D’Virgilio, Morse & Jennings – Troika

(51:42, CD/LP/Digital, InsideOut/Sony, 2022)
Wer in Deutschland Mitte/Ende der 1990er regelmäßig die Irish Pubs seiner Heimatstadt besuchte, hat relativ gute Chancen, unbemerkt dort Neal Morse auf der Bühne gesehen zu haben (oder seinen Bruder Richard aka “The California Kid”). Wer mit dem überaus freundlichen und redseligen Musiker dann ins Gespräch kam und von dessen Profi-Musikerkarriere erfuhr, dürfte sich einigermaßen gewundert haben, dass der vermeintliche “Pub-Schraddler” ein waschechter Progger mit großer Liebe zu Gentle Giant und Yes war. Ja, vermutlich hätte man seinerzeit eher damit gerechnet, ein Album wie das nun vorliegende “Troika” zu hören als “The Light” oder “Beware Of Darkness”.

Zusammen mit seinem Ex-Spock’s-Beard-Kollegen Nick D’Virgilio (Big Big Train) und Haken-Frontmann Ross Jennings (der lustigerweise im Gegensatz zu Nick aus der Big-Big-Train-Heimatstadt Bournemouth stammt!) hat Morse also nun ein Album aufgenommen, das nach einer ganz entspannten Session in einem Irish Pub klingt – wenn eben die Beteiligten allesamt hochkreative Songwriter und großartige Sänger wären. Heißt, trotz des Backgrounds der Troika gibt’s hier keinerlei Prog-Elemente zu hören. Wer sich also eine Mixtur aus den Hauptbetätigungsfeldern der drei Barden erhofft: gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen. Stattdessen klingt das Ganze stilistisch eher nach einer Mischung aus Simon & Garfunkel, Crowded House (“Woodface”-Ära), Lindsey Buckinghams Solowerken, The Band und den unumgänglichen Mittsechziger-Beatles a la “Help!” und “Rubber Soul”. Da wird in ‘If I Could’ auch schon einmal ein büssken First-Wave-Ska eingestreut oder in ‘A Change Is Gonna Come’ Doobie-Brothers-mäßig gecountry-rockt.

Erst im letzten Drittel wird’s ein wenig muskulöser: der ersten verzerrten E-Gitarre des Albums in ‘King For A Day’ wird dann auch gleich mit einem Moog-artigen Synthie-Sound gefolgt – und ‘Second Hand Sons’ toppt das sogar mit kratziger Hendrix-meets-Neil-Young-Gitarre und fetter Hammond-Orgel. Da kommen dann sogar Erinnerung an Styx oder Kansas auf – aber eben nicht deren Prog-Epen, sondern den auf den Klassikern ebenso vertretenen straighteren Rockern. Diese zupackenderen Songs kommen exakt im richtigen Moment, bevor sich zuviel Nettigkeit breitmachen kann. Apropos Nettigkeit: auch die durchweg optimistischen, völlig frei von Zynismus daherkommenden Lyrics versprühen diese gewisse Post-Hippie-Atmosphäre, die gerade im Jahr 2022 wie Balsam für die Seele wirkt. Natürlich werden hierbei auch – der Personalkonstellation geschuldet – gelegentlich christliche Bilder bemüht, aber der von einem berühmten Philosophen ausgegebenen Grundaussage “be excellent to each other”, die das Album dominiert, ist so oder so wenig auszusetzen.

Auch wenn Neal songschreiberisch erneut federführend gewesen zu sein scheint, ist der größte Pluspunkt von “Troika” das Fehlen einer egozentrischen “me! me! me!”-Attitüde. Die drei teilen sich die Leadvocals und Harmonien so gleichmäßig auf, dass man gelegentlich wirklich genau hinhören muss, wer jetzt die eigentliche Leadstimme singt und ob nicht doch die Harmonie eigentlich die interessantere – und dominierende! – Stimme ist. Wäre das Album 1970 im Laurel Canyon aufgenommen worden, hätte Reprise Records daraus einen Millionenseller gemacht. So bleibt ein hochentspanntes Folkrock-Album mit drei Weltklasse-Sängern, eingängigen Songs und Laune-Garantie, dass bei Die-Hard-Proggern nur ein verächtliches Schnauben auslösen wird, Fans von traditioneller Singer-/Songwritermucke mit Siebziger-Flair aber ganz klar ans Herz gelegt werden kann.
Bewertung: 11/15 Punkten (SG 11, KS 10)

Mehr zu den drei Musikern im Web:

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Ross Jennings:
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Nick D’Virgilio:
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