Big Big Train – Common Ground

(62:06, CD, LP, digital, English Electric Recordings, 2021) Big Big Train - Common Ground (EnglishElectric, 30.7.21)
Wenn eine Band im Vorfeld Veränderungen ankündigt, gehen im Prog-Fandom für gewöhnlich schon alle Alarmlichter an. Wenn noch dazu Phrasen wie “zugänglicher”, “mehr Raum” und “reduziert” fallen, denkt manch einer an die späten Siebziger und hasst das anstehende Album am Besten schon einmal vorweg. Im Falle Big Big Train kommen zu obigen Schlagworten auch noch deutliche Wechsel im Line-up hinzu – gleich drei Bandmitglieder haben die Band seit dem letzten Album “Grand Tour” verlassen. Wenn es sich also nicht verhindern lässt, dass der Sound sich ändern wird – wieso nicht ganz bewusst drauf zusteuern?

Und “reduziert” ist ein ganz wichtiges Wort, wenn man über “Common Ground” spricht. Denn: viel verändert hat sich stilistisch tatsächlich nicht, es gibt nur viel weniger Drumherum. Die meisten Songs bauen auf ein solides Fundament aus den Hauptmitgliedern: Nick D’Virgilios’ Drums, Greg Spawton Bass, Rikard Sjöbloms Piano und David Longdons Stimme. Die muss sich aber speziell in der ersten Hälfte des Albums das Spotlight viel zu oft mit dem Gesang der anderen Bandmitglieder und diversen Westcoast-mäßigen Backing-Chören a la America teilen. Gerade diese “amerikanischen” Harmonien lassen das Material aber einfach ein wenig zu nett, zu smooth klingen – selbst für die nicht unbedingt anarchisch tönenden BBT-Verhältnisse. Nicks mittlerweile obligatorisches Instrumental ‘Apollo’ folgt in den Fussstapfen von ‘Drum’n’Brass’ und ‘Pantheon’, indem es sich erneut möglichst stark an ‘Los Endos’ anlehnt – und dabei leider den Schwachpunkt des Albums darstellt. Auch wenn das Thema schön catchy ist und Rikard (oder sogar schon Neuzugang Dave Foster?) hier auch ein paar knackige Bratgitarren einwerfen darf, das hat man auf den spirituellen Vorgängern einfach schon ein wenig mitreißender gehört, und mit fast acht Minuten ist das Stück auch schlicht und einfach etwas zu lang geraten.

“Reduziert” bedeutet auf “Common Ground” aber auch: für die auf den letzten Alben so prägenden Folk-Elemente, die beatlesken Gitarren und die Blaskapelle gibt’s diesmal nur wenig Platz. Big Big Train verlassen das Ländliche, das Urbritische – vieles klingt es diesmal eher nach Ben Folds, Billy Joel und dem jungen Elton John als nach Ant Phillips und Konsorten. Mehr Central Park, New York als Upton Heath, Dorset. Das muss natürlich nichts Schlechtes sein – besonders, weil Upton Heath auch jede Menge unsympathischer Giftschlangen beherbergt und Progger sich schließlich schon oft als exzellente Schreiber von Popsongs entpuppt haben. Genesis, Mike Oldfield oder John Wetton haben im Pop-Genre fraglos genauso Bemerkenswertes geschaffen wie im Prog. Im Falle Big Big Train ist die Jury hingegen noch am Tagen. ‘The Strangest Times’, ‘Common Ground’, ‘Dandelion Clock’, sowie die erste Hälfte von ‘All The Love I Can Give’ sind zwar allesamt durchaus gelungen, geben aber auch nicht unbedingt das Gefühl, hier sei ein neues ‘Rocket Man’ oder gar ‘Invisible Touch’ versteckt, dass eine ganz neue Hörerschaft erschließen kann. Es bleibt einfach Big Big Train mit etwas weniger Brimborium – wobei das besagte Brimborium für viele Fans natürlich das Schönste an der Band ist. Tatsächlich könnte man argumentieren, dass die Band mit ihren bisherigen “einfacheren” Songs wie ‘Wassail’, ‘Folklore’, ‘Alive’ oder ‘Make Some Noise’ bereits zwingendere Popmelodien abgeliefert hat als auf dem aktuellen Werk. So haben ausgerechnet die beiden letzten Tracks des Albums, ‘Atlantic Cable’ (ein 15-Minuten-Werk mit “archäologischer” Note) und ‘End Notes’ die größte Strahlkraft – und das sind dann doch auch genau wieder die beiden Songs, die den urtypischen, leicht melancholischen Big-Big-Train-Breitwand-Retroprogsound auffahren.

Es bleibt abzuwarten, wo die Reise der Band in Zukunft hingeht. Obwohl der Wille zur Veränderung durchaus zu verspüren ist, scheint die letzte Konsequenz zu fehlen: Neues, im Sinne von “gab’s bei BBT bislang noch nicht” (wie damals bei “English Boy Wonders” und “The Difference Machine”), bleibt ‘Common Ground’ leider schuldig. So bietet “Common Ground” keine Neuausrichtung, sondern einfach ein reduziertes, manchmal zu nettes und vergleichsweise unspektakuläres Album, das niemanden verschrecken will – eher ein “Tormato” als ein “Drama” oder “90125”. Gut und grundsolide – aber am BBT-Goldstandard gemessen dennoch eher Mittelfeld.
Bewertung: 11/15 Punkten (WE 10, SG 11, DH 9, KR 11, KS 10)

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