(5LP Single-Sided, Black Vinyl, Etched; Tool Dissectional; 2022)
Der VinylCorner wird wiederbelebt! Reanimation! Vinyl braucht Betreuung!
Zwischen der Band Tool und dem Medium Schallplatte schienen tiefe, bisher unüberwindbare Gräben zu liegen. Die Prog-Metal-Band hatte das Thema Vinyl bisher fast gänzlich abgelehnt oder es recht unfreundlich behandelt.
Trotz immer wachsender Verkaufszahlen und trotz enorm lauter Rufe der Fangemeinde war die Hoffnung auf Vinyl-Releases von Keenan, Carey und Co. nahezu vergebens. Zwar gibt es die Alben “Lateralus” (Picture LP) und “Undertow” sowie die EP “Opiate” käuflich zu erwerben, aber bei den restlichen Werken der Band sieht es schlecht aus. Von “Ænima” gab es noch die ein oder andere Pressung, aber das war es dann auch schon. Wer dann eine originale “Ænima” erwerben möchte, der muss schon weit über 1.000 Euro auf dem Gebrauchtmarkt hinlegen. Viele Fans besorgten sich aus Mangel von Originalpressungen Counterfeits (Raubkopien) und befriedigten so auf illegalem Wege ihre Plattensucht.
Gerüchten zufolge gab es sogar schon fertige Vinyl-Master für alle Tool-Alben, doch die Band stellte sich bislang stur dagegen und hielt die Produktion zurück. Wie viel Wahrheit in diesem Gerücht steckt, ist umstritten.
Überraschenderweise kündigten Tool aber nun Anfang des Jahres die Veröffentlichung einer limitierten 5LP Deluxe Vinyl Box für das aktuelle und überragende Album “Fear Inoculum” an. Die Rezension zum Album findet ihr HIER. Die Info ging rasend schnell durch die sozialen Netzwerke. Endlich eine offizielle Pressung von “Fear Incolum”. Jedoch trübte eine Sache die Vorfreude und schreckte einige Interessenten vom Vorverkauf ab: Der Preis!
Die gute Box bewegt sich im Bereich von stolzen 160€! Wie bitte? Ernsthaft? Für das Geld kann man sich momentan ebenso auch zehn Flaschen Sonnenblumenöl kaufen! Lieber noch mal nachsehen, was in der Box enthalten ist. Fünf LPs, ein Booklet und viel Design. Hm. Fünf LPs? Ja, aber leider nur einseitig gepresst. Die nicht gerillten Seiten bekamen ein Etching (Eingepresste Grafik, ohne musikalische Funktion). Also wirklich ein stolzer Preis!
Man muss nun aber bedenken, dass das Thema Vinyl eine Luxussache geworden ist. Die Presswerke sind ausgelastet mit Aufträgen, und für die Plattenfirmen stellt die Herausgabe einer Schallplatte ein großes Risiko dar. Nirgendwo liegen Gewinn und Verlust so nah beieinander wie bei der Vinyl-Produktion.
Ein Pokerspiel, denn wenn die Platte nicht annähernd zum Veröffentlichungstermin im Regal steht, steigen die Konsumenten schnell auf andere Medien um. Der Verkaufserfolg leidet dann vor allem bei kleineren Künstlern.
Zurück zum Thema Preis. Heutzutage geht es nicht mehr nur um die Musik, sondern vielmehr um das Paket. Das Design, die Haptik, das “Feeling”. Und die “Tool – Fear Inoculum Deluxe 5LP Box” bietet auf dieser Seite definitiv einen Mehrwert.
Die Box ist wie ein Audiobook aufgebaut. Ein Hardcover, in dem die Platten wie die Seiten in einem Buch eingebracht werden. Dazu ein hochwertiges Booklet und hochwertige Materialien. Das Booklet ist mit extrem hochauflösenden Illustrierungen gefüllt, und die Seiten haben eine gummiartige Struktur. Das wirkt wahnsinnig wertvoll und lässt sich gut anfassen. So wird die audiovisuelle Wahrnehmung mit taktilen Eindrücken ergänzt. Der Einband und der Schuber sind in Hochglanz. Man kann definitv sagen, dass das Package dem Album würdig ist. Positiv ist noch, dass man hier nicht mit 20 verschiedenen Vinyl-Farben an den Markt geht und Presswerke blockiert, sondern sich auf eine Farbe beschränkt. Zum Glück bekommt man hier laminierte Innenhüllen. Das wiederum sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, denn einfache Papier-Sleeves hinterlassen böse Hairlines.
Im Gegensatz zu vielen anderen mehr als unnötigen Re-Issues, die auf den Markt gespült werden, stellen Tool uns hier ein kleines Kunstwerk hin. Das passt in den ganzen Tool-Kosmos wunderbar rein. Dieses Image der immer wieder lange von der Bildfläche verschwundenen Band lebt von der Reibung in der Musikpresse und von ihrer eigenwilligen Release-Politik. Ein ewiges Warten auf Neues. Das förderte das Verlangen bei den Fans.
Nun zur Qualität des Produktes…
Die Platten haben in meinem Fall eine minimale konische Wölbung zum Mittelpunkt hin, sind aber dennoch nicht wellig. Schuld daran ist wohl die einseitge Pressung, aber auch die viel zu kurzen Abkühlzeiten nach dem Pressen der Platte. Die Zeit drängt nun mal, das Orderbook ist proppenvoll. Also haut man raus, was geht und spart an (un)nötigen Kühlzeiten.
Der Sound der fünf einseitigen LPs hingegen ist wunderbar. Eine breite Soundbühne baut sich auf, die Details sind wunderbar zu vernehmen. Ein direkter Unterschied zur digitalen Version und sogar zur CD ist sofort spürbar. Subjektiv toppt das Vinyl-Master alle anderen Versionen. Die Auflösung ist wirklich perfekt gelungen! Die verschiedenen Toms von Danny Carey klingen so detailreich und knackig… Wow! Die Musik stellt sich zudem breit im Stereodreieck auf und glänzt mit viel Dynamik. Dabei pumpt man die tiefen Frequenzen nicht so sehr auf, sondern lässt dem gesamten Frequenzband mehr Raum. Feinheiten sind somit leichter zu vernehmen und die Musik wirkt leichter. Die Nebengeräusche der Pressung sind sehr gering und kaum wahrnehmbar. So soll es sein! Wunderbar. Dem audiophilen Anspruch ist man hier nachgekommen.
Für das Master hat man sich übrigens für einen der Besten auf dem Gebiet entschieden. Chris Bellman von Bernie Grundmann Mastering. Die Musik wurde hier auch nicht zu weit in die Plattenmitte gepresst, was der Dynamik zugutekommt. Je weiter die Rillen zur Mitte gehen, umso schlechter die Dynamik. Aus diesem Grunde wird heute ein Langspieler, der locker auf eine Platte passen würde, gerne auf zwei Scheiben ausgedehnt. Man hat dann einen größeren Auslaufbereich, und die letzten Songs einer Seite verlieren nicht an Soundqualität.
Jeder muss nun für sich selbst entscheiden, ob der Preis gerechtfertigt ist. Wer hier zuschlägt, der wird definitiv glücklich werden. Denn hier wird einem ein audiophiler Ohrenschmaus sondergleichen serviert!
Bleibt nun zu hoffen, dass Tool weitere Vinyl-Releases, vor allem in dieser Qualität, für ihren Backkatalog anstreben.
Hoffen wir es mal.
Abbildungen: Martin Kopp
5 Kommentare
Zitat: “Ein direkter Unterschied zur digitalen Version und sogar zur CD ist sofort spürbar.”
Ich bin selbst eingefleischter Vinylhörer, aber den Satz nimmt dir niemand mit einem Restbesitz an Objektivität ab. 😉
Hi Falk,
es kommt natürlich auch immer auf das System an, welches man verwendet. Ich habe alle 3 Versionen gehört, und kann das noch immer unterstreichen. Zumal die Vinylversion ja ein eigenes Master besitzt. Auch und vorallem deshalb, ist der Unterschied spürbar.
Ja, da ist immer sehr viel Vinyl-Romantisierung im Spiel. Aber gelegentlich sind die Masterings von Platte schon besser. Meine Box, bestellt nach dem Lesen dieser Rezi, sollte morgen kommen. Ich lass mich überraschen.
Klasse Rezension Martin – Ich habe lange gezögert, war vom Preis abgeschreckt, abgestossen aber nun ist die Entscheidung getroffen – Ich liebe Kunstwerke und ich freue mich diese Box zu erkunden – Danke Dir
Das ist schön zu hören, dass dir meine Rezension gefallen, und dir bei deiner Entscheidung geholfen hat. Vielen Dank!
Beste Grüße
Martin