Asia – The Official Live Bootlegs

(350 min appr, CD-Boxset, Digital, BMG Warner, 2021)
Auch wenn von Asia eine ganze Menge Live-Mitschnitte existieren, gibt’s darunter eigentlich keine Veröffentlichung, die einen Anspruch auf Klassikerstatus anmelden kann. Das mag unter anderem daran liegen, dass ausschließlich das 1990 auf der “Then And Now” aufgenommene “Live In Moscow” bewusst für ein Live-Album mitgeschnitten wurde. Bei allen anderen Asia-Livescheiben handelt es sich um entweder für Fernsehen oder Radio aufgezeichnete Shows, die mehr oder minder unbearbeitet auf den Markt gebracht wurden. Somit löst ein “The Official Live Bootlegs” betiteltes Boxset vermutlich keine allzu große Aufregung mehr aus – denn auf den meisten Livealben der Band ließe sich – technisch gesprochen – dieses Etikett anbringen.

Was deshalb auch unbedingt vorab aus dem Weg zu bringen ist: Bootleg heißt in dem Fall wirklich Bootleg. Bei den fünf je auf einer Doppel-CD verewigten Shows handelt es sich in drei Fällen um rohe Soundboard-Aufnahmen, zweimal gibt’s gar reine Publikumsmitschnitte. Im Klartext: obwohl das Ding von einem Major-Label mit dem Segen der verbleibenden Bandmitglieder veröffentlicht wird, ist es für Gelegenheits-Fans oder HiFi-Freaks ganz sicher nicht geeignet. Das hier ist ausschließlich Material für die, die das Ding tatsächlich auch als “echtes” ROIO gekauft hätten. Für die gibt’s aber jede Menge guter Nachrichten: das Ausgangsmaterial ist (wie erwähnt, für Bootleg-Verhältnisse!) fast durchweg sehr fein, lediglich der 1983er Audience-Mitschnitt aus Worcester ist etwas dumpf und hat Anzeichen von Band-Zerfall, erhält aber immer noch das offizielle Bootleg-Grading B-. Mit viel später nur noch selten gespieltem “Alpha”-Material wie ‘Eye To Eye’ oder ‘Midnight Sun’ ist aber auch dessen Part in der Box durchaus substantiell. Die drei Shows aus der Reunion-Phase (São Paulo 2007, Soundboard; Tokyo 2008, Audience und London 2010, Soundboard) gehen immer noch alle als A- durch. Heißt, alle Instrumente sind deutlich zu vernehmen, es gibt keine nennenswerten Übersteuerungen und kaum Rauschen. Und natürlich ist auf allen zehn CDs das originale Asia-Line-Up mit Wetton, Howe, Downes und Palmer zu hören. So weit, so gut.

Das absolute Highlight ist aber ohne Diskussion die erste der in der Box enthaltenen CDs. Es handelt sich dabei nämlich um den “heiligen Gral” für Asia-Die-Hard-Fans: ein echter Soundboard-Mitschnitt der ersten Asia-Tour 1982, als die Band sich auf der Höhe ihres Erfolges befand. Der hat denn auch die beste Qualität der Box – natürlich auch noch ein gutes Stück von einer nachbearbeiteten, “echten” Livescheibe entfernt, aber für Bootleg-Verhältnisse wirklich herausragend.
Schade nur, dass bei ‘Heat Of The Moment’ die ersten Takte fehlen und ‘Only Time Will Tell’ etwas verfrüht endet- aber das sind eben die üblichen Probleme bei Soundboard-Tapes. Dafür gibt’s eine noch deutlich anders klingende Frühfassung von ‘Midnight Sun’, die diesen Faux-Pas locker wieder wettmacht. Auch in Sachen Performance ist das 1982er Konzert ein echter Höhepunkt. Speziell Steve Howe präsentiert sich voller Spielfreude und erinnert mit eleganten, superflüssigen Leads noch einmal daran, dass er einer der großartigsten Musiker des ganzen Prog-Zirkus war. Wenn man diese Show mit den neueren Aufnahmen vergleicht, fällt allerdings auch auf, wie sehr Steve in den letzten Jahren seiner Karriere abgebaut hat. Speziell bei der 2010er Show ist doch deutlich zu hören, dass Howe seine elektrischen Parts oft recht schludrig und ruckelig spielt – dem Yes-Fan ist das Phänomen sicherlich vertraut. Die technisch größtenteils weit anspruchsvolleren Akustik-Solo-Parts bietet er hingegen mit gewohnt souveräner Lockerheit dar, die vermuten lässt, dass Howe nicht unbedingt aus musikalischen Gründen Teil dieser Reunion-Shows war. Der Rest der Performance lässt sich kaum bekritteln – ja, John Wettons Stimme neigte gegen Ende etwas zum Knödeligen, und mit Carl Palmer geht selbst im fortgeschrittenen Alter gerne mal die eigene Energie ein wenig durch. Das ist eben Livemusik und speziell auch der Reiz von rohen Bootleg-Aufnahmen: Fehler und Unzulänglichkeiten gehören eben dazu und lassen Musiker und Fans menscheln.

Das Boxset steckt natürlich voller Klassiker – auch wenn selbstredend viele Wiederholungen vertreten sind. Auch in den 2000ern lebten Asia-Shows hauptsächlich vom Material der ersten beiden Alben, und so sind ‘Wildest Dreams’, ‘Sole Survivor’, ‘Only Time Will Tell’ und ‘Heat Of The Moment’ natürlich auch in allen fünf Setlists vertreten. Dazu kommt aber noch eine mehr als ordentliche Ladung an weniger obligatorischen Stücken, die jedem Gig doch einen eigenen Charakter verleihen. Am Mutigsten ist dabei die Setlist von 2010, die gut zur Hälfte aus Post-Reunion-Songs besteht und dabei clever die Highlights herauspickt: ‘I Believe’, ‘Never Again’, ‘Holy War’, ‘An Extraordinary Life’ oder ‘Finger On The Trigger’ halten sich tatsächlich überraschend wacker neben den Klassikern. Auch Covers von ‘Roundabout’, ‘Video Killed The Radio Star’, ‘In The Court Of The Crimson King’ und ‘Fanfare For The Common Man’ gibt’s, dazu noch diverse Howe-Solosongs wie ‘Clap’, ‘Beginnings’ oder einem ‘The Ancient’-Extrakt.

Wenn man sich an der Tatsache, dass es sich um waschechte Bootleg-Qualität handelt, nicht stört, bekommt man hier wirklich ein schönes Paket geschnürt, das von einem Asia-typischen Roger-Dean-Artwork plus Booklet mit Linernotes auch visuell schön abgerundet wird. Man darf gespannt sein, ob ein “Volume II” folgt – und was die Band dafür noch aus den Archiven zerren kann.
Ohne Bewertung (Compilation)

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Abbildung: BMG/Warner