Shem – Shem II
(40:34, LP, Digital, Clostridium Records, 2021)
Heute gibt’s mal eine ganz altmodische Bastelanleitung: wie bastelt man ein sich ein narrensicheres Stück traditionellen Krautrocks? Nuuuuun! Wir brauchen natürlich zunächst einen Drummer, der ganz einfach mal mit einem Motorik-mäßigen Beat startet. Alles andere ergibt sich schon fast von selbst. Langsam steigen alle ein, erst mal vorsichtig riffen, eingrooven, dann vielleicht ein erstes Solo. Und lass’ Dir Zeit bis zum zweiten Akkord – wenn der erste doch noch so schon dröhnt!
Die Stuttgarter Jam-Band Shem hat für ihr zweites Album diese Regeln kräftig verinnerlicht – ‘Fall’, das die komplette Seite 1 einnimmt, startet nämlich exakt so. Aber natürlich bringt das beste musikalische Rezept nichts, wenn die Band nichts taugt. Und glücklicherweise tun Shem das sehr wohl. Die beiden Jams klingen sowohl außerordentlich dynamisch als auch, nun ja, groovig. Und nicht nur, wenn gegen Ende des ‘Fall’ kurzzeitig die Disco-HiHat ausgepackt wird: der schön sämige Basssound passt wunderbar zu den schön akustisch klingenden Drums, und die beiden Musiker wirken fast schon vorbildlich “tight but loose”. Die Synthies bleiben meist dezent im Hintergrund, und darüber legen sich die zwei (!) Gitarren mal mit unnachgiebigen Achteln, mal mit kosmischen Drone-Gebilden, mal mit purem Noise – aber nie dudelig. Der akustische Rauschzustand ist das Ziel, und Shem schaffen es im Gegensatz zu vielen Konkurrenten, diesen auch beim Zuhörer ganz ohne weitere Paraphernalia zu erreichen. Dazu gehört auch, dass die Schwaben ein exzellentes Gespür dafür haben, wie man einen Jam ins Extrem treibt. Für schwache Nerven ist das freilich nichts: wir befinden uns definitiv auf der finsteren Seite des Post-Kraut-Psych-Genres, generell geht’s hier ziemlich düster und klaustrophobisch zu. So kommt das getragenere ‘Night’ nach der dämonisch anmutenden Ekstase des lautstarken ”Descension’ höchst willkommen – nur um nach wenigen Minuten ebenfalls in Lovecraftsche Sphären zu verschwinden.
Auch die Produktion ist ziemlich gelungen – schön kantig und trotzdem voller Dynamik, und zum Mastering hat man niemand Geringeres als Grobschnitts Eroc verpflichtet. Der gute Eindruck wird vom einfachen, aber perfekt passenden Cover, das ebenfalls von zwei Bandmitgliedern designt wurde, noch abgerundet. Shems Variation von zeitgemäßem Krautrock kann also absolut überzeugen. Auch wenn die Band vollkommen auf traditionelle Songstrukturen verzichtet, wirkt hier nichts verkopft oder künstlich: Bauchmucke ist angesagt. Grundsätzlich eine Band die man im Auge behalten sollte – sofern das generell möglich ist. Denn laut Bandcamp stammen die Aufnahmen ebenso wie die auf dem Debüt enthaltenen Stücke bereits aus den Jahren 2017 und 2018, auch wenn sie erst 2021 veröffentlicht wurden. Mysteriöserweise gibt es auch ansonsten außer dem Bandcamp-Account im Social-Media-Zirkus keinerlei Hinweise auf die Band…
Bewertung: 11/15 Punkte
Surftipps zu Shem:
Bandcamp