Esch-Sur-Alzette. Esch an der Alzette. Esch-Uelzecht. Gar nicht so einfach mit den Städtenamen in einem dreisprachigen Land! Doch ganz egal, wie man die zweitgrößte Stadt des Großherzogtums Luxemburg jetzt nennen mag. Esch ist Europäische Kulturhauptstadt 2022. Zusammen mit dem litauischen Kaunas und Novi Sad, der Hauptstadt der serbischen Provinz Voivodiana. Ein Umstand, der sich für den Autor dieser Zeilen als Glücksfall erwiesen hat, denn das kulturelle Angebot, mit dem die Luxemburger auffahren, wirft auch so einiges Interessantes für Freunde progressiver Töne ab. Und so nutzt man die Nähe zum Nachbarland nicht nur dazu, sich Bands live anzuschauen, die man schätzt oder gar innig liebt, sondern manchmal auch dazu, Konzerten beizuwohnen, deren Protagonisten man nur dem Namen nach kennt. Natürlich werden einige nun laut aufschreien und fragen, wie man denn Russian Circles nicht kennen kann. Doch zu deren Beruhigung kann man ja jetzt verkünden, dass dem nicht mehr so ist. Denn Russsian Circles traten in der Escher Kulturfabrik auf und der Prog-Betreuer flohfish war live mit dabei.
Apropos Kulturfabrik: eine Location, die unbedingt einen Besuch wert ist. Denn neben einer großen und kleinen Bühne umfasst das Areal eines ehemaligen Schlachthofes auch ein Kino, eine Gallerie, eine Brasserie, eine Bar sowie einen gemütlichen Innenhof mit Tischen, Sitzgelegenheiten und Foodtrucks.
Helms Alee
Lustigerweise waren die vielen Zuschauern unbekannten Helms Alee, im Gegensatz zum Headliner, kein vollkommenes musikalisches Neuland mehr für den Autoren. Denn die Promo zum neuen Album “Keep This Be The Way” war wenige Tage vor dem Konzertabend an die Musikjournaille verschickt worden. Erste Eindrücke wiesen Parallelen zu älteren Alben von Gggolddd auf. Doch für mehr hatte die Zeit leider nicht gereicht, sodass das das Trio aus Seattle auch weiterhin ein Überraschungspaket blieb. Schon der Bühnenaufbau ließ Interessantes erwarten, denn in der Mitte der Bühne, dort wo sich normalerwise der Mikrofon-Ständer des Sängers befindet, stand dicht vorm Publikum ein Schlagzeug aufgebaut. Dies war jedoch kein besonders experimentelles Member-Placement, wie man es bspw. schon bei Cataya beobachten konnte (vgl. Gloomaar Festival 2021), sondern hatte ganz praktische Gründe. Denn Helms Alle entpuppten sich als Formation, deren Lead-Sängerin Hozoji Matheson-Margullis auch gleichzeitig für das Verprügeln der Felle verantortlich ist. Flankiert wurde sie dabei von ihren beiden Kollegen. Bassistin Dana James zu ihrer Rechten und Gitarrist Ben Verellen auf der linken Seite der Bühne.
Lead-Sängerin blieb Frau Matheson-Margullis allerdings nicht lange, denn im Laufe des Auftrittes wechselten sich die drei Musiker immer wieder in der Rolle des Fronters ab. Ohne dabei jedoch ihre Positionen zu wechseln. Dem Bühnengeschehen verlieh dies Dynamik und dem Klangbild gehörigen Abwechslungsreichtum. Musikalisch waren Helms Alee dabei tatsächlich nicht so weit von Gold entfernt. Avantgardistisch, “POSTalisch”. Und progressiv.
Dazu ein wenig Stoner-Rock und eine leichte Sludge-Schlagseite. Oder war es doch nur die nicht ganz so perfekte Abmischung des Sounds? Ganz egal. Leichte Defizite machten die US-Amerikaner aus dem Staate Washington mit ihrer ausgesprochenen Spielfreude wett. Beim Publikum der gut gefüllten Kufa kam der Auftritt jedenfalls gut an. Die Vorfreude auf den Headlinern schien bei den meisten noch gesteigert worden zu sein.
Russian Circles
Was früher am Abend kaum absehbar war, das wurde dann spätestens mit dem Beginn des Auftritts von Russian Circles zur Gewissheit: in der Kulturfabrik was es gerammelt voll geworden. Keine Masken, kein Abstand, keine Berührungsängste. Fast so, als hätte es ein gewisses berühmt-berüchtigtes Virus niemals gegeben. Nur eben, dass mittlerweile zwei Jahre ins Land gezogen waren, seit dem ursprünglich geplanten Auftritt des Trios in Esch.
Zwei Jahre, in denen sich viel Energie bei den Musikern angesammelt zu haben schien. Denn die Chicagoer überrollten einen förmlich mit ihrer fetten Wand aus post-metallischen Klängen. Der tiefgestimmte Bass von Brian Cook kam so knarzend daher, dass er einem förmlich durch Mark und Gebein drang, während Mike Sullivans Gitarrenspiel sowohl für trashige als auch für post-metallische Momente sorgte. Mittelpunkt des Klangkosmos’ von Russian Circles war jedoch das groovige Spiel von Drummer Dave Turncrantz, der nicht nur ein stabiles Fundament der Lieder garantierte, sondern diese mit einem angejazzten Touch auch ausschmückte. Mit einem Klang, der sich gewaschen hatte.
Zu sehen dagegen gab es auf der Bühne nicht viel, da die Musiker fast ausschließlich von hinten angestrahlt wurden. Zudem war jegliche Form der Kommunikation und Interaktion mit dem Publikum totale Fehlanzeige. Man ließ die Musik für sich sprechen und das war ehrlich gesagt auch vollkommen genug. Als lupenreine Männermusik kommentierte ein Zuschauer das Geschehen auf der Bühne, was für die meisten Teile des Sets wohl auch zutreffend war. Doch außer Auge ließ er dabei wohl die immer wieder eingestreuten ruhigen Phasen, in denen vor allem Mike Sullivan seinen Hang zum Psychedelischen auslebte. Nicht, dass Männer so etwas nicht auch mögen würden…
Und so gab es für den Autoren dieser Zeilen nur Neues an diesem Abend, für den Großteil des Publikums jedoch vornehmlich altbekannte Sachen zu hören. Denn Russian Circles begnügten sich in Form von ‘Arluck’, ‘Quartered’ und ‘Sinaia’ mit lediglich drei Auszügen aus dem noch immer aktuellen 2019er Album “Blood Year”. Herausragendstes Stück des Abends war allerings der Set-Closer ‘Youngblood’ vom 2008er “Station”-Album, bei dem Russian Circles ihre metallische und ihre psychedelische Seite in Perfektion miteinander vereinten.
Eine Zugabe erwartete danach niemand. Denn so etwas scheint es bei Russian Circles niemals zu geben. Die Band verließ die Bühne und die Zuschauer hochzufrieden die Halle. So auch der Autor, allerdings mit einer Kopie von “Blood Year” in seinen Händen.
Bewertung Helms Alee: 10/15 Punkten
Bewertung Russian Circles: 11/15 Punkten
Text & Live-Fotos: flohfish
Setlists:
Helms Alee
Russian Circles
Surftipps zu Helms Alee:
Homepage
Facebook
Instagram
Twitter
Bandcamp
YouTube
Spotify
Apple Music
Amazon Music
Deezer
Tidal
Qobuz
Shazam
last.fm
Discogs
ArtistInfo
Wikipedia
Surftipps zu Russian Circles:
Homepage
Facebook
VKontakte
Instagram
Twitter
MySpace
Bandcamp
Soundcloud
Reverbnation
YouTube
Spotify
Apple Music
Amazon Music
Deezer
Tidal
Qobuz
Shazam
last.fm
Discogs
ArtistInfo
Prog Archives
Wikipedia
Weitere Surftipps:
Venue & Veranstalter: Kulturfabrik