Gojira – Fortitude
(52:03, CD, Vinyl, Digital, Roadrunner Records / WMG, 2021)
Groovender Bass und Gitarrenriffs wie eine Kettensäge. Dazu salvenhaftes Schlagzeugspiel wie aus einer Stalinorgel. Es sind brachiale Metal-Sounds zwischen Thrash und Death Metal, die an die großen Namen des Genres erinnern und gleichzeitig frisch und unverbraucht klingen. Die Rede ist hier nicht von “Terra Incognita” (2001) oder “The Link” (2003), den beiden ersten Alben der Metal-Sensation Gojira, sondern vielmehr von ‘Grind’, dem abschließenden Track des aktuellen Albums der Franzosen.
Was viele Fans der ersten Stunde auf dem letzten, 2016er Album “Magma” schwer vermissten, ist auf “Fortitude” wieder in den Sound der Formation um die Gebrüder Duplantier zurückgekehr, nämlich die erbarmungslose Härte und Agression aus den Anfangstagen. Zumindest zu Teilen. Denn “Fortitude” ist keine Abwendung vom massenkompatiblen Sound des Vorgängeralbums hin zum Stil der Anfangsjahre, sondern eine konsequente Weiterentwicklung, unter Einbeziehung von Stilelementen, die ein wenig in den Hintergrund gerutscht waren. Denn auf dem aktuellen Longplayer treffen Eingängigkeit, Härte und Progressivität aufeinander, wie niemals zuvor.
Wahrscheinlich werden die Franzosen unter den Puristen viele Kritiker auf den Plan rufen, doch unter progressiven Gesichtspunkten ist “Fortitude”, neben “From Mars To Sirius” vielleicht die interessanteste Platte der 25-jährigen Bandgeschichte.
Was das Album für mich so herausragend macht, das ist sein großer Abwechslungsreichtum, denn fast alle der elf Stücke besitzen eine individuelle musikalische DNA. Schon der Opener ‘Born For The Run’, dessen Killerintro wie eine Kreuzung aus Meshuggah und Mastodon klingt und dessen Rhythmik einen beinahe verzweifeln lässt, wird jeden Metalfan vor Freude entzücken lassen.
Das anschließende ‘Amazonia’ dagegen, kann, obgleich seiner Gesangsharmonien, die Parallelen zu Tiamats ‘In A Dream’ aufweisen, mit seinen tribal-artigen Maultrommel-Klängen als nichts anderes, als eine Remineszens an Sepulturas ’96er Meisterwerk “Roots” verstanden werden. Es ist ein Stück, das nicht nur musikalisch außergewöhnlich ist, sondern mit welchem Gojira schon im Vorfeld der Albumveröffentlichung große Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnten, da sie im Zuge der Videopremiere eine Versteigerungsaktion ins Leben riefen, die der Rettung des südamerikanischen Regenwaldes zugute kommt.
‘Another World’ hingegen vereint fast alle Stärken des Quartetts, da hier Killerhooks, experimentelle Sounds und ein gesundes Maß an thrashiger Durchschlagskraft aufeinandertreffen. Vor allem die wabernden Keyboardsounds und das progressive Schlagzeugspiel machen die erste Single des Albums zu einem seiner stärksten Stücke.
‘Hold On’ ist ein Headbanger, der in bester “Magma”-Tradition steht, sich allerings erst einmal, im Laufe seiner füngeinhalb Spielminuten, von einem spannendem A Capella-Stück-Intro ausgehend, zum Banger entwickeln muss.
‘New Found’ hingegen weckt mit seinen Gitarrenriffs und seinem Drumming starke Erinnerungen an ‘The Truth’ von Clawfingers “Use Your Brain”-Album (1995), entwickelt sich allerdings aufgrund seines eingängigen Choruses in ganz andere musikalische Gefilde.
