Pencarrow – Growth In The Absence Of Light
(1:00:37, Digital, CD, Eigenveröffentlichung, 2020)
Thank God for the internet! Pencarrow sind für mich so etwas wie der Geheimtipp des Jahres 2020. Von ihrem Zweitwerk “Growth In The Absence Of Light” sollte jeder Prog-Fan zumindest einmal gehört haben, doch bei praktisch allen einschlägigen Musik-Magazinen, Video-Kanälen und Musik-Blogs sind die Neuseeländer bisher unter dem Radar geflogen. Dies ist nicht verwunderlich, denn erstens kommt das Quartett vom uns gegenüberliegenden Ende der Welt und zweitens ist es noch immer ohne Plattenvertrag. Doch gottlob gibt es das Internet, Plattformen wie Bandcamp und gut informierte mitteilungsbedürftige Musikfans, so das der Formation aus Wellington in Zukunft vielleicht doch noch die Ehre zuteilwird, die ihr zusteht.
Pencarrow existieren bereits seit dem Jahr 2013, als die Kindheitsfreunde Tonnie ten Hove (Sänger und Gitarrist) und Justin Chorley (Schlagzeuger) auf den Keyboarder Anthony Rose und den Bassisten Todd Thompson trafen und sich der Erschaffung abenteuerlicher und nachdenklich stimmender Musik widmeten. Es sollte allerings noch drei Jahre dauern, bis Pencarrow mit ihrem Debüt-Album “Dawn Simulation” zum ersten Mal auf sich aufmerksam machten, zumindest in Neuseeland. Musikalisch bewegten sich Pencarrow auf ihrem Erstling in der Schinttmenge zwischen 70er Prog Rock und 90er Prog Metal, so dass das Quartett mit seinem düster-cineastischen Klang am ehesten mit den Opeth der Nuller Jahre verglichen werden konnte. Man konnte den Anschein haben, als hätte eine ehemalige Death- oder Gothic-Metal-Band ihre ersten Schritte auf den Pfad des Progressive Rock gewagt. Herausragender Akteur auf “Dawn Simulation” war Tonnie ten Hove gewesen; im Guten wie im Schlechten. Während sein gefühlvolles und melodienbetontes Gitarrenspiel schon damals Parallelen zu Größen wie Gilmour und Rothery geradezu heraufbeschwor und über alles erhaben war, war der Gesang ten Hoves in weiten Teilen nur schwerlich zu ertragen.
“Growth In The Absence Of Light” ist wie gesagt bereits das zweite Album der Formation und bereits im August 2020 in Eigenregie veröffentlicht worden. Vergleicht man die beiden Alben miteinander, so sind die Kiwi-Progger dem ersten Anschein nach kaum wiederzuerkennen, denn “Growth In The Absence Of Light” stellt verglichen mit dem Vorgänger einen musikalischen Quantensprung dar.
Während ‘Brace Yourself For Impact’ das Vorgängeralbum noch in bester Prog-Metal-Manier eröffnete und an eine Kreuzung aus Haken und Opeth denken ließ, schlagen Pencarrow bei ‘In Medias Res’ dem instrumentalen Opener ihres aktuellen Album ganz andere Töne an. Verzaubernde Keyboardteppiche a lá Richard Wright und Gilmour-esque Gitarrenklänge erinnern stärker an Pink Floyd zu Zeiten von “Wish You Were Here” als an Pencarrow eigenes Erstlingswerk.
Auch bei ‘Portrait Of My Intimate Family’ verzichten die vier Musiker aus Wellington komplett auf Gesang und konzentrieren sich stattdessen auf ihre instrumentalen Stärken, die in diesem Falle durch donnernden Gitarrenriffs Tonnie ten Hoves und symphonische Streicherkänge von Keyboarder Anthony Rose verdeutlicht werden. Vor allem im Mittelteil, in dem auch Gastmusiker Theo Sekeris an der Flöte zu Hören ist, sind Einflüsse von Maurice Ravel und Antonin Dvořák nicht von der Hand zu weisen. Nach einem Keyboardteil, der auch von Archive hätte stammen können, nimmt das Stück zum zum Ende hin Fahrt auf, so dass Pencarrow auf “Growth In The Abscene Of Light” erst nach zehn Minuten zum ersten Mal nach den alten Pencarrow klingen. Ein gelungener Auftakt.
‘A Meeting Of The Shadows’ ist als drittes Lied der Platte dann das erste, welches Gesang auffährt. Was auf den ersten Blick ein wenig verwunderlich erscheint, ergibt allerdings Sinn, wenn man weiß, dass “Growth In The Abscene Of Light’ ursprünglich als einzelner Longtrack geplant war. Auffällig ist, das Tonnie ten Hoves Gesang plötzlich um Weiten besser klingt als noch auf dem Vorgängeralbum. Dies mag vor allem daran liegen, dass er ihn auf die ruhigen Phasen des Albums beschränkt. Denn seine Stimme ist in sanften Klangfarben einfach wohlklingender, als wenn er sich in düster-aggressivem Metal-Gesang versucht, wie noch auf dem Vorgängeralbum. ‘A Meeting Of The Shadows’ überzeugt durch seine friedvolle Stimmung, die durch ein Saxophon-Solo von Schlagzeuger Justin Chorley komplementiert wird, das der auf dem Instrument seines verstorbenen Vaters spielt. Das Stück klingt aus mit asiatisch anmutenden Ambient-Klängen eines javanesischen Gamelans.
The Javanese Gamelan on “A Meeting Of The Shadows” was written by keyboardist Anthony Rose and performed and recorded by him and guitarist/vocalist Tonnie ten Hove. The pair performed and studied Balinese and Javanese Gamelan music as part of their music degrees at Victoria University of Wellington. Their time spent at university studying composition and orchestration is why there are so many elements outside of the typical ‘rock’ realm, such as the multiple orchestral sections on the album.
‘Time Dilation’ ist ein Instrumentaltrack, bei welchem
Pencarrow zum ersten Mal den Metal-Sound des Vorgängeralbums mit elegischen Klängen des 70er Prog Rock verbinden.
Auch das düster-atmosphärische ‘Stasis/Flux’ ist größtenteils instrumental gehalten, doch wird das Lied immer wieder durch zurückhaltenden melancholischen Gesang untermalt, wodurch eine Stimmung erzeugt wird, die stark an Storm Corrosion, die 2012er Zusammenarbeit zwischen Mikael Åkerfeldt und Steven Wilson erinnert
Das anschließende ‘Silent Beauty: Bittersweet Memories of Embrace’ eintführt den Hörer in die Welt der orchestralen Musik und wärmt das Herz über geschlagene sieben Minuten. Es ist ein waghalsiges Experiment, welches jedoch famos gelungen ist und dem Titel des Stückes mehr als gerecht wird.
Dass “Growth In The Absence Of Light” vor Abwchslung nur so strotzt muss dem Hörer spätestens zu diesem zeitpunkt kalr sein, so dass auch die poppigen 80er jahre Keyboard-Sounds auf dem nun folgenden ‘New Light’ niemanden mehr verwundern dürften.
‘Memorial Terminal’ ist ein kurzes unauffälliges Piano-Interlude, welches als Ruhepol vor dem etwas härter geratenen ‘Twins Paradox: Confessions of a Capitalist Lover’ dient. Es ist das Stück, bei welchem Tonnie ten Hove vollends auf seine Gitarrer auftrumpfen darf. Alle anderen Instrumente dienen hier zu nichts weiterem, als der Untermalung des Gitarrenspiels.
‘Deep Abandon’ dagegen rückt das Pianospiel von Anthony Rose in den Mittelpunkt. Dieser wird hier lediglich von Tonnie ten Hoves Stimme begleitet, so dass eine Atmospähre entsteht, wie man sie manchmal vom Italiener Giancarlo Erra und seiner Band Nosound kennt.
Das Ende der Scheibe bildet mit ‘The Approaching Shade’ ein Song, bei dem zum ersten Mal die akustische Gitarre in Erscheinung tritt. Es ist ein runder und stimmungsvoller Abschluss, für ein Album, welches an Stimmungswechseln nicht arm ist und dem Hörer einiges an Aufmerksamkeit abverlangt.
Bewertung: 12/15 Punkte
Growth In The Absence Of Light by Pencarrow
Tracklist:
1. ‘In Medias Res’ (5:26)
2. ‘Portrait of My Intimate Frailty’ (5:42)
3. ‘A Meeting of the Shadows’ (7:20)
4. ‘Time Dilation’ (6:13)
5. ‘Stasis/Flux’ (7:58)
6. ‘Silent Beauty: Bittersweet Memories of Embrace’ (7:01)
7. ‘New Light’ (4:33)
8. ‘Memory Terminal’ (2:05)
9. ‘Twins Paradox: Confessions of a Capitalist Lover’ (5:10)
10. ‘Deep Abandon’ (3:55)
11. ‘The Approaching Shade’ (5:14 )
Besetzung:
Anthony Rose (Keyboards, Javanesisches Gamelan)
Todd Thompson (Bass)
Justin Chorley (Schlagzeug, Saxophon)
Tonnie ten Hove (Gitarre & Gesang, Javanesisches Gamelan)
Gastmusiker:
Theo Sekeris (Flöte)
Sophie Bennet (Klarinette)
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Abbildungen: Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von Pencarrow zur Verfügung gestellt.