Amenra, die Hohepriester der Church Of Ra hatten zum Gottesdienst geladen. Und um möglichst viele neue Anhänger zu gewinnen, fand die Messe als ökumenische Veranstaltung statt. So lud man die kirchenfremden Künstler Gggolddd und Jo Quail ein. Nicht nur um der Andacht beizuwohnen, sondern auch um diese mitzugestalten. Ob dies den Jüngern Ras gefallen würde, war im Vorfeld schwer zu beurteilen, denn musikalisch gibt es zwischen den verschiedenen Künstlern zwar Überschneidungen, vor allem zur Londonerin Jo Quail aber auch riesige Unterschiede.
Jo Quail
Denn wenn Jo Quail für die große Bühne angekündigt wird, dann betritt sie diese nicht etwa mit anderen Musikern, sondern in der Regel ganz alleine mit ihrem Cello und ihrer Loop Station. Zwar ist die Engländerin in Post’n’Prog-Kreisen beileibe keine Unbekannte – so gab es schon Kooperationen u.a. mit Årabrot (“Norwegian Gothic“), God Is An Astronaut (“Ghost Tapes #10“), Lustmord (“The Others [Lustmord Deconstructed]“), doch ihr Solo-Material ist den meisten Proggern trotzdem weitgehend unbekannt.
Warscheinlich liegt es daran, dass reine Cello-Musik für viele Musik-Fans zu weit von “echtem” Rock entfernt ist. Dass dies nicht immer so sein muss, haben schon vor vielen jahren Apocalyptika bewiesen. Und auch bei Johanna Quail ist dies nicht anders. Denn die Künstlerin ist mit ihrem Spiel tatsächlich viel eher der progressiven Schiene zuzuorden, als der klassischen. Warum das so ist, kann man schon am Bühnenaufbau erahnen. Pedals und Effektgeräte säumen den Raum rund um das Cello. Denn Mrs Quail ist keine einfache Cello-Virtuosin, sondern mindestens im gleichen Maße Loop-Künstlerin.
Dies wird bereits beim Set-Opener ‘Rex Infractus’ deutlich, bei dem schon die ersten Takte aufgenommen und als Basis für den Rest des Stückes gesampelt werden. Es ist eine Technik, die mittlerweile weit verbreitet ist und von Jo Quail sehr effektvoll eingesetzt wird, da die Künstlerin durch Streichen, Zupfen und Schlagen eine Vielzahl von Effekten erzeigen kann. Musik, die im Ergebnis wie ein kleines Streicherensemble klingt und die Solo-Künstlerin trotz aller Intimität sozusagen überlebensgroß erscheinen lässt.
Das aus dem deutsch-luxemburgisch-französichen Drei-Länder-Eck stammende Publikum scheint sowohl verwundert als auch überfordert von so viel Zerbrechlichkeit. Größere Applausbekundungen bleiben aus. Doch gleichzeitig lauschen viele sehr andächtig und gebannt. Eine Reaktion die einerseits sehr gut zu den drei Stücken passt, die Jo Quail an diesem Abend auf der Bühne präsentiert, andererseits aber auch einen faden Beigeschmack hinterlässt. Denn spätestens nach dem abschließenden, opulenten wie aufrüttelndem ‘Adder Stone’ wäre ein wenig mehr Würdigung angemessen gewesen.
Gggolddd
Dramaturgisch war Jo Quail für den Ablauf des Abends dennoch die richtige Wahl gewesen, denn die Engländerin hatte sanft die Stimmung aufgebaut, die sich im weiteren Verlauf von Band zu Band verstärken und verdichten sollte. Stilistisch noch zu weit vom Post Metal Amenras entfernt, bedurfte es einer weitern Formation, um die verschiedenen Künstler musikalisch zu einer Einheit verschmelzen zu lassen.
Diese Aufgabe kam den Niederländern von Gggolddd zu, einem Sextett von Musikern, das bis vor kurzem noch unter dem einfacheren Namen Gold firmiert hatte.
Angeführt von ihrer in schwarzen Tüll gehüllten Frontfrau Milena Evas, betraten die sechs Musiker die Bühne und offerierten dem Publikum mit vier Stücken ihres 2019er Albums “Why Aren’t You Laughing?” einen interessanten Mix aus Post Rock, Post Punk, Gothic, Psychedelic Rock, Hard Rock, Black Metal und Progressive Rock. Anfängliche Probleme in der Abmischung des Gesangs wurden schnell behoben, sodass die einprägsame Stimme Milena Evas ihren Wirkung in der Hörgängen des Publikums entfalten konnte.
Auffallend war bei diesem Konzert das unterschiedliche Auftereten der Geschlechter, denn während die vier Herren Thomas Sciarone,Kamiel Top, Jaka Bolič und Igor Wouters alle relativ agil auf der Bühne agierten, bildeten die beiden Damen die Ruhepole der Band. Insbesondere Bassistin Leyla Overdulve fiel dabei durch ihre stoische Gelassenheit auf.
