»Ich möchte gar nicht das “weltgrößte Ding” werden«
Toehiders aktuelles Album “I LIKE IT!” dürfte alleine durch die Tatsache, dass es hierzulande erstmals über eine professionelle Vertriebsstruktur ganz regulär in den Plattenläden steht, dem Australier Michael Mills und seinem Projekt jede Menge neue Aufmerksamkeit bescheren. Prog-Betreuer Sascha hat sich mit Mike über das höchst originelle und launige Toehider-Gesamtkunstwerk unterhalten und dabei einen trotz bzw. gerade aufgrund des hyperaktiven Songmaterials überraschend bodenständigen, bescheidenen und ernsthaften Musiker kennengelernt.
Sascha: Ich habe im Vorfeld dieses Gespräches natürlich ein wenig zur bisherigen History von Toehider recherchiert – und war überrascht, außer der Musik an sich sehr wenig darüber zu finden. Das ist in der heutigen Zeit reichlich ungewöhnlich, oder?
Mike Mills: Nun, ich sag’ mal so: ich habe eigentlich gar keinen Kopf für diese Selbstvermarktung. Für mich ist der Fokus auf meine Arbeit interessant, und was auch immer daraus entsteht, ist ein Extra! Ich möchte auch gar nicht das “weltgrößte Ding” werden. Es gibt Bands, denen ist das wichtig – du weißt schon, bekannt zu werden, viel Aufmerksamkeit zu bekommen… ich mag es da mehr,im kleinen, ja, intimen Rahmen mit meinen Fans direkt zu kommunizieren und Kontakt zu haben. Das war schon immer meine Herangehensweise – und das hat eben gute wie schlechte Seiten!
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Du hast ja als Crowdfunding-Instrument auch eine Patreon-Seite, die kostenpflichtig abonniert werden kann. Wie muss man sich das vorstellen?
Die ursprüngliche Idee hinter meinem Patreon war, Musik zu schreiben und sie direkt an die Leute zu bringen, die ein Abonnement abgeschlossen haben – das kann sowohl meine eigene Musik sein als auch Cover. Irgendwann hatte ich dann rund dreißig eigene Songs und etwa zwanzig Cover so veröffentlicht. Also entschloss ich mich, eine Abstