Dies ist der zweite Teil eines Doppelberichtes über die Auftritte von Steve Hackett und Genesis im März 2022.
Den ersten Teil mit dem Bericht aus Frankfurt am Main findet ihr hier: Steve Hackett, 10.03.22, Frankfurt am Main, Jahrhunderthalle
Nostalgie hätte man vielleicht auch drei Tage später empfinden können, als Genesis zum ersten von drei Konzerten nach Köln am Rhein einluden. Zwar keine Wehmutsgefühle an die längst vergangenen 70er-Jahre, aber vielleicht an die 90er, denn auch “We Can’t Dance”, die letzte Genesis-Platte mit Phil Collins an den Vocals, hat mittlerweile über dreißig Jahre auf dem Buckel. Doch schon das Setting und Ambiente in der Deutzer Lanxess Arena ließ solche Sentimentalitäten nicht wirklich aufkommen. Denn alles roch hier nach einer hochmodernen Produktion, ganz nah am Zeitgeist. Und so fuhren Genesis dann auch das ganz große Geschütz auf und präsentierten eine Bühnenshow, wie man sie nur von den ganz Großen des Musik-Business kennt. Die knapp 5.000 Zuschauer fassende Jahrhunderthalle in Frankfurt und das dezente Auftreten von Hackett und Konsorten hatten im direkten Vergleich schon fast Club-Atmosphäre versprüht.
Genesis
Bevor es jedoch losging, ertönte aus den riesigen Lautsprechern die Film-Musik von Thomas Newman, die schon 1999 die Eröffnungssequenz des Kult-Dramas “American Beauty” begleitet hatte: ‘Dead Already’. Ein Titel, der augenzwinkernd auf den Namen der letzten Collins-Tour verwies (“Not Dead Yet”). Es war dieses Bewusstsein über das anstehende Ende der Band sowie die Selbsterkenntnis darüber, dass auch das eigene Leben der Endlichkeit unterworfen ist, was diesen Abend zu etwas Besonderem machen sollte. Denn vor allem Frontmann Phil Collins strotze nur so vor Selbstironie, sodass man seine körperlichen Gebrechen als Teil der Show hätte begreifen können. Was sie ja auch irgendwie waren. Warum auch sonst hätte sich Collins in Anlehnung an seine Drum-Soli wie wild ein Tambourin gegen den Kopf hauen sollen? Ein Moment, der an Komik kaum zu übertreffen war, doch genauso zum Programm der Engländer gehörte wie alles andere. Denn Genesis sind Perfektionisten, die an einem solchen Abend nichts, aber auch rein gar nichts dem Zufall überlassen. So professionell, dass man gar nicht wahrnahm, wie gut alles durchorganisiert war. Das Bühnenbild war spektakulär, der Sound für eine Mehrzweckhalle ausgesprochen gut und âußerst druckvoll und das Auftreten der Musiker tadellos. Natürlich hielt Collins‘ Stimme dem Vergleich mit den Hoch-Zeiten des Sängers nicht stand. Doch ein schlechter Collins, der gemeinsam mit Tony Banks und Mike Rutherford auf der Bühne musiziert, ist immer noch besser als ein Fish oder ein Ian Anderson, die ebenso mit kaputter Stimme auftreten, ihre Musik jedoch ohne Originalmitglieder präsentieren. Vor allem auch deswegen, weil die Lead-Vocals nahezu perfekt mit Patrick Smyth und Daniel Pearce, den beiden Background-Sängern, abgestimmt waren, sodass diese einen Großteil des stimmlichen Mankos kaschieren konnten.
Hinzu kam eine Setlist, die man, betrachtet man die Diskografie der Band, als ausgewogen bezeichnen kann. Denn neben den unvermeidlichen Single-Hits der 80er und 90er-Jahre, wie ‘Land Of Confusion’, ‘No Son Of Mine’ und ‘Invisible Touch’, gab es vor allem grandiosen Progressive Rock. Zwar fehlten die großen Longtracks der 70er-Jahre wie ‘Suppers Ready’, ‘The Musical Box’ oder ‘The Knife’ komplett, doch dafür spielte man über weite Strecken monumentalen Stadion-Prog der 80er und 90er-Jahre. Schon die Auftakt-Tracks ‘Behind The Lines’, ‘Duke’s End’ und ‘Turn It On Again’ aus der auf “Duke” zerstückelten ‘The Story Of Albert’ gaben dabei den Takt vor. Denn oft wird vergessen, wie gut es Genesis vermochten, progressive Strukturen und eingängigen Pop-Rock miteinander zu verbinden. Ein Spagat, der ihnen an diesem Abend wunderbar gelang. Entweder in Form von eingängigen Epen wie ‘Home By The Sea’, ‘Second Home By The Sea’ und ‘Domino’ oder durch geschickte Song-Abfolgen. Erfreulicherweise ließen Collins, Banks und Rutherford so seichte Kost wie ‘Hold On My Heart’ in der Mottenkiste versteckt und packten dafür Großtaten wie das viel zu selten gespielte ‘Fading Lights’ auf den Teller. Zwar nur in Auszügen, aber selbst das wirkte mehr als befriedigend. Das Zerhackstückeln und Kürzen von Liedern, eine Angewohnheit, die Genesis in der Vergangenheit immer wieder angekreidet worden ist. Doch wer es wie mit ‘Stagnation’ als Teil von ‘I Know What I Like’ vermag, Snippets von Stücken als Selbstzitate so geschickt in andere Lieder zu integrieren, dass selbst die eingefleischtesten Fans es nur unterbewusst wahrnehmen, der kann sich ‘von’ schreiben. Natürlich fehlte bei den alten Stücken, wie der zweiten Hälfte von ‘The Cinema Show’, ‘Afterglow’ oder dem Instrumentalteil aus “Firth Of Fifth”, ganz integral der Klang der Hackettschen Gitarre. Doch wenn man einmal ehrlich ist, dann fehlte beim Hackett-Konzert mindestens genauso das Keyboard von Tony Banks. Zu betonen ist, dass Rutherford zumindest bei den Liedern aus der Gabriel– und Hackett-Ära zurück auf seine Stamminstrumente griff, sodass zumindest Bass und Zwölfsaitige wie im Original klangen. So hinterließ der allzu amerikanische Klang von Daryl Stuermers Gitarre nur halbsoviel Schmerz. Und auch Nic Collins erbrachte seinen Anteil, um den typischen Genesis-Sound bestmöglich wiederauferstehen zu lassen. Denn obwohl er im direkten Vergleich zu Blundell der spieltechnisch (noch) unterlegene Drummer ist, so ähnelt sein Schlagzeugspiel im Klang doch einfach dem von Phil Collins. Ganz so, wie die Stimme eines Sohnes oft nach jener seines Vaters klingt.