Doch auch Gggolddd lösten keine Begeisterungsstürme aus. Waren die Stücke trotz ihrer unverkennbaren Nähe zum Post Metal einfach zu melodisch und zu soft für Amenra-Anhänger? Eine Frage, die sich nach der zweiten Häfte des Sets in dieser Form nicht mehr stellte. Nicht, dass Gggoldd jetzt auf einmal Jubelstürme entgegengeweht wären. Nein, ihr Stil hatte sich urplötzlich verändert, was daran lag, dass sie zu den Stücken ihres neuen Albums übergegangen waren. Synthies und elektrische Drums bestimmten urplötzlich das Klangbild, das von der Bühne schallte. Und gleichzeitig breitete sich eine Eiseskälte aus, die man bisher nicht von Gold gekannt hatte. Irritierend und befremdlich war diese Musik, doch gleichzeitig auch faszinierend.
Wovon die Texte der Lieder handelten, das war dem Autoren dieser Zeilen zum Zeitpunkt des Auftritts der Band jedoch nicht klar gewesen. Und genausowenig dem größten Teil des Publikums. Texte, die den zweiten Teil des Auftritt der Niederländer leichter verdaulich und nachvollziehbarer gemacht hätten. Hätte man denn die Thematik gekannt, um die sich die Texte der Stücke des gerade erst erschienenen Albums “This Shame Should Not Be Mine” drehen. Denn Frontfrau Milena Eva schildert in ihnen hautnah die Erlebnisse um eine Vergewaltingung, die sie in Jugendjahren erleben musste. Und deren langfristige Folgen. So jedoch blieb ob des Stilbruchs hin zum Mix aus Post Metal, Trip-Hop, EBM und Industrial vor allem eines: Verwunderung und Irritation. Als Übergang zum Sound der belgischen Headliner aber passte die Neu-Ausrichtung Gggolddds ganz vorzüglich.
Amenra
Denn wer das Quintett aus Kortrijk noch nie hatte live erleben dürfen, auf den muss der Auftritt der Flamen gewirkt haben, wie eine schwarze Messe: Finstere Post-Metal-Klänge, die ihre Einflüsse aus Sludge, Doom, und Blackgaze nicht verbergen können und wollen. Projektionen auf einer riesigen Leinwand, die ausschließlich in Schwarz-Weiß- und Sepia-Tönen gehalten wurden. Und fünf in schwarz gekleidete Musiker, die jegliche Kommunikation mit dem Zuschauern vermieden.
Zudem mit Colin H. van Eeckhout ein Frontmann, der dem Publikum für den größten Teil des Abends seinen Rücken zuwandte. Ganz wie ein orthodoxer Priester, der seine Zelebrationsrichtung zur Ikonostase hin ausrichtet.
Geboten wurde eine Szenerie, die sich bizarr anfühlte und welche die Wirkung, der markerschütternden Schreie van Eeckhout nur noch verstärkte. Ganz so, als würden sie direkt aus der Hölle kommen.
Gehuldigt wurde an diesem Abend vor allem die sechste Messe Amenras (“Mass VI”), gemeinsam mit Stücken aus den Messen drei bis fünf. Es war eine Mischung, die ein stimmiges Bild ergab. Wodurch aber leider auch das überaus stake letztjährige Album unterrepräsentiert wurde. Denn mit ‘De Evenmens’ und ‘Het Glore’ gab es lediglich zwei Stücke von “De Doorn” zu hören.
Seltsamerweise veränderten sich auch beim Auftritt Amenras die Reaktionen des Publikums nicht wirklich. Der Applaus blieb dezent, das Feedback unterschwänglich. Grund hierfür war jedoch nicht fehlende Begeisterung. Amenra hatten die Zuhörer mit ihrer Musik einfach in ihren Bann gezogen, so dass eine sakral anmutende Stille allgegenwärtig war. So, wie man sie von Andachten kennt. Vielleicht ist es ja ein Teil der Liturgie in der Church Of Ra…
Für Novizen des Kultes war diese Form der Zelebrierung jedefalls gewöhnungsbedürftig. So reichte die Aura Amenras weder an das mystisch- okkulte Auftreten Briquevilles heran, noch konnte der musikalische Gottesdienst der Belgier die gleiche Energie freisetzen, wie die hochexplosiven Auftritte der musikalisch ähnlich gelagerten The Ocean. Selbst dann nicht, als Colin H. van Eeckhout sich gegen Ende des Sets bei ‘A Solitary Reign’ und ‘Diaken’ immer öfter dem Publikum zuwandte und diesem sein Antlitz offenbarte.
Den Auftritt Amenras eine Enttäuschung zu nennen, würde dessen tiefgehende Wirkkraft jedoch verkennen. Denn wie eine Andacht hatte die ergreifende Musik Amenras die Geister beseelt.
Text & Live-Fotos: flohfish
Setlists:
Jo Quail
Gggolddd
Amenra
Same Tour, other City: Konzertbericht 06.04.22, Köln, Essigfabrik
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Rezension: “This Shame Should Not Be Mine” (2022)
Rezension: “Why Aren’t You Laughing?” (2019)
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Rezension: “De Doorn” (2021)
Rezension: “Mass VI” (2017)
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