Electric Orange – psi-hybrid

Electric Orange - psi-hybrid (Studio Fleisch, 15.12.21)(71:55, CD, Digital, Eigenveröffentlichung (Studio Fleisch), 2021)
Orgel-dominierte Rockmusik und alte Favs: Deep Purple und Electric Orange zum Beispiele. Und so unterschiedlich kann’s gehen. Binnen weniger Tage. Das neue DP-Album “Turning To Crime” (“Going Stale” wäre vielleicht passender gewesen) nach einem Durchlauf unter tief betroffenem Fremdschämen weggeklickt. Vor dem neuen EO-Output auch eher Angst gehabt. Und dann dies! Dass ein buchstäblich uralter und stets noch glühender Fan der Frühwerke wie “Platte” (2003), “Fleischwerk” (2005) oder “Morbus” (2007) das noch erleben darf!

Denn nach den vorgenannten ausgesprochenen Lustobjekten schienen sich die einzigartigen Stärken der Aachener wie unbegreiflich anmachende Rhythmik, a vulgar display of sexy hammond sound und nicht zuletzt ein durch und durch selbstironischer, bekifft-humoristischer Ansatz zunehmend verflüchtigt oder meinetwegen auch hinfort vergeistigt zu haben. Hin zu immer elektronischeren Konzepten. Die auch überaus kompetent mit Leben gefüllt wurden, so nicht! Vergleiche z.B. auch “DJM”s anderes, in dieser Hinsicht noch konsequenteres Format Cosmic Ground. Und vielleicht hat ja genau diese von ihm entwickelte Möglichkeit, EM-Sounds in letzter Konsequenz (und das sehr überzeugend) auszuleben, dazu geführt, dass EO sich zumindest zeitweilig wieder auf alte Tugenden zurück besinnen konnten und wollten. Denn – wer hätte es gedacht (not me) – “psi-hybrid” wirkt zumindest auf den Rezensenten wie genau so eine Rückkehr. Hussa!
Unsereinerwelchem haben die Aachener Fleischprinten halt immer am besten gefallen, wenn sie sich (dabei stets eigenständig) mehr an Birth Control, Iron Butterfly und Can ausgerichtet angehört haben. Statt an Tangerine Dream oder Klaus Schulze.
Berserkley School statt Berliner Schule gewissermaßen.

psi-hybrid by electric orange

Ein Sprachsample (‘Report’) zieht uns ins Geschehen, woraufhin der stapfende, ja stampfende “Widerstand ist zwecklos”-Rhythmus von ‘Dilectric’ übernimmt. Und warme Wellen analoger Orgel-Sounds weiterführen.
‘Season Of The Bitch’ erinnert daran, dass EO immer schon gerne mit wohlbekannten Song-Titeln gespielt haben. Und lässt uns ein herrlich ausrastendes Saxophon-Solo genießen.

‘Shingle Robe’ verwöhnt erneut mit extrem fett klingenden Orgel-Parts über verstörenden Vocal Samples (teils rückwärts laufend – Teufelsanbeter also auch noch!). ‘Psycho-Harmony’ stellt schon mit dem geradezu schmatzend phatten Bass-Sound Harmonie mit dem Universum her, woraufhin diverse Percussion-, Glocken- und Waber-Sounds die Psyche des Hörers weiter sanft massieren…

Der ‘Mesocarp Blues’ ist jottlob gar keiner, da sind allein schon Harald Königs’ großartige, atmosphärische Flötenparts vor. Und was mag ein ‘Subcutaneous Star’ sein – in einem Land voller Impfgegner gleich gar? Sphärisch/kosmisch anhören tut er sich jedenfalls zumindest nur am Anfang und am Ende des hörenswerten Stückes.

Auftritt der ‘Wacky Amoebatrons’ – mit 11:07 Min. auch der Longtrack des eh übervollen Albums. Enorme Steigerungen bereiten uns vor auf dessen Ende mit ‘Erusamu Basement’

In Summe: “psi-hybrid” ist alles, wozu wir 2008 schon mal geschwärmt hatten:

Durchgängig verzaubern die zunächst monoton wirkenden, aber ungemein treibenden Kompositionen mit der teils an Birth Control erinnernden Orgel von Dirk Jan Müller, einer Can verpflichteten Komplexität und vor allem diversem Schlagwerk als besonders wichtiger Instrumentierung. Mit der Zeit entdeckt man auch noch zahlreiche weitere liebenswürdige Details wie (…) ätherische Flötenparts. Die Basslinie vom knapp 13-minütigen “Schrasng” (sic) kann bei empfindsamen Naturen lebhafte Visionen eines amoklaufenden Tausendfüßlers hervorrufen. Wir wünschen allen Kraut-, Psychedelic-, Space- und Retroprog-Rock-Fans frohes Halluzinieren mit Electric Orange!

Verbunden mit einem auffallend liebevoll und ästhetisch gestalteten, üppig bebilderten Booklet ergibt das als…
… Bewertung: 12/15 Punkte

Line-up:
Werner Wieczorek: Bass
Georg Monheim: Drums, Glockenspiel, Pauke, Blechtrommel (!)
Dirk Bittner: Gitarren, Dobro, Zither, Gesang, Percussion, Harmonium, Samples
Dirk Jan Müller: Synthesizer, Orgel, E-Piano, Modularelektronik, Klavier, Samples

special guest: Harald Königs on Saxophone and Bass-Flute

“Double D” (Dirk & Dirk): Produktion & Mix
Eroc: Mastering.

Surftipps zu Electric Orange:
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Rezension “Encoded” (2020)
Dirk Jan Müller von Electric Orange im Gespräch über u.a. “EOXXV”
Rezension zu “Volume 10” (2015)
Rezension zu “Fleischwerk” (2005/2008)

Abbildung: Electric Orange