Black Sabbath – Technical Ecstasy (Deluxe Edition)
(2h:59m:59s, CD, LP, Digital, BMG/Universal, 1976/2021)
Man könnte fast meinen, dass das Sabbath-Camp ausnahmsweise auf die nicht sonderlich schmeichelhafte Kritik am “Sabotage”-Deluxe-Boxset reagiert hat. Im Gegensatz zu der gibt’s nämlich bei der Sonderauflage von “Technical Ecstasy” kein unnötiges Füllmaterial, dafür eine ordentliche Ladung an bislang in dieser Form Unveröffentlichtem. Noch überraschender: das CD-Boxset gibt’s auch bei den meisten Retailern für knapp 20€ weniger als die bisherigen Sabbath-Boxen. Mit einem Preis von 60 bis 70 € für vier CDs ist das Ganze natürlich immer noch kein Schnäppchen, aber zumindest einigermaßen konkurrenzfähig bepreist.
Ob einem die Sache das Geld wert ist, hängt natürlich davon ab, wie sehr man “Technical Ecstasy” als Album mag. Denn das Boxset besteht – logischerweise – hauptsächlich aus Variationen besagten Albums. Da wäre ein neues Remaster des Originalalbums, ein Steven-Wilson-Stereomix von 2021 und eine Disc mit Outtake-Fassungen und Rough Mixes. Dazu gibt’s wie gewohnt eine Live-CD, die – ebenfalls gewohnt – Material von Radioaufzeichnungen für die King Biscuit Flower Hour enthält. Man sollte also schon in der Lage sein, sich an insgesamt vier Versionen von ‘Gypsy’, ‘All Moving Parts (Stand Still)’ oder ‘She’s Gone’ zu erfreuen. Ohne Frage aber sind alle Variationen hochinteressant. Die Produktion des Originals schwankte ein wenig unentschlossen zwischen den bisweilen durchaus proggigen Experimenten und dem Versuch, die Hardrock-Fraktion weiterhin zu bedienen. Das trug natürlich wiederum viel zum weder-Fisch-noch-Fleisch-Ruf des Albums bei. Steven Wilsons Remix hingegen betont wenig überraschend die progressive Seite des Albums: die Gitarren werden im Mix zurückgenommen, die Keyboards und die Drums bekommen mehr Platz und alles wirkt offener und räumlicher. Um es einfach mal offen zu sagen: genau so hätte das Album vermutlich schon damals klingen müssen. Seine Höhepunkte hat “Technical Ecstasy” nämlich sowieso in den abenteuerlustigen Momenten. Wer hingegen auf den ganzen Keyboard-, Percussion-, Chor- und Streicherkram keinen Bock hat, der wird sich an den puristischen Rough-Mixes erfreuen, die CD 3 beherbergt.
Musikalisch streiten sich die Geister schon immer um “Technical Ecstasy”, und es besteht natürlich keine Diskussion, dass das Album nicht ganz die Qualität der bisherigen Sabbath-Alben erreicht. Künstlerische Weiterentwicklung ist das Eine, aber zu viele Songs auf “Technical Ecstasy” lehnen sich ein wenig zu sehr an damals populäre Kollegen an. Der Opener ‘Back Street Kids’ beispielsweise galoppiert mit typischen Thin-Lizzy-Riff (minus die Twin-Gitarren) eigentlich sehr nett durch die Walachei, und in der Mitte gibt’s ‘nen puren Rush-Part – doch Ozzy vergeigt den Treffer mit einem typisch einfallslosen “ich-sing-halt-das-Riff-weil-mir-nix-besseres-einfällt” Refrain. ‘Rock’n’Roll Doctor’ ist ein pures Kiss-Rip-Off, klaut das Riff von ‘Let Me Go Rock’n’Roll’ und den Groove von ‘Christine Sixteen’ inklusive dem Honky-Tonk-Piano – das kann natürlich nur schiefgehen. Kiss wird übrigens noch ein zweites Mal gehuldigt: ‘She’s Gone’ ist ein ebenfalls streichergetragener, offensichtlicher Versuch, deren ein halbes Jahr zuvor veröffentlichte Hitballade ‘Beth’ zu kopieren. Besser geraten ist klar ‘It’s Alright’, auf dem mit Bill Ward am Gesang ausgiebig den Beatles Tribut gezollt wird. Auch das bisweilen an mittlere Led Zeppelin gemahnende ‘Dirty Women’ zieht die Originalitäts-Wurst nicht unbedingt vom Album-Brötchen, entschädigt aber mit echt coolen Gitarrensoli von Meister Iommi. Soweit, so durchschnittlich. Aber auch drei echte, unterbewertete Kracher hat “Technical Ecstasy” zu bieten. Da wäre das epische ‘You Won’t Change Me’, bei dem atmosphärische Synths, Iommis Doom-Riffs und Ozzys engagierter Gesang eine perfekte Synthese eingehen. Ebenso feist ausgefallen ist ‘Gypsy’, mit vielen Breaks, groovigen Percussions, Glam- und Psychedelic-Rock-Anleihen und einem ELO-verdächtigen Mittelpart. Mit ‘All Moving Parts (Stand Still)’ wagen sich Sabbath sogar an leicht funkiges Liedgut, was ihnen tatsächlich überraschend gut zu Gesicht steht. Hier kommt allerdings der Rough Mix nochmal besser, weil hier a. das elektrische Piano in bester Stevie-Wonder-Manier noch mehr im Vordergrund steht und b. Ozzy noch in späteren Fassungen leider nicht mehr enthaltene schweinegeile Harmonica-Parts beisteuert.
Inhaltlich kann man “Technical Ecstasy” somit durchaus als vorbildliches Beispiel für eine Deluxe-Edition loben. Der Remix offenbart genauso wie das Bonus-Material neue Seiten an einem eher ungeliebten Album, und genau das sollte ja Sinn solch eines Sets sein. Extra-Lob: Der niedrigere Preis zeigt, dass entweder im Sabbath-Lager oder bei der Tante BMG irgendjemand die Kritik an der “Sabotage”-Box wahrgenommen haben muss. Und das ist ja schließlich auch einmal bemerkenswert.
Bewertung: keine (Re-Release)
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Abbildungen: BMG / Universal / Promoteam