biographischen Beziehungsdrama ‘Words We Can’t Unsay’.
Großes Gejohle, als Ross für ‘Disconnected’ seinen Novena-Mittäter Harrison White auf die Bühne komplimentierte. Die Erklärung des Gastgebers: “Im not really a guitar player”. Der Gitarrist erhielt zur Belohnung leihweise Ross‘ sechssaitige Akustikgitarre, der wiederum sich dafür eine akustische Zwölfsaitige schnappte. “Put your hands together, this is a pop song”. Und auch da ließ sich der Kleine Zaal nicht lange bitten. Ebenso wenig wie erst das Publikum und dann Harrison bei der Frage, ob er noch für eine Weise bleiben wolle: “Shall we keep him?” Da gab es natürlich rückhaltlose Zustimmung. Die zweite Duo-Nummer war mit ‘Solsbury Hill’ ein Cover – inklusive deftiger Verspieler und textlicher Lücken. Damit ging Ross um, indem er das begeisterte Publikum nach fehlenden Zeilen fragte. Besser kann man damit wohl kaum umgehen, wenn es dann halt mal passiert. Ross nach Beendigung des Stückes:
Sorry, Peter Gabriel!
Nach ‘Catcher In The Rye’ wurden mit ‘The Mind’s Eye’ (hier mehr nach CSN&Y klingend) und dem unsterblich schönen ‘Deathless’ sogar noch zwei Haken-Nummern zum Besten gegeben. ‘Grounded’ und ‘Feelings’ beendeten schließlich einen Auftritt der großen Gefühle. Schnelles Fazit, gezogen vor dem fliegenden Wechsel zur großen Halle und zu The New Death Cult: So falsch kann man liegen. Der Typ ist kein bisschen arrogant, sondern vielmehr humorvoll, selbstironisch ohne Ende und ein ausgesprochen charmanter Entertainer. Seine Stimme war immer schon beeindruckend – er kann einfach alles: in sechs Takten von ultrahoch zu Screams, dann Growls bis hin zu Crooning.
Bewertung: 12/15 Punkten (FF 12, KR, 12)
Live-Fotos: flohfish
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Rezension “A Shadow Of My Future Selfe (2022)
Weitere Surftipps:
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Festivalbericht Prognosis, Teil 2: Argus
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