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Schon zu diesem Zeitpunkt erscheinen Gojira progressiver, als auf den meisten ihrer Vorgängeralben, doch waren die verschiedenen Stücke bis zu einem gewissen Grade berechenbar. Dies ändert sich spätestens mit dem Titelstück ‘Fortitude’, das als Intro für das hernach folgende ‘The Chant’ dient und mit diesem eine epische Einheit bildet. Was wir hier zu hören bekommen, das ist Progressivität in Reinform, denn Gojira verlassen ihre angestammten Wege und wagen sich in neue musikalische Territorrien vor. Zum einen verzichten sie ausnahmslos auf harsche Sounds und lassen sowohl ihre Thrash als auch ihre Death-Metal-Roots komplett hinter sich. Zum anderen wendet sich das Quartett von ihrem oft so technischen Spiel ab und widmen sich stattdessen harmonisch elegischen Kängen, welche von Chants begleitet und einem umwerfenden Gitarrensolo gekrönt werden. Was als Single wie ein Fremdkörper im Schaffen der Franzosen erscheint, ergibt im Albumkontext allergrößten Sinn und entpuppt sich nach mehrmaligem Hören als Herz und Seele des Albums.
Es ist gleichzeitig der stilistische Scheidepunkt des Albums, dennn hernach begeben sich Joseph Duplantier (Gesang, Gitarre), Christian Andreu (Gitarre), Mario Duplantier (Schlagzeug) und Jean-Michel Labadie (Bass) straight-to-their-Roots. Denn das nun folgenden ‘Sphinx’ ist ein klassischer Nackenbrecher, der nicht nur aufgrund seiner Death-Growls auch die Fans der ersten Stunde zufrieden stellen sollten.
‘Into The Storm’ bedient mit seinem Schlagzeuggewitter ein ähnliches Zielpublikum, ist aufgrund seines fast hymnenhaften Refrains jedoch um Strecken eingängiger.
Bleibt zum Ende hin nur noch ‘The Trails’ zu erwähnen, welches mit Klargesang, reduzierter Härte und leicht doomigem Feeling noch einmal als kurze Verschnaufpause vor dem schon anfangs erwähnten, abschließenden ‘Grind’ dient.
Resümee:
Die Beurteilung, ob Gojira mit “Fortitude” am Ende einfach nur ein weiteres gutes, oder vielleicht doch das beste Album ihrer Karriere aufgenommen haben, hängt natürlich ein Stück weit von den eigenen musikalischen Vorlieben ab. Weder die Anhänger des Death & Trash der Anfangstage, noch das neu hinzugewonne Mainstream-Metal-Publikum der letzten Jahre sollten von “Fortitude” verschreckt werden, werden in ihm jedoch auch nicht ihre Offenbarung finden. Für Freunde progressiver Töne müsste das neue Album jedoch eigentlich eine Wonne sein. Mich persönlich hat “Fortitude” bisher bewegt, wie keine andere Veröffentlichung der Franzosen. Denn “Fortitude” passt wunderbar in eine Reihe von musikalisch ähnlich gelagerten Alben, die mir alle ans Herz gewachsen sind. So harmonisiert “Fortitude” nämlich auf wunderbare Weise mit “Of Valleys And Mountains” und “Etemen Ænka” den aktuellen Alben der Neuseeländer Pull Down The Sun und den Schotten von Dvne; fast so, als handele es sich bei “Fortitude” um den Abschluss einer Trilogie von drei unterschiedlichen Bands.
Bewertung: 12/15 Punkte (FF 13, KR 12)
Tracklist:
1. ‘Born For One Thing’ (4:21)
2. ‘Amazonia’ (5:01)
3. ‘Another World’ (4:25)
4. ‘Hold On’ (5:31)
5. ‘New_Found’ (6:37)
6. ‘Fortitude’ (2:08)
7. ‘The Chant’ (5:13)
8. ‘Sphinx’ (4:01)
9. ‘Into The Storm’ (5:03)
10. ‘The Trail’ (4:08)
11. ‘Grind’ (5:35)
Besetzung:
Joseph Duplantier (Gesang, Gitarre)
Christian Andreu (Gitarre)
Mario Duplantier (Schlagzeug)
Jean-Michel Labadie (Bass)
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Rezension “The Way of all Flesh” (2009)
Abbildungen: Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von Oktober Promotion zur Verfügung gestellt.