Im Post-Rock-Hochofen der Republik
Und es hat erneut geglOOwt. Und die Neue Gebläsehalle hat wieder geglüht. Fick Dich einfach, Corona! Die letztjährig von Dir verhinderte Ausgabe vom Gloomaar war trotz der von Dir angerichteten miesen Pandemie auch 2021 wieder eines der tollsten Festivals, das man sich zumindest in den uns interessierenden Genres überhaupt geben kann.
Seuchenbedingte Unterschiede waren aber dennoch natürlich allenthalben unübersehbar: Wie z.B. der souverän-freundlich und zügig vollzogene Impfstatus-Check am Einlass. Außerdem war gerade zu Beginn des traditionell um 16:30 Uhr startenden Treibens die Halle leider noch etwas dünner besiedelt als 2018 und 2019. Und auch ganz persönlich vermisste man halt etliche sonst immer freudig registrierte Gesichter im Publikum.
Als nächstes schlug wieder zu, was man – strunzsubjektiv, wie dies’ alles hier – das “Gloomaar First & Second Band Syndrome” nennen könnte. Entweder man verpasst sie dämlicherweise (Flares, 2018). Oder die Band krempelt sich just zum Auftrittszeitpunkt einmal komplett auf links (Noorvik, 2019). Oder man hat noch nie von ihr gehört, verliebt sich aber spontan heftig (There’s A Light, 2019). Oder man fuhr immer schon und fährt auch vor Ort dermaßen auf sie ab, dass man danach eigentlich gar keine weitere Musik auf dem Festival mehr braucht bzw. will bzw. ertragen möchte (Soup, 2018). Naja, sämtlich Luxus-Probleme, zugegeben.
CatayAutismus
Die deutsch-belgische Formation Cataya hatte ebenfalls Probleme. Aber völlig andere.
Seit einem Slayer-Auftritt in Wacken, bei dem diese Dösbaddel weite Teile des Konzerts mit dem Rücken zum Publikum spielend oder miteinander debattierend verbrachten, hat unsereiner keine Band-Performance mehr gesehen, bei dem man als Zuschauer so sehr das Gefühl vermittelt bekam, eigentlich doch sehr zu stören.
Das ging schon beim Bühnen-Layout los – zentral platziert war eine Leinwand zum Projizieren der Visuals, mittig auf einem Podest davor sah man im Profil, wie Keyboarder und Drummer maximal sich gegenseitig und sonst gar nichts fixierten.
Sternförmig drum herum waren die drei Gitarristen und der Bassist mit Blickrichtung auf das Podest aufgestellt. Und vermieden dabei konsequent jeden Blickkontakt mit dem Publikum. Das sogar so konsequent ignoriert wurde, dass es auch keine Ansagen, Danksagungen oder Fuck-Yous gab. Einfach nüschte.
Positiv betrachtet ergab dies immerhin maximale Aufmerksamkeit für die in der Tat teilweise recht sehenswerten filmischen Einspielungen – u.a. 60er Jahre Hollywood- und Tier- und Natur-Filme mit besonderer Berücksichtigung ausbrechender Vulkane. Was vermutlich die Gefühlswelt der Musiker verbildlichen sollte.
Wer daran entweder nichts finden konnte oder gar bockig darauf beharrte, doch eigentlich nicht in Cannes, sondern in Neunkirchen auf einem Konzert zu sein, einem Festival gar, der fühlte sich möglicherweise doch etwas vor den Kopf gestoßen.
Negativ betrachtet ergab es halt einen extrem hohen “Ich bin mal Bier holen”-Faktor – und das relativ früh am Tag. Auf der anderen Seite gibt es wirklich Schlimmeres.
Wir haben im kühnen Selbstversuch hernach noch mal die Probe aufs Exempel gemacht. Und siehe da: Material der Band wie die vorläufig noch aktuellste EP “Firn” von 2018 wirkt von Konserve (erneut sehr subjektiv) tatsächlich sehr viel positiver und cineastischer als es das auf der Gloomaar-Bühne tat. Vielleicht einfach aufgrund der dort gründlich düpierten Erwartungshaltung?
Und vielleicht auch wegen des so noch nie in der Gebläsehalle erlebten Sounds. Der war nicht zu laut und auch nicht per se schlecht, aber monolithisch, blockig. Es war kaum möglich, Instrumente zu unterscheiden. Und da die Tonmeister in der Halle zumindest bei diesen Festivals in Neunkirchen bislang noch jedes Mal bewiesen haben, wie sehr sie ihr Handwerk verstehen, liegt die Vermutung nicht fern, dass das von der Band auch genau so gewollt war.
Obwohl wie gesagt gleich drei Gitarristen und ein Keyboarder am Start waren, kamen dennoch zusätzlich Loops zum Einsatz, was die Soundwand zusätzlich verdichtete.
