(65:00, 2LP/Digital, Self-release/Bandcamp, 2001/2021)
Die Welt ist nicht gerecht. Das lässt sich jedenfalls schwer widerlegen. Hin und wieder jedoch keimt Hoffnung auf, dass Kunst doch irgendwie ihren Weg findet, auch wenn im digitalen Zeitalter mehr als je zuvor der Kommerz den Ton angibt. “The Opiates” ist ein solcher Hoffnungsfunken.
Vor zwanzig Jahren zum ersten mal veröffentlicht, fand das Werk der Schweden Anywhen allenfalls in kleinsten Nischen Beachtung. Überdies hatte sich die Formation bereits während der Aufnahmen nach und nach aufgelöst, sodass am Ende lediglich Thomas Feiner übrig blieb um das Werk zu vollenden.
Genau diese Erstveröffentlichung fiel irgendwann einem Waldschrat namens David Sylvian in die Hände, der davon wohl so begeistert war, dass er Feiner die Möglichkeit gab das Album in leicht überarbeiteter Form auf seinem Samadhisound-Label erneut zu veröffentlichen.
Im Umfeld von Sylvians Fans fand “The Opiates” schließlich endlich ein Publikum, das das Potenzial des Albums erkannte. Und es wurde so zu einem Insider-Tipp unter Art-Pop, Leftfield- und Avantgarde-Enthusiasten. Nicht nur aufgrund der stimmlichen Verwandtschaft Feiners, konnte das Album Vergleiche mit diversen Sylvian-Großtaten durchaus standhalten. Auch Vergleiche mit den späten Talk Talk oder der legendären Formation This Mortal Coil wurden bisweilen ins Feld geführt. In der Folge ergab sich für Feiner daraus die Möglichkeit auf Werken von Steve Jansen, Sylvians Bruder, als Gastsänger zusätzlich Aufmerksamkeit zu bekommen. Da Samadhisound aus diversen Gründen jedoch irgendwann zu Grabe getragen wurde, verschwand auch “The Opiates” wieder vom Markt. Einzelne Exemplare wurden in Folge auf eBay und Discogs zu horrenden Preisen gehandelt.
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Derweil entstand mit Exit North immerhin eine Art legitime Nachfolge-Band um Thomas Feiner und Steve Jansen. Deren Debüt “Book Of Romance And Dust” füllte 2018 jenes Vakuum, das Sylvians Abkehr von der Musik in den genannten Fan-Kreisen hinterlassen hatte.
Nun, zwanzig Jahre später veröffentlicht Thomas Feiner “The Opiates” über seine Bandcamp-Präsenz in erneut überarbeiteter Form. Es brauchte kaum 24 Stunden, um die Crowdfunding-Kampagne für eine Vinyl-Veröffentlichung des Albums zum Erfolg zu führen. Das ist eine Zeitspanne, die man eigentlich nur von den Erfindern des Crowdfunding, nämlich Marillion kennt. Wer das Album als Doppel-LP jetzt noch haben möchte, muss sich sputen. Der Vorverkauf endet am 11. Januar 2022.
Was darf man nun von einem Album mit einer solchen Geschichte erwarten? Die Namen Sylvian und Jansen sind bereits gefallen. Die Einordnung in deren Kosmos erscheint legitim. Feiners Stimme erinnert bisweilen auch an Nick Cave. Das eröffnende ‘The Siren Songs’ ist eine Mörder-Ballade im besten Sinn. Hervorheben muss man die ausgesprochen geschmackvollen Streicher-Arrangements, die stets im Dienst des Songs stehen und nie als bloße Effekthascherei eingesetzt werden. Feiner hat hier u. a. mit dem deutschen Arrangeur Manfred Honetschläger zusammengearbeitet. Besonders schön ist das in ‘Dinah And The Beautiful Blue’ anzuhören. Daneben bleibt ebenso Raum für sparsam instrumentierte Miniaturen wie ‘Toy’ oder ‘Betty Caine’. Eigens für die Jubläumsausgabe wurde das Track-Listing nochmals um zwei Titel erweitert. Sowohl ‘The Rain Collector’ als auch ‘Giant’ passen sich perfekt in das ursprüngliche Album ein und dienen keineswegs nur als Füllmaterial zum zusätzlichen Kaufanreiz. Der Titel ‘Where’s The High’, der auf der Samadhisound-Version fehlte, wurde nun in einer neuen Version wieder an seinen alten Platz zurück geführt.
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Soweit auf Bandcamp ersichtlich, scheint neben der limitierten Vinyl-Ausgabe nur auf den digitalen Vertrieb gesetzt zu werden. Besitzer von älteren Versionen des Albums dürfen sich somit mit der Vervollständigung vergnügen. Die Ohren des Betreuers hören zumindest keinen klanglichen Unterschied zur Original-Ausgabe. Ungeachtet davon darf man nun von der ultimativen Ausgabe von “The Opiates” sprechen, die nun wirklich in keiner Sammlung eines Leftfield- oder Avantgarde- Fans fehlen sollte.
Bewertung: 15/15 Punkten (DH 15, KR 14)
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Abbildungen: Thomas Feiner