(38:13; Vinyl, CD, Digital; Tweed Jacket Music/Nova, Plastic Head Distribution, 2022)
Betrachtet man das Cover-Artwok des Debüts von Held By Trees, so könnte man denken, Talk Talk hätten ein neues Album aufgenommen. Denn das Kunstwerk, welches das Cover der Scheibe schmückt, weist frappierende Ähnlichkeit zu den Titelbildern von “Spirit Of Eden” und “Laughing Stock” auf. Und so ganz falsch liegt man mit dieser Annahme auch gar nicht. Und das, obwohl an “Solace” weder eines der Mitglieder Talk Talks beteiligt gewesen ist, noch der für den Sound der Spätphase fast genauso wichtige Produzent und Tastenmann Tim Friese-Greene.
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Dennoch atmet “Solace” von der ersten bis zur letzten Sekunde seiner knapp 40-minütigen Spielzeit den gleichen Spirit wie die letzten beiden Alben von Talk Talk bzw. vom Solo-Albums ihres Frontmannes, das dieser im Jahre 1998 mit seinem Namen “Mark Hollis“ betitelte. Denn nicht nur das Motiv zu “Solace” stammt von James Marsh, dem gleichen Künstler, der in den 80ern und frühen 90ern fast alle Artworks der Briten gestaltete. Auch die Musik scheint eine Fortschreibung der fragilen Klangkunst zu sein, die Mark Hollis, Lee Harris und Paul Webb mit ihren späten Aufnahmen erschaffen hatten. Musik, der man später den Namen Post Rock gab. Deren Klang aber nur wenig mit dem gemein hat, für was das Genre heute steht. Musik, die aber gleichzeitig sehr wohl das Fundament dieses Genres erschuf. Eine Stilrichtung, die ihren Fokus vorwiegend auf Texturen und Klangfarben legt und sich von dem engen Korsett der klassischen rock-musikalischen Strukturen befreit hat.
Schaut man sich die Liste beteiligter Musiker dieser Platte an, so wird auch deutlich, warum dem so ist. Denn viele der Musiker, die Talk Talk damals eingeladen hatten, auf Grundlage ihrer Arrangements zu improvisieren, sind auch an “Solace” beteiligt: Gitarrist Robbie McIntosh (Paul McCartney, The Pretenders, John Mayer), Martin Ditcham (Schlagzeug & Perkussion – Chris Rea, The Waterboys, Nik Kershaw) und Simon Edwards (Michael Jackson, Billy Bragg, Fairground Attraction). Genauso wie der Pianist Lawrence Pendrous sowie Andy Panayi (Querflöte & Klarinette), die bereits auf Hollis‘ Solo-Album mitspielten. Und auch bei der technischen Crew finden sich alte Bekannte wieder. Denis Blackham, der für die ’97er Remasters der Talk-Talk-Alben verantwortlich war, sowie Phill Brown, der langjährige Toningeneur der Band.
Zustande kam dieses Projekt, nachdem David Joseph, ein Komponist für ambiente Musik, über den Gitarristen Tim Renwick (Pink Floyd, David Bowie, Eric Clapton) mit eben jenem Phill Brown in Kontakt gekommen war und diesem einige seiner Demos zukommen ließ. So wuchs das Projekt nach und nach. Sodass am Ende nicht nur die oben genannten Musiker aus dem Talk-Talk-Dunstkreis im Boote waren, sondern darüber hinaus auch renommierte Kollegen wie Saxofonist Mike Smith (Blur, Damon Albarn, Gorillaz), Ex-Dire-Straits-Gitarrist und -Gründungsmitglied David Knopfler, der Trompeter Gary Alesbrook (Noel Gallagher, Kasabian, Super Furry Animals) die Blues-Legende Eric Bibb, dem niederländischen Pop-Musiker Just sowie der Ambient-Künstler Peter Arthur Moon, besser bekannt als Unknown Replica.
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Dass Josephs Werk klanglich so nahe an den Originalen von Talk Talk dran ist, das liegt wohl vor allem daran, dass er mit der gleichen Vorgehensweise ans Werk gegangen ist, wie seinerseits die Kultband um Mark Hollis. Denn “Solace” beruht auf spontanen Kompositionen und Field Recordings, über welche die beteiligten Künstler improvisierten. Und so fühlt sich “Solace” nicht nur natürlich an, sondern zelebriert förmlich Klang und die Schönheit der Natur. Dies jedoch nicht nur über seine Musik und sein Artwork, sondern auch in Form eines Umweltprojektes in Partnerschaft mit Play It Green, einer Organisation, die für jede verkaufte Kopie des Albums einen Baum pflanzt.
Trotzdem handelt es sich bei Held By Trees nicht um ein Plagiat von Talk Talk. Auch Einflüsse der späten Pink Floyd und vom Pianospiel eines für seine Scores bekannten Ryuichi Sakamoto (u.a. Bernardo Bertoluccis “The Last Emperor”) sind unüberhörbar. Augenscheinlichstes Unterscheidungsmerkmal ist da natürlich die Abwesenheit von Mark Hollis. Oder besser gesagt das totale Verzichten auf Gesang. Auch wird den Momenten der Stille etwas weniger Raum gelassen. Denn vor allem Hollis‘ Solo-Album definierte sich durch die ganz bewusste Reduktion aufs Wesentliche und das Auslassen von nicht notwendigen Noten. Musikalisch näher verwandt mit “Spirit Of Eden” als mit “Mark Hollis” haben die an “Solace” beteiligten Musiker hier mehr Luft zur eigenen Entfaltung. Ganz so, als hätte es weniger Direktive von oben gegeben. Eine Tatsache, die ganz besonders beim abschließenden ‘The New Earth” deutlich wird, bei dem nicht nur der Gitarre sehr viel Raum gelassen wird, sondern auch dem Saxofon. Viel mehr, als es das bei Hollis jemals gegeben hätte.
Und trotzdem fühlt sich Held By Trees Album wie der verloren gegangene erste Teil eine Tetralogie bestehend aus “Solace”, “Spirit Of Eden”, “Laughing Stock” und “Mark Hollis” an. Ein Album, das trotz aller Brillanz der einzelnen Musiker vor allem durch seine Atmosphäre begeistern kann – über dem der Geist des viel zu früh verstorbenen Mark Hollis schwebt.
Bewertung: 13/15 Punkten
Tracklist:
1. ‘Next To Silence’
2. ‘In The Trees’
3. ‘Rain After Sun’
4. ‘Wave Upon Wave’
5. ‘An Approach’
6. ‘The Tree Of Life’
7. ‘Mysterium’
8. ‘The New Earth ‘
Diskografie (Studioalben):
“Solace” (2022)
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Abbildungen: Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von Glass Onyon PR zur Verfügung gestellt.