Im Vorfeld dieses Konzerts hatte ich gehörig Bammel vor einem Fremdschämalarm gehabt. Und es hätte wirklich wehgetan, sich für Geoff Tate – immerhin einem meiner Helden – schämen zu müssen.
Angst hatte ich aus sogar gleich drei Gründen:
1. halte ich Geoffs Solomaterial für schon rekordverdächtig uninteressant und die meisten seiner öffentlichen Äußerungen – insbesondere über seine Ex-Kollegen, aber auch gerne über Heavy Metal allgemein, sogar für latent Zwangsjacken-verdächtig.
2. Es gibt ja diesen „Korea-Effekt“ im (Progressive) Rock: Eine Band zerbröselt sich genauso wie das statistisch den meisten Ehen widerfährt. Zerlegt sich also in mindestens zwei neue Teile, deren Bandmitglieder sich künftig abgrundtief hassen – mindestens wie die Regierungen von Nord- und Süd-Korea in etwa. Wobei aber auch jedes für sich den Anspruch hat, die einzig legitimen Erben zu sein (Pink Floyd, Genesis, Barclay James Harvest, Wishbone Ash, Jethro Tull, Die Volksfront von Judäa, youknowschon…). Und das alles hat der Mucke selten gut getan.
3. Und dann gibt es ja leider noch, was man den „Fish“-Effekt nennen könnte: Uns wichtige Menschen wie der erste Marillion-Sänger, aber auch Ian Anderson, vielleicht auch Phil Collins zehren heute noch, durchaus auch live auftretend, von ihrem Ruhm aus längst vergangenen Zeiten. Und laufen gleichzeitig Gefahr, diesen genau dabei zu zerstören. Weil die Stimme es eben einfach nicht mehr – auch nur ansatzweise – hergibt.
Ich hätte mir aber gar keine Sorgen zu machen brauchen. Doch wer hätte je gedacht, dass GT mit den Jahren in jeder Hinsicht sogar noch besser geworden ist?!?
Für Sons Of Sound war ich zu spät am Ort des Geschehens eingelaufen, dem wie stets wunderbaren Kubana Live Club. Darker Half aber hab‘ ich einigermaßen mitbekommen. Mit Powermettl kann man mich grundsätzlich jagen. Die Australier waren aber immerhin schon mal hoch motiviert und freundlich. Und Sänger / Gitarrist Vo Simpson soliert bisweilen hochmelodisch und dann sogar ganz ohne diesen albernen Galloppel-Rhythmus.
Umbau.
Sodann erscheint der Star des Abends. In einem goldenen Pailletten-Sakko, mit Hut und der für Rockstars gesetzlich vorgeschriebenen getönten Brille. Las Vegas in Siegburg.
Weil er so schon fast unverschämt gut gelaunt ist, hat er das Kubana mit einem Fingerschnippen um den Nämlichen gewickelt. Damit ging von uns 300 Fans übrigens jede/r anders um. Einige bangten sich Osteopathen-reif. Andere wurden immer stiller. Und links hinter mir stand ein Kollege, der jedes Sterbenswörtchen der Lyrics aus vollem Halse mitgesungen hat. Der an diesem Abend auch enorm charmant plaudernde Geoff zu diesem Effekt bei jenem und vielen anderen im Saale sinngemäß: “Ich brauche die alten Texte ja gar nicht mehr zu kennen. Und auch keinen Prompter. Ich schaue einfach auf Eure Lippen“.
»But it seems the more we learn. We learn that it’s. Over, over. It’s dangerous this game we play. You’re killing me with words.«
Was kann denn auch überhaupt schiefgehen bei einem Gig, der mit ‚Walk in the Shadows‘ losgeht? Siehe oben: ALLES könnte schiefgehen.
Das hier aber wurde ein Triumph von der ersten bis zur letzten Minute. Und das lag an Geoffs (man traut sich ja kaum, es zu schreiben) Charme, Karisma und Humor (“Why do I play R.f.O. completely? BECAUSE I WANTED TO”).
Und der immer noch wichtigste Grund: seine weiterhin einfach atemberaubende Stimme zwischen samtig-ultratief und absurd hoch. Und es lag an den behutsamen, aber effektvollen Um-Arrangements, denen einzelne Songs unterzogen worden waren. ‚The Killing Words‘ habe ich glaube ich noch nie so stark gehört.
Und es lag an seiner blutjungen, aber saustarken Band. OK, diese sich wie junge Hunde über alles freuenden Burschen haben diese Musik nicht geschrieben. Aber über die Rampe bringen sie sie sehr gut!
Erschwerend kommt der Umstand hinzu, dass die drei Gitarristen nicht zum Rumstehen erschienen sind. Und einer von ihnen singt sogar noch eine echt gute zweite Stimme (ich meine den mit der Klobürste auf dem Kopp).
Ach, und Geoff selbst spielt übrigens auch recht achtbar Saxophon…
‘I Will Remember’ – damals zum Heulen schön, heute auch noch.
End of Set 1.
OK, das war nun völlig wider Erwarten mal eben so eines der 20 schönsten Konzerte, die ich je erlebt habe, mehrere Male Queensryche inklusive (Unvergesslich die Aufführung von “Operation Mindcrime” in der Bonner Keksdose. Aber auch, wie die Band Jahre später von ihrer damaligen Vorgruppe The Tea Party deklassiert wurde. Oder viele Jahre später noch mal Geoff Tate unplugged im Ruhrpott; thx Iris). Jut. Aber das „Empire“-Set wird doch jetzt garantiert gegen den ersten Teil verkacken?
Pustekuchen. Ich hatte wohl verdrängt, was für Hammer-Songs ‚Another Rainy Night‘, das Titelstück oder ‚Anybody Listening‘ sind.
Zugaben: ‘Queen of the Reich’ und ‘Take hold of the flame’.
Es dürfte lange dauern, bis da etwas drüberkommt.
Anybody listening? You bet! We will remember….
Setlist aus Aschaffenburg (Bis auf ‘Last Time in Paris’ identisch mit SU)
Danke fürs Bereitstellen der Live-Fotos (mit Smartphone, von ganz hinten): Kai-Uwe Palm
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