Zudem überraschten Genesis in der Mitte des Sets durch einen akustischen Teil, in dem die Musiker intime Varianten von ‘That’s All’, ‘The Lamb Lies Down on Broadway’ sowie ‘Follow You Follow Me ‘ zum Besten gaben. Gerade zu diesem Zeitpunkt bestand kaum ein Zweifel daran, dass die betagten Herren diese eine letzte Konzertreise aus Spaß an der Freude absolvierten. Vor allem bei Mike Rutherford, aber auch beim über 50 Jahre jüngeren Nicholas Collins war die Spiellaune unverkennbar. Und selbst Tony Banks rang sich hier und da ein Lächeln ab. Oder hatte er vielleicht doch nur einfach ein Krampf in den Mundwinkeln bekommen??? Welche Motivation nun auch immer hinter der “The Last Domino?”-Tour gestanden hat, fest steht, dass Genesis an diesem Abend geliefert haben. Ob im Haupt-Set oder im laut-gefeierten Zugaben-Teil, der mit einem der größten Hits des Trios eröffnet wurde. Auch wenn es für den Prog-Liebhaber mittlerweile in doppelter Hinsicht irritierend ist, Phil Collins ‘I Can’t Dance’ singen zu hören. Doch auch die Progger wurden zum Ende des Abends hin noch einmal versöhnt. Anfangs mit den ersten Versen aus der ’73er Song-Perle ‘Dancing With The Moonlit Knight’, anschließend mit dem Klassiker, der Genesis-Fans aller Dekaden miteinander vereint: ‘The Carpet Crawlers’. Ein Auftritt, an dem nichts, aber auch rein gar nichts peinlich war. Genesis haben noch einmal das Beste aus sich rausgeholt und trotz aller Mängel und Wehwehchen einen Abschied geboten, der bewegend und würdevoll war.
Dreizehn Tage später, am 26. März 2022, fiel in der Londoner O2 Arena dann endgültig der letzte Vorhang für Genesis. (Übrigens mit einem im Publikum anwesenden Peter Gabriel). Ein bittersüßer Abschied, der wohl nicht nur Fans traurig stimmte, sondern sicherlich auch die Band. Sie werden fehlen auf den Bühnen dieser Welt. Und deswegen sollte man froh sein, wen man dieser letzten Tour bzw. diesem Abend beiwohnen durfte. Genau wie Hackett lieferten auch Collins, Rutherford und Banks mit ihrem Konzert grandiose Unterhaltung. Es waren zwei Abende, an denen die Geschichte einer der ganz großen Bands der Rock-Musik gefeiert wurde. Zwei Abende, die unterschiedlicher nicht hätten sein können und doch als Gesamterlebnis verstanden werden können. Denn um auch nur in Ansätzen die Magie nachempfinden zu können, die Genesis in ihrer Hochphase so einzigartig machte, muss man wohl alle Teile der Band einmal live gesehen haben. Zwar fehlt allen Spätgeborenen bis heute noch immer der Gabrielsche Aspekt dieses fragmentierten Erlebnisses, doch besteht bei einem aktiven Künstler noch immer Hoffnung für die Zukunft. Vor allem, nachdem Gabriel zuletzt nach Jahrzehnten mit Auszügen aus dem ‘Moonlit Knight’ auch erstmals wieder Genesis-Material live dargeboten hat.
Genesis als Band scheint jedoch endgültig Geschichte zu sein. Das hohe Eintrittsgeld ist verschwunden. Doch die Erinnerung bleibt.
Dies ist der zweite Teil eines Doppelberichtes über die Auftritte von Steve Hackett und Genesis im März 2022.
Den ersten Teil mit dem Bericht aus Frankfurt am Main findet ihr hier: Steve Hackett, 10.03.22, Frankfurt am Main, Jahrhunderthalle
Live-Fotos: Alexandra Fischer
Setlist:
Genesis
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Rezension: “The Last Domino?” (2021)
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Venue: Lanxess Arena