Pop Evil – Versatile
(41:37, Vinyl, Digital, CD, eOne / SPV, 2021)
Eigentlich hätte ich es wissen müssen, als ich in der Presseinformation las, dass Pop Evil in der Vergangenheit schon mehrfach die US-Indie-Charts angeführt hatten. Denn mit modernen Heavy-Sounds, wie ich sie von Pop Evils Single ‚Breath Again‘ kannte, konnten die Mannen aus Grand Rapids unmöglich den Durchbruch auf dem US-amerikanischen Musikmarkt geschafft haben. Vielleicht hätte es mir auch eine Warnung sein müssen, als ich auf YouTube las, wie jemand genau dieses Stück damit beschrieb, dass Nickelback genau so klingen würden, beschlössen sie plötzlich, einen auf Djent zu machen.
Doch irgendetwas reizte mich am Sound des Stückes, auf dem das Quartett aus North Muskegon, Michigan eingängigen Pop, Post-Grunge, Metallcore-Breakdowns und Djent-Gitarren zu einer harmonischen Einheit verschmelzen. An Nickelback dachte ich dabei nämlich überhaupt nicht
Und so wagte ich mich an ‚Versatile‘, das aktuelle Album von Leigh Kakaty (Gesang), Nick Fuelling (Leadgitarre), Dave Grahs (Rhythmusgitarre), Matt DiRito (Bass), Hayley Cramer (Schlagzeug) heran, blauäugig wie ich bin, ohne mich vorher erst einmal mit deren Background zu beschäftigen. Hätte ich dies besser einmal gemacht, denn auf den Vorgängeralben klangen Pop Evil tatsächlich wie Nickelback, nur eben ohne Djent und Hardcore. Dafür aber mit leichten Rage Against The Machine-Einflüssen, die den seichten Alternative-Pop-Metal nicht wirklich verdaulicher machten.
Doch zurück zu Versatile’, denn ganz so mainstreamig wie seine Vorgängeralben ist die aktuelle Scheibe nun wirklich nicht. Dies ist vor allem dem erhöhten Grad an Härte, aber auch dem verstärkten Maß an Experimentierfreude zu verdanken. Denn zumindest die ersten vier Stücke und auch das Ende des Albums, haben durchaus interessante Ideen zu bieten.
‚Let The Chaos Rain‘ eröffnet das Album mit harten Gitarren-Riffs und Rap-Gesang in bester Tradition von Rage Against The Machine und, noch vielmehr, den Schweden von Clawfinger. Ein Sound der zwar nichts Neues bietet, aber trotzdem erstaunlich frisch und modern klingt. Ein starker Auftakt, der vom anschließenden ‚Set Me Free‘ aufgegriffen und variiert wird, denn Pop Evil erinnern hier stark an “The New Routine”, das 2019er Album von Port Noir. Denn hier treffen poppige Melodien auf Crossover Metal, Djent Gitarren und leichte elektronischen Spielereien.
Das eingangs erwähnte Breathe Again führt diesen Weg konsequent fort und erweitert diesen um Elemente aus dem Metalcore, wobei Pop Evil komplett auf die genre-typischen Screams verzichten.
Wirklich progressiv, im wahrsten Sinne des Wortes (und nicht in jenem des Genres) werden Pop Evil jedoch zum ersten und einzigen Mal bei ‚Work‘, einem im R&B verwurzelten Stück, dass radiofreundliche Ansätze geschickt mit Elementen aus Djent und Dubstep verbindet. Inklusive überragenden Vocals und einem Drop zum niederknien. Für mich persönlich das beste Stück der Platte.
Doch das war es dann plötzlich mit Innovation, denn ab dem fünften Stück ‚Inferno’ driften Pop Evil in seichte Alternative Rock- und Post-Grunge-Gefilde ab, wie man sie nach der Jahrtausendwende massenweise hören dürfte. An dieser Stelle seinen nicht nur Nickleback genannt, sondern auch Gruppen wie Creed, Papa Roach und Linkin Park.
Ja, natürlich, Stücke wie ‚Stronger (This Time Is Now)‘ und ‚Raise Your Flag’ sind eingängig und werden live wohl abgehen wie die Lucie, doch bei Freunden progressiver und innovativer Sounds werden sie hiermit wohl keinen nachhaltigen Eindruck machen können.
Und eine typisch US-Amerikanische Alternative-Ballade wie ‚Survivor‘ besitzt so viel unterschwelligen Schmalz, dass es fast schon weh tut. Da kann auch der kurze Stilwechsel in deutlich härtere Gefilde im dritten Viertel des Stückes nichts mehr dran ändern.
Erst mit ‚Worst In Me‘ kehren Pop Evil wieder ins Metalcore-Territorium zurück, und als ob sie sich für die zuvorigen Ausfälle entschuldigen wollten, greifen sie dieses Mal sogar etwas tiefer in die Trickkiste und packen ein paar waschechte Screams obendrauf. Gemeinsam mit den abschließenden ‚Same Blood‘ und ‚Fire Inside‘ spannen so Pop Evil noch einmal den musikalischen Bogen zum Auftakt der Platte, so dass sie den Hörer letztendlich doch noch versöhnen können.
‚Versatile‘ ist somit kein Album, dass ich einem Fan von Djent, Metalcore oder Progressive Metal and Herz legen würde, denn dafür ist es einfach viel zu austauschbar und poppig. Für den klassischen Indie- und Alternative-Rock-Hörer mag das neue Album von Pop Evil jedoch eine Möglichkeit sein, einmal über den bisherigen eigenen Horizont hinwegzushören und erstmalig in Kontakt mit moderenen Metalsounds kommen zu können.
Bewertung: 8/15 Punkte
Tracklist:
1. ‘Let the Chaos Reign’ (3:19)
2. ‘Set Me Free’ (3:30)
3. ‘Breathe Again’ (3:12)
4. ‘Work’ (3:55)
5. ‘Inferno’ (3:53)
6. ‘Stronger (The Time Is Now)’ (3:30)
7. ‘Raise Your Flag’ (2:45)
8. ‘Human Nature’ (3:38)
9. ‘Survivor’ (4:03)
10. ‘Worst In Me’ (3:23)
11. ‘Same Blood’ (3:22)
12. ‘Fire Inside'(3:07)
Besetzung:
Leigh Kakaty (Gesang)
Nick Fuelling (Leadgitarre)
Dave Grahs (Rhythmusgitarre)
Matt DiRito (Bass)
Hayley Cramer (Schlagzeug)
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