(1:52:46, Blu-ray/2CD, Digital, English Electric Recordings, 2020)
Für Fans von Big Big Train dürfte der neue Live-Mitschnitt “Empire” nicht ausschließlich ungetrübte Freude bringen. Nicht nur, dass die Europa-Tourdates 2020 alle generell der Covid-19-Pandemie zum Opfer gefallen sind, sondern ganz besonders auch, weil vom auf der Blu-ray verweigten Band-Line-up mittlerweile nur noch vier Bandmitglieder übrig sind. Heißt, Dave Gregory (gtr), Rachel Hall (violin, voc) und Danny Manners (keyb) sind hier bei alle voraussichtlich zum letzten Mal als Bandmitglieder zu sehen, ebenso wie Tour-Aushilfe Robin Armstrong, der sich künftig wieder auf sein Soloprojekt Cosmograf konzentrieren wird.
Ein hastig rausgehauenes Übergangswerk sollte deshalb dennoch niemand erwarten, im Gegenteil. Unter der Regie von Tim Sidwell (Marillion, Bring Me The Horizon) wurde die Show im Hackney Empire, London auch visuell wunderbar und mitreißend festgehalten. Klanglich ist ehedem, wie bei Big Big Train gewohnt und mittlerweile erwartet, alles auf höchstem Niveau, und auch musikalisch zeigt die Band, warum sich aktuell alles im traditionellen Prog-Bereich an ihr messen lassen muss. Ob Nick D’Virgilios druckvolles Drumming, David Longdons charismatische Lead Vocals, die kongenial im Duett oder als Harmonie von Nick, Rachel und Rikard Sjöblom (Gungfly, gtr) ergänzt werden, Greg Spawtons mächtige Basslinien, Dave Gregorys beatleske Gitarren oder die perfekt dosierten Einsätze der Blechbläsertruppe, nichts verrät, dass es sich bei Big Big Train nicht um ein zwanzig Jahre auf Tour eingeschleiftes Ensemble handelt.
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Auch die Setlist dürfte für wenig Diskussionen bzw. Kritik sorgen – klar steht das Material von “Grand Tour” im Vordergrund, das bis auf ‘Ariel’ und das Doppelpack ‘Roman Stone’/’Pantheon’ komplett dargeboten wird. Da ist natürlich dann nicht allzuviel Platz für “Altes”, weshalb man beispielsweise auf ‘Victorian Brickwork’, ‘Swan Hunter’ oder ‘Judas Unrepentant’ diesmal verzichten muss. Da die aber bereits auf den vorangegangenen Live-Scheiben gefeaturet wurden, sollte das zu verschmerzen sein. Auch scheinen sich BBT mit “Empire” ein wenig gegen den Vorwurf wehren zu wollen, zu museal und zu unbeweglich zu klingen. Mit ‘Alive’ und ‘Hedgerow’ geht’s nämlich überraschend launig und lebensbejahend los, und auch ansonsten zeigt sich das internationale Prog-Konglomerat deutlich knackiger als noch auf “Reflectors Of Light”. So geht es auch mit Taube ‘Winkie’ leicht und fluffig im Uptempo zur Sache, und ‘Wassail’ und ‘East Coast Racer’ machen eh’ immer Laune. Dass das Publikum dabei durchweg versteinert auf seinen Sitzen verharrt, die Band wie ein Ausstellungsstück bestaunt und nur zwischen den Songs Applaus spendet, wirkt in diesem Kontext einigermaßen weird. So etwas passiert aber vermutlich, wenn die Zuhörerschaft im Schnitt betagter ist als die Musiker!
Man wird ja so langsam müde, es immer wieder zu schreiben, aber was soll’s? Big Big Train machen das, was sie machen – klassischen Progressive Rock – einfach besser als ihre gesamte Konkurrenz. Sie sind nicht nur “die Band der Stunde”, sondern schlicht und einfach das beste Argument, warum Progressive Rock nach wie vor eine ungebrochene Faszination ausübt: auch wenn überbezahlte Tribute-Acts und Ein-Mann-schleppt-Mietmusiker-unter-dem-platinveredelten-Bandnamen-durch-die-Walachei-Gruselkabinetts etwas Anderes behaupten, es ist nach wie vor möglich, Songs zu schreiben, die sich mit den Highlights des Genre klar messen können und diese auch kraftvoll und dynamisch live darzubieten. “Empire” ist dafür der beste Beweis und somit nicht weniger als ein Pflichtalbum.Bewertung: 14/15 Punken (WE 12, SG 14, KS 12)
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