(47:16, CD/LP/Digital, English Electric Recordings, 2022)
Nachdem Big Big Trains erst im letzten Sommer erschienenes Album “Common Ground” nach einem vorangegangenen großen Line-Up-Shakedown noch ein etwas unentschlossenes Bild abgegeben hatte, war eigentlich zu erwarten gewesen, dass das “Schwesteralbum” weitgehend in die selbe Kerbe schlagen würde. Nun, der Vorteil einer hohen Output-Frequenz ist aber auch immer, dass, selbst wenn ein Album einmal nicht den persönlichen Geschmack treffen sollte, immer das Nächste schon um die Ecke schaut. Die stilistische Linie des Vorgängers – weg von den Genesis-artigen Epen, hin zu strafferem Songwriting – wird auf “Welcome To The Planet” klar fortgeführt, jedoch zeigen sich Big Big Train dieses Mal deutlich selbstsicherer und fokussierter – und liefern dabei, soviel gleich vorweg, auch gleich ihr spannendstes und abwechslungsreichstes Werk seit glorreichen “English Electric”-Zeiten ab.
Einen harten Schlag gibt’s allerdings für die Longtrack-Fetischisten: einen Viertelstünder wie ‘Atlantic Cable’ (oder ‘East Coast Racer’ oder ‘Victorian Brickwork’) hat die Band diesmal nicht im Programm. Das fällt aber überhaupt nicht ins Gewicht, da Big Big Train es diesmal durchweg schaffen, alles Notwendige in vier bis sieben Minuten zu sagen. Auch die “klassischen” Big-Big-Train-Elemente sind diesmal wieder deutlich stärker in den Kompositionen verankert. Die Blaskapelle, die Moog-Bass-Pedale, die Harmoniegesänge, alles wieder da – und vor allem stellt das Album deutlich mehr als der Vorgänger David Longdons Leadgesang in den Vordergrund. Sogar das “unmgängliche”, als Digital-Single vorab veröffentlichte Nick-D’Virgilio-Instrumental ‘Bats In The Belfry’ klingt deutlich straffer als ‘Pantheon’ oder ‘Apollo’ – dennoch der einzige etwas schwächere Song des Albums (auch wenn das viele Fans anders sehen werden). Weitaus besser mag da das – hörbar! – von Rikard Sjöblom stammende ‘A Room With No Ceiling’ gefallen, dass sich für BBT-Verhältnisse erstaunlich weit in floydige Psychedelia wagt und durchaus auch zu Gungfly gepasst hätte.
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Der – ebenfalls schon im Vorfeld veröffentlichte – Opener ‘Made From Sunshine’ macht hingegen seinem Titel alle Ehre und rubbersoult beatlesk direkt ins Ohr. ‘The Connection Plan’ bringt die von Nick D angeführten Harmoniegesänge in bester Gentle-Giant-Manier in einen Song, der ansonsten näher an Split Enz oder einer weniger kratzbürstigen Version von Roxy Music lehnt. Direkt danach folgt mit ‘Laterna’ ein ganz urtypisches Stück Big Big Train mit an ‘Entangled’-erinnernden Mellotron-Chor-Einlagen im Intro und groovig-treibendem Kern: angenehm Erinnerungen an die “English Electric”-Ära dürften alle, die mit den ersten beiden Stücken fremdeln, sofort wieder an Bord holen. Ebenfalls urtypisch ausgefallen ist ‘Oak And Stone’, das als einziges Stück die Sieben-Minuten-Grenze (knapp) überschreitet – und noch dazu den vermutlich Big-Big-Train-igsten Songtitel aller Zeiten ins Spiel bringt. ‘Proper Jack Froster’, eine autobiographische Jugenderinnerung von Greg Spawton, dürfte ja den meisten schon durch das wundervolle Video bekannt sein und ist ebenfalls ein Song für alle “alten” Passengers.
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Der kürzeste Song des Albums kommt sogar schon in zweieinhalb Minuten auf den Punkt: ‘Capitoline Venus’ ist Gregs nur von ihm an der Akustikgitarre und David Longdons Stimme instrumentierte Liebeserklärung an seine Frau Kathy. Die entstand vornehmlich als Reaktion auf diverse trockene Kommentare der Dame auf das Fehlen von Liebesliedern im Katalog ihres archäologisch begeisterten Mannes – aufgrund des beeindruckenden Ergebnisses dürfte Kathy ihrem “Indiana” Spawton auch die kurze Spielzeit der Hommage verzeihen. Auch Quasi-Neuzugang Carly Bryant steuert mit dem Titelsong ein unerwartetes Highlight bei, das am deutlichsten mit der Erwartungshaltung an einen heutigen Big-Big-Train-Song bricht. Am Ehesten als eine Mischung aus Peter Gabriels “Ovo”-Album, Queen anno 1974/75, “Sgt. Pepper” und David Bowie zu “Hunky Dory”-Zeiten zu beschreiben, setzt hier speziell Dave Desmonds Blaskapelle die Akzente. David Longdon beschränkt sich gesanglich hier aufs Intro, steuert dafür wieder wunderschöne Flötenmelodien bei und lässt ansonsten “Auntie Carly” ihre Geschichte erzählen.
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Dass natürlich auch die Produktion und das Album-Artwork wieder allerhöchsten Ansprüchen genügen, wird im Prinzip hier nur noch vollständigkeitshalber erwähnt. Big Big Train sind eben der status quo in Sachen traditioneller Prog, und “Welcome To The World” ist gerade aufgrund seines Abwechslungs- und Ideenreichtums ein echtes Highlight der Band-Diskografie geworden.
Abschließend noch eine persönliche Anmerkung des Rezensenten.
Es ist schwierig, beim Betrachten des neuen Big-Big-Train-Albums nicht erneut von einer Welle an Traurigkeit ob des unerwarteten Todes von Goldkehlchen David Longdon vor wenigen Wochen übermannt zu werden. Nicht nur, dass Longdon einer der großartigsten Sänger des ganzen Progzirkus – der zeitgenössischen Rockmusik, Punkt! – war. David verfügte über diese seltene Mischung aus großer, emotional geladener Stimme, charismatischer Bühnenpräsenz und bodenständig-humorvollem Charakter, die nie aufgesetzt, immer sympathisch und ehrlich wirkte. Die traurige Nachricht hat selbst Menschen, die Longdon nie persönlich begegnet sind, nachhaltig berührt – und natürlich kann man sich nicht anders helfen: diese große Stimme, diesen großartigen Musiker und Sympathikus nun zum (vermutlich) letzten Mal auf einem Album zu hören, ist natürlich untrennbar mit Erinnerungen verbunden, und kaum ein Fan der Band wird das Werk durchhören, ohne mehrere Male mit den Tränen zu kämpfen. Schön, dass “Welcome To The Planet” eine so durchweg lebensfrohe und positive Scheibe geworden ist, die es zur absoluten Freude macht, sich an David Longdon zu erinnern – als einen der größten Sänger unserer Zeit und als einen Künstler, der seinen Fans in den letzten Jahren soviel Freude und Gänsehautmomente beschert hat wie kaum ein Anderer. Thank you for the memories.
Bewertung: 13/15 Punkte (SG 13, KR 12, KS 12)
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Tracklist:
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