(2:39:08; Vinyl,CD,Box-Set, Digital; Anthem/Mercury/Universal; 1981/2022)
Das Punktesystem bei betreutesproggen.de geht bekanntlich von 1 bis 15. Ein Ein-Punkt-Werk ist generell nur schwer vorstellbar ist – selbst “Metal Machine Music” oder ein Stück wie ‘4:33’ haben zumindest künstlerische Ambition als “redeeming quality” zu bieten. Aber gibt es auch Alben, die die Höchstwertung tatsächlich rechtfertigen? Absolute Perfektion ohne einen Moment der Schwäche in der Produktion? Ohne den einen Song, der nicht ganz so zündet wie der Rest des Albums? Ohne den einen superdoofen Text? Kaum vorstellbar. Bei Rushs “Moving Pictures” dürften aber die meisten Kollegen zustimmen, dass exakt diese Höchstwertung nicht nur vertretbar, sondern auch vollkommen gerechtfertigt ist.
Warum erzähle ich das überhaupt? Wer mit Rush kann, weiß um die Strahlkraft dieser sieben Stücke. Ob mit ‘Tom Sawyer’ der komplexeste und frickeligste Radiohit aller Zeiten läuft oder mit ‘The Camera Eye’ das auf Augenhöhe mit ‘Xanadu’ und ‘Natural Science’ feinste Prog-Opus der Band. Ob mit ‘YYZ’ quasi die Erfindung von Dream Theater stattfindet oder ‘Limelight’ perfekten AOR mit (unter Anderem) 7/8-Rhythmik präsentiert. Ob mit ‘Vital Signs’ New Wave und Reggae-Grooves Einzug halten oder ‘Witch Hunt’ die Hard-Rock-Vergangenheit der Band besucht. Oder in ‘Red Barchetta’ alles zusammen zum unterbewertetsten Rush-Song aller Zeiten verschmilzt – ja, auf “Moving Pictures” gelingt tatsächlich alles, was das Trio anfasst. Auch die Produktion ist detailreich, durchsichtig, luftig – verschließt sich aber dennoch trotzig dem Hochglanz und lässt das Album vornehmlich erst mal richtig rocken. Dazu kommen Neil Pearts bis dato beste Lyrics, eine erwachsene, gefühlvolle und tatsächlich gemäßigte Gesangsperformance von Geddy Lee und die auf dem Vorgänger begonnene Abwendung Alex Lifesons vom klar von Page und Beck beeinflussten Siebziger-Rock hin zu jeder Menge Fusion-Anleihen und den für den Rest der Achtziger seinen Stil prägenden semi-cleanen Arpeggios.
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Somit ist “Moving Pictures” natürlich ein perfekter Kandidat für ein Deluxe-Edition-Treatment. Ob man nun die Megabox mit 5.1-BluRay und einer gefühlten Tonne Merchandise wählt oder die auf drei CDs eingedampfte “normale” Deluxe-Edition: die Entscheidung ist hauptsächlich dem persönlichen Budget geschuldet. Haben sollte man diese Luxus-Fassung so oder so, auch wenn man das Album schon besitzt: auf den beiden Extra-Discs findet sich nämlich ein komplettes, von Terry Brown aktuell abgemischtes Konzert der “Moving Pictures”-Tour aus Toronto. Und auch wenn mit “Exit… Stage Left” ein ziemlich legendäres Live-Album dieser Konzertreise existiert, dass auch zu drei Vierteln exakt in der selben Location (nur zwei Tage vorher) mitgeschnitten wurde, lohnt sich der overdub-freie und ungekürzte Mitschnitt auf jeden Fall. Nicht nur, weil bis auf ‘Witch Hunt’ die komplette “Moving Pictures” in Livetakes enthalten ist, sondern auch wegen des epochalen ‘Working Man’-Medleys – besagter Arbeiter bekommt hier sogar ein Reggae-Intro spendiert, bevor es auf die Reise durch ‘Cygnus X-II Book 2’, ‘By-Tor’, ‘In The End’ (!), ‘In The Mood’ und dem ‘2112: Finale’ geht. Studio-Outtakes oder alternative Versionen gibt’s freilich keine: Rush gingen immer mit einem klaren Ziel ins Studio und nahmen genau das Album und die Songs auf, die sie im Kopf hatten, weshalb es einfach keine unveröffentlichten Studio-Schätzchen im Rush-Archiv gibt.
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Dafür gibt’s auch in der “schmalen” Version ein schön aufgemachtes Booklet – leider ohne Lyrics, aber mit Kommentaren von Rush-Fans wie Les Claypool, Mike Portnoy und Kim Thayil. Gerade letzterer hat ein höchst unterhaltsames, längeres Essay verfasst, welches kurzweiligst nostalgische Jugenderinnerungen, musikalische Huldigung und feinen Humor verbindet und nahelegt, dass der Soundgarden-Riffmeister auch jede Menge Talent zum Prosaschmied hat.
Eine fantastische und würdige Huldigungs-Ausgabe eines der besten Alben aller Zeiten – noch Fragen?
Bewertung: keine (Re-Release)
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Abbildung: Rush / Mercury / UMG