(112 min. Audio + 90 min. Video, 2 CD+DVD/digital, Chocolate Frog/M&E, 2022)
Ob’s Zufall ist, dass Fish sein neues Livealbum VÖ-technisch genau mit dem neuen Studiooutput seiner Ex-Kollegen getimed hat? Wohl kaum, vor allem aufgrund der Tatsache, dass “The Last Straw” das komplette Marillion-Album “Clutching At Straws” enthält – und Fish ehrlicherweise in den Liner Notes zugibt, dass die zugehörige Tour 2018 hauptsächlich von der Deluxe-Wiederveröffentlichung des Klassikers “inspiriert” worden war.
Nun, damit offenbart sich das Dilemma des Künstlers Fish und des Geschäftsmannes Derek William Dick: wie im Falle Steve Hackett sind es die neuen Alben, die zeitgemäß und kreativ interessant sind – um die Hallen vollzukriegen, braucht es aber den Namen und die Songs der Ex-Band. Bei Fish umso schwieriger, weil seine Stimme (das dürfte weithin bekannt sein) sich über die Jahre stark verändert hat und die Vorlagen aus den Achtzigern schlicht und einfach nicht mehr originalgetreu umsetzen kann. Und da liegt auch das Problem bei “The Last Straw”: während die vier ins Set eingewebten Songs von “Weltschmerz” (auf den CDs) und die vier älteren Solo-Songs (DVD) auch gesanglich völlig überzeugen, lassen die dominierenden Marillion-Songs doch gelegentlich die bekannten Schwächen erkennen – speziell bei der auf den CDs enthaltenen Glasgow-Show. Alle Songs wurden in tiefere Tonlagen transponiert und größtenteils auch deutlich langsamer gespielt, um sich Fishs aktueller Stimmlage anzupassen. Das funktioniert manchmal (pun not intended…), so zum Beispiel bei ‘Torch Song’. Oft aber – bei ‘Just For The Record’, dem Start von ‘White Russian’ oder ‘Sugar Mice’ beispielsweise – hat man das Gefühl, einer zu langsam laufenden Platte zu lauschen: man probiere spaßeshalber einfach mal aus, das Ganze zehn Prozent schneller abzuspielen.
Generell ist Fish beim Cropredy-Gig deutlich besser bei Stimme, vor allem bei ruhigeren Momenten wie ‘Going Under’, aber auch beispielsweise beim “Vigil”-Klassiker ‘State Of Mind’ oder dem selten gespielten ‘Emperor’s Song’ vom umstritten aufgenommenen “Suits”-Album. Ja, Fishs Solokarriere hat auch für sich genommen genug Großes zu bieten, dass auch ein Set ohne – oder mit ausgewählten, stimmlich passenden – Marillion-Songs funktionieren würde. Und natürlich sind die langen Ansagen – fast schon eher Spoken-Word-Performances – erneut hoch unterhaltsam, bei beiden Shows. Fish ist einfach ein perfekter Geschichtenerzähler, dem man stundenlang zuhören könnte. Die Präsenz von John Beck (It Bites) an den Keyboards ist ein weiterer Punkt für die Digital Versatile Disc des Sets.
Soundtechnisch muss man auf “The Last Straw” leider generell ein paar Abstriche machen. Zwar wurde die Glasgow-Show von Bassist Steve Vantsis aus Mehrspur-Aufnahmen gemischt, das Endresultat klingt dann aber doch eher nach einem guten, aber rohen Soundboard-Mitschnitt. Speziell die Keyboards verschwinden, sobald Gitarrist Robin Boult Gas gibt, oft im Gesamtsound. In ‘Warm Wet Circles’ macht sich noch dazu in der Bridge ein aufdringliches Rauschen bemerkbar, dessen Quelle offensichtlich die zugespielten Chöre sind. Immerhin kann man sich ziemlich sicher sein, dass hier nichts nachgebessert wurde. Auch der Cropredy-Gig klingt ziemlich roh – hier handelt es sich tasächlich um das Soundboard-Audio – aber durchaus genießbar und sogar ein wenig durchsichtiger als die professionell produzierte Glasgow-Show.
Was “The Last Straw” allerdings trotz aller Kritikpunkte fraglos bietet, ist “value for money”. Die oben beschriebene Problematik ist ja nichts Neues und allen Fish-Hörern bekannt. Wer damit also keine Probleme hat, bekommt hier ein wirklich schönes Produkt für die Sammlung. Im festen Digibook finden sich nämlich nicht nur die drei Disks mit der Musik, sondern auch 42 Seiten mit Fotos, ausführlichen Sleevenotes und Mark-Wilkinson-Artwork. Das hebt die Laune natürlich und lässt über die eine oder andere Schwäche wegsehen. Fishs Einschätzung, dass “The Last Straw” sein vermutlich bestes Live-Album sei, kann man aber nicht zustimmen: an die Glanzlichter “The Complete BBC Sessions”, “Communion” oder “Sushi” kommt das vorliegende Paket definitiv nicht heran. Für Fans dennoch eine schön aufgemachte Ergänzung der Sammlung, Neueinsteiger greifen hingegen besser zum letzten Studioalbum “Weltschmerz” oder dem Originalalbum von 1987.
Bewertung: keine (Livealbum)
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