Madrugada – Chimes At Midnight
(58:29; Vinyl (2LP), CD, Digital; Warner Music, 2022)
Nachdem Madrugada im Jahre 2001 ihr zweites Album “The Nightly Disease” veröffentlicht hatten, gingen sie wenige Monate später auf große Tournee. Dabei führte ihr Weg sie auch in die Region Eifel-Mosel-Hunsrück, so dass der Schreiber dieser Zeilen sich damals entscheiden musste, ob er sich die Norweger beim gewaltigen Rock am Ring oder beim Kama Festival in Idar-Oberstein geben wollte. Der Ring kostete damals nicht nur gefühlt das Zehnfache an Eintrittsgeld im Vergleich zum Festival an der Nahe, sondern war auch von seiner Natur her eine ganz andere Liga. Und so fiel die Entscheidung für den damals Anfang Zwanzig-jährigen nicht schwer. Denn die Vorstellung, ein melancholisch-intimes Stück wie ‘Black Mambo’ inmitten einer riesigen Menschenmenge hören zu müssen, fühlte sich einfach falsch an.
21 jahre später haben sich die Umstände ein wenig verändert. Madrugada haben mit “Chimes At Midnight” ihr mittlerweile sechstes Studio-Album veröffentlicht. Es sind zwei Jahrzehnte, in denen viel passiert ist, bzw. für viele Jahre eigentlich gar nichts. Denn nachdem Gitarrist Robert Burås im Juli 2007 kurz vor seinem 32. Geburtstag tot in einem Osloer Appartement aufgefunden worden war, stellte man nur noch das sich gerade in Arbeit befindende Album “Madrugada” fertig. Danach gab es noch eine kurze Farewell-Tour, bis sich die Gruppe am 15. November 2008, nach einer ausverkauften Show im Osloer Spektrum, endgültig auflöste.
Doch wie das mit Enden so ist, haben auch diese manchmal ein Ende, sodass sich Madrugada im Jahre 2019 zu einer Comeback-Tournee zusammenfanden, um ihr Debüt-Album “Industrial Silence” wiederaufzuführen. Womit keiner gerechnet hatte: um Madrugada hatte sich während des Hiatus eine Art Kult entwickelt, so dass die Formation plötzlich gefragter war als vor ihrer Zwangspause. Und so reifte bei den verbliebenen Gründungsmitgliedern Sivert Høyem, Frode Jacobsen und Jon Lauvland Pettersen die Idee, ein neues Album aufzunehemen. Und so ging es von den Bühnen Europas ohne Umschweife direkt ins Aufnahmestudio. Bassist Frode Jacobsen hierzu:
Wir hatten einen engen Zeitplan . Wir buchten uns Ende Februar im Sunset Sound Studio in Los Angeles ein und hatten etwa anderthalb Monate Zeit, um das Material zu entwickeln und in Form zu bringen. Es lief wie am Schnürchen. Wir waren immer noch high vom Touren und nahmen diese Energie mit in die Aufnahmekabine.
Die Jahre sind natürlich nicht spurlos an Madrugada vorbeigegangen. Doch obwohl 30 Prozent des Materials auf ältere Ideen zurückgehen, klingen die Norweger auf “Chimes At Midnight” deutlich gereift. Vor allem, wenn man die Platte mit dem eingangs erwähnten Rohdiamanten “Nifghtly Disease” vergleicht. So klangen Madrugada Anfang des Jahrtausends nämlich noch impulsiv und ungeschliffen. Eben wie eine Band aus dem Underground, die sie ja damals noch waren. “Chimes At Midnight” dagegen schimmert wie ein geschliffener Brillant. Ein Edelstein, der zwar auch einmal aus dem Untergrund stammte, es aber zum Hochglanz gebracht hat. Schlagzeuger Lauvland Pettersen hierzu:
Der Prozess unterschied sich grundlegend von den Aufnahmen meines letzten Albums mit der Band (“The Nightly Disease”, Anm. der Redaktion). Damals war es ein klassischer Fall von ‘Zweites-Album-Syndrom’ – wir hatten nicht viel vorbereitet, sondern gingen einfach rein und versuchten, das Beste aus der gegebenen Zeit herauszuholen. Diesmal wurde das Material im Vorfeld nicht nur geschrieben, sondern auch sorgfältig arrangiert.
Punkige Blues Rocker bleiben Madrugada mit “Chimes At Midnight” auch weiterhin. Denn an der musikalischen DNA der Skandinavier hat sich noch immer nichts geändert. Punkiger Blues Rock allerdings, der nicht mehr das dreckige Antlitz der Anfangstage besitzt, sondern eine edle Schicht Patina trägt. Es ist eine Altersschönheit, die der Musik Madrugadas Größe und Würde verleiht.
Und so sehnt man sich nach dem Hören des Albums nach einem Auftritt auf den großen Bühnen der Welt. Denn die Vorstellung, sich ein sehnsüchtig-erhabenes Stück wie ‘Stabat Mater’ auf einem mickrigen Kleinstadt-Festival anhören zu müssen, fühlt sich einfach falsch an.
Bewertung: 12/15 Punkte (FF 12, KR 12)
Besetzung:
Sivert Høyem (Vocals, Guitar, Tambourine)
Frode Jacobsen (Bass Guitar, Guitar)
Jon Lauvland Pettersen (Drums, Percussion)
Gastmusiker:
Lacey Guthrie (Backing Vocals)
Cato Thommassen (Guitar, Keyboards)
Christer Knutsen (Guitar, Keyboards, Backing Vocals
Rob McVey (Guitar)
Kevin Ratterman (Keyboards, Guitar, Loops)
Erland Dahlen (Percussion, Saw)
The Section Quartet – Strings
Freddy Holm (Violin, Pedal Steel Guitar, E-Bow)
Diskografie (Studioalben):
“Industrial Silence” (1999)
“The Nightly Disease” (2001)
“Grit” (2002)
“The Deep End” (2005)
“Madrugada” (2008)
“Chimes at Midnight” (2022)
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Rezension: “The Best Of” (2011)
Abbildungen: Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von Oktober Promotion zur Verfügung gestellt.