Und obschon es weder Augenkontakt mit dem Publikum gab (oder wenigstens das Eingeständnis, dass eines da war), wurde dieser ganze Ausbund an “Stage Acting” auch noch gefilmt – sowohl von vor wie auf der Bühne. Auf das Ergebnis dieses “Konzertfilms” sind wir natürlich arg gespannt.
Setlist Cataya:
1. New Track
2. Madera Sagrada
3. Ausblick
4. New Track
Barrens – Fruchtbare Ländereien
Ein Soundcheck vor Publikum ist ja normalerweise genau die Situation, wo hochkonzentriert auf das eigentliche Ereignis hinarbeitende Musiker das Publikum gerne schon mal ausblenden. Das nun aufbauende, einstöpselnde und testende schwedische Trio um Gitarrist Johan G. Winther hingegen nahm beim bereits sehr ästhetisch klingenden Linecheck mehr und freundlicher Notiz vom Publikum als Cataya bei ihrem gesamten Auftritt…
Als der Gig dann tatsächlich startete, mit teils bratzelig-verzerrtem, aber ungemein melodischem Akkord-Spiel von Bassist Kenneth Jansson eingeleitet, da war es – sorry Cataya – ein bisschen so, als würde das Festival überhaupt jetzt erst beginnen. Und das mit Macht.
Johan wechselt auf seiner Les Paul sekundenschnell zwischen filigranem Post-Rock-Geflirre zu ultrafetten Fuzz-Power-Chords.
Die drei Musiker waren ganz offensichtlich überglücklich, wieder auf Tour zu sein (seit Anfang jener Woche, gemeinsam mit LLNN, siehe auch ein Stückchen weiter unten). Und feierten das inzwischen deutlich kopfstärkere Publikum mindestens ebenso wie wir das umgekehrt taten.
Neben der Saitenartistik von Johan und Kenneth sowie dem souveränen Abrufen diverser Samples via zweier ehrfurchtgebietender Pedalboards machte auch Schlagzeuger Markku Hildén eine ausgesprochen gute Figur bei diesem ersten Festival-Highlight.
Setlist Barrens:
1. Antumbra
2. Atomos
3. Oracle Bones
4. New Track
5. New Soundscapes
6. Shifter
7. The Passing
8 Arc Eye
LLNN
Die apokalyptischen Label-Kollegen (bei Pelagic Records) von LLNN rannten nach dieser leidenschaftlichen Aufwärmübung nach wieder einmal sagenhaft kurzer Umbaupause natürlich bereits weit offenstehende Türen ein.
Ob es daran lag, dass hier erstmals gesungen bzw. gekreischt wurde?
Der Autor selbst fand den Auftritt der Dänen gut, aber nicht ganz so begeisternd wie den von Barrens. Konnte aber nicht umhin, die ebenfalls erstmals an diesem Tage vereinzelt auftretenden ekstatischen Tanzeinlagen weiblicher Publikumsmitglieder wahrzunehmen.
Und das war selbstveständlich prächtig anzusehen.
Von der Band selbst schon mit Labels wie “Hardcore”, “Sludge”, “Synth” und “Sci-Fi” beklebt ergab sich fraglos ein abwechslungreicher, munterer und brutaler Mix.
Setlist LLNN:
1. Structures
2. Imperial
3. Interloper
4. Obsidian
5. Vakuum
6. Scion
7. Tethers
8. Desecrator
9. Monolith
Briqueville – Wunderschöne Seuchenvögel
Apropos prächtiger Anbick. Briqueville – diese geheimnisumwobenen Belgier aus Temse waren bei uns ja schon verdient und gebührend gefeiert worden. Da ein Album wie II hierorts immer noch nachgerade kultisch verehrt wird, ergab sich die Sorge (vgl. auch das Cataya-Problem, s.o.), ob diese ganze ekstatische, mystische Post-Doom-Metal-Wucht live überhaupt reproduzierbar sein kann. Und vor Ort sein würde.
Sekunden nach Auftrittsbeginn eine Sorge weniger. Und ein Lieblingskonzert des ganzen Jahres mehr!
Während sich draußen die Welt gezwungenermaßen (und der Not gehorchend m.E. auch vernünftigerweise) maskiert, erscheint diese Band gleich mal komplett in Mönchskutte und Vogelschnabel-Maske gewandet. Was zumindest beim Autor Erinnerungen an Darstellungen der Pest in Wissenschaft, Literatur und Malerei heraufbeschwor – wie passend…
(Übrigens, so hat das schon 2017 live ausgesehen).
Wie auch immer, endzeitliche Songmonster wie Akte XII gewinnen vor dem Hintergrund des aktuellen Zeitgeschehens natürlich einen quälenden, aber akkuraten Zeitbezug.
Aber statt zu irritieren, machte das die Musik der von Stück zu Stück intensiver aufspielenden Vermummten nur umso begeisternder.
Gleichzeitig so majestätisch, megaböse, heavy und melodisch, was u.a. die beiden Gitarristen da an Twin Leads auf u.a. einer Gibson SG veranstalten…
Setlist Briqueville:
1. Akte VIII
2. Akte IX
3. Akte XI
4. Akte XII
5. Akte VI
6. Akte VII (closing section)
Dieser Mix aus einer Heavy Metal-Show und Theater ist möglicherweise eine der aktuell faszinierendsten Live-Darbietungen, die uns da geboten wurde. Gefolgt von…
Sylvaine hat die Haare schön
… und damit der von Floh und mir und zumindest allen Freunden und Bekannten, mit denen ich vor Ort gesprochen habe, noch am wenigsten nachvollziehbaren Buchung beim Gloomaar ’21. But what the heck – Jahr für Jahr wird man hier für wirklich kleines Geld stets mit Monster-Material bedient (sowie bestem Sound und meist exzellentem Licht). Mal sind die Bands bekannter, mal überhaupt nicht. Dann passt das hier auch schon. Auch wenn sich wirklich nach kurzer Zeit ausnahmslos alle anwesenden Kumpels und sonstigen Bekannten und Ansprechpartner während dieses Gigs alsbald außerhalb der Halle einfanden.
Letzlich bleiben solche Reaktionen natürlich krass ungerecht. Es ist anzunehmen, dass man bei einem Vollsortimenter-Festival wie Rock am Ring überglücklich wäre, zwischen der ganzen dort gebotenen Kaspermucke auch mal so etwas wie Sylvaine zu erhaschen.
Verabreicht wurde jedenfalls sowas Ähnliches wie Post Rock mit barfuß zelebriertem Sirenengesang und kompetent bedienter Fender Jazzmaster. Aber zum Rest vom Billing schien es (zumindest uns) einfach nicht so recht zu passen.
Setlist Sylvaine:
1. Atoms Aligned, Coming Undone
2. A Ghost Trapped in Limbo
3. Abeyance
4. Earthbound
5. Delusions
6. Mørklagt
The Ocean (is the ultimate solution)
Mit einem Sound wie zum Diamantschneiden meldeten sich kurz vor 23 Uhr die Headliner nicht nur dieses Festivals zu Wort. Bislang war es mit dem Gesang auf dieser Bühne ja noch recht überschaubar geblieben. Vielleicht lag es ja daran, dass Loïc Rossetti auf ihr stolzierte wie ein König. Der er ja vergleichsweise ja auch durchaus ist. Unter den Sängern, versteht sich.
Bei den anderen Bands des Festivals gibt es nicht annähernd, was er zu bieten hat – soll es aber natürlich teils auch gar nicht geben. Und auch ab davon dürfte es schwer fallen, Vokalisten mit einem derartig fesselnd gemischten Vortrag aus wunderbar melodischem und bestialisch verzerrtem Gesang zu finden – u.a. weil es bei Mikael Å. so relativ selten geworden ist.
Genau das elektrisiert die Halle auch so, dass der Kollege sich binnen kurzem – natürlich munter weiter singend – auf eine Runde Stage Diving verlegen konnte (das wäre bei allen Vorbands aufgrund zu geringer Bevölkerungsdichte direkt am Bühnenrand wohl böse schief gegangen). Kurz danach sanft auf die Bühne zurückgereicht, sang Loïc völlig ungerührt weiter.
Meinereiner hat The Ocean schon diverse Male live erlebt. Es war jedes Mal phantastisch. Aber nie derartig entfesselt und begeisternd wie hier.
Setlist The Ocean:
1. Triassic
2. Mesopelagic: Into The Uncanny
3. Miocene / Pliocene
4. Calymmian: Lake Disappointment
5. Oligocene
6. Permian: The Great Dying
7. Holocene
8. Pleistocene
9. Cryogenian
10. Cambrian II: Eternal Recurrence
11. Silurian: Age Of Sea Scorpions
12. Firmament
Das Beste zum Schluss: Falls uns keine fiesen Covidianer-Mutanten in die Suppe spucken, findet das Festival auch kommendes Jahr wieder statt. Und zwar am 19.11.2022. Bereits bestätigter Pracht-Act: We Lost The Sea!
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Rezension “Phanerozoic I: Palaeozoic” (2018)
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Festivalbericht ProgPower Europe 2013 – The Ocean is the final solution
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Das Festival ist der Headliner:
Der Veranstalter: Neunkircher Kulturgesellschaft
Festivalbericht 2018
Festivalbericht 2019
Live-Fotos: Floh Fish