(43:56, CD, CD/DVD, LP, earMUSIC/Edel, 2020)
Die ersten Social-Media-Kommentare zu ‘Amelia’, der Vorabsingle zum Debüt von Mark Kelly’s Marathon, fielen alle recht ähnlich aus und hatten hauptsächlich etwas mit der Stimme von Oliver M.Smith zu tun: “klingt wie Peter Gabriel, oder?” Mr. Kelly dürfte da ein gewisses Deja-Vu-Gefühl beschlichen haben, schließlich warf man seiner Hauptband Marillion in den Achtzigern gerne vor, nur ein Genesis-Klon zu sein. Selbst Phil Collins, der später zugab, die Band gar nicht selbst gehört zu haben, gab damals einen schnippischen Kommentar zum Thema ab.
Nun, letztendlich klingen Marathon aber nicht nach den alten Genesis, auch nicht nach den frühen Marillion und nicht einmal nach den neueren Marillion. Zwar bevorzugt Mark (hier im Interview u.a. zu “Marathon”) auch für seinen Alleingang eine Mixtur aus atmosphärischem Prog und charismatischen Vocals, das war’s dann aber mit dem Vergleich zu seinem Dayjob. Wer den ersten Satz dieses Abschnitts aber genau liest, wird die Spezifikation bemerken: auch wenn hier nichts nach alten Genesis klingt, ist die Mixtur von Marathon durchaus mit den letzten Werken der Prog-Helden zu vergleichen, genau gesagt irgendwo zwischen den epischen Parts von “We Can’t Dance” und “Calling All Stations”. Denn der erwähnte Oliver Smith klingt nicht nur ein wenig nach Peter Gabriel, sondern mindestens genauso viel nach ähnliche Rauchkehlchen wie Ray Wilson, David Longdon (Big Big Train), John Mitchell (Lonely Robot, Kino) und Guy Garvey (Elbow).
Auch die Musik verbindet Prog, Blue-Eyed-Soul und Singer-Songwriter-Elemente zu einer sehr eingängigen Mischung, die Fans der eben Erwähnten allesamt unbedingt auschecken sollten. Wildes Gefrickel sollte von Mark Kelly eh’ niemand erwarten, und auch bei Marathon hält er sich weitgehend im Hintergrund und lässt seinen Sänger die Starrolle einnehmen. Selbst die beiden Longtracks ‘Amelia’ und “Twenty Fifty-One”, stolze elf beziehungsweise fünfzehn Minuten lang, bleiben songorientierte Mannschaftsleistungen. Dazwischen gibts mit ‘When I Fell’, ‘This Time’ und ‘Puppets’ – letzterer mit Gastauftritt von Steve Rothery – drei kürzere Songs, die bei harten Proggern mit Pop-Allergie schon bei Erwähnung in Ungnade fallen werden, aber ganz fraglos ebenso knorke ausgefallen sind wie der Rest des Albums und sogar durchaus Hitpotential hätten, wäre die aktuelle Mainstream-Radiolandschaft eine Andere. Aber auch die erwähnten Longtracks enthalten kein Gramm überschüssiges Fett. Das mit knapp 44 Minuten erfreulich kompakt gehaltene Album wirkt in vieler Hinsicht sogar geschlossener als die letzten drei, vier Alben von Marks Stammcombo und enthält in jedem Fall weniger Füllmaterial. Auch die gerne kritisierten, stückhaft anmutenden Arrangements so einiger Marillion-Songs der Nach-“Marbles”-Phase sucht man hier vergeblich, alles fließt und bewegt sich ohne Brüche. Nur das Fade-Out in den allerletzten Momenten der Scheibe nehme ich Mark & Co ganz persönlich ein wenig übel: von dem da beginnenden Gitarrensolo hätte ich gerne noch ein paar Takte mehr gehört!
Die Wartezeit auf Mark Kellys Solowerk hat sich also definitiv gelohnt, denn seit dem ersten Kino-Album dürfte “Marathon” der qualitativ hochwertigste und frischeste Output aus den Reihen der Marillion-Familie sein. So oder so ist “Marathon” eine Scheibe für alle, die es gerne mal hören würden, wenn Ray Wilson oder Mike & The Mechanics ein gestandenes Prog-Album machen würden oder auch die, die auch die poppigen Stücke von Big Big Train und Lonely Robot abfeiern. Sehr gelungen.
Bewertung: 12/15 Punkten (SG 12, KS 11)
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Surftipps zu Mark Kelly’s Marathon:
Facebook
Twitter
Instagram
YouTube
Spotify
Interview mit Mark (November 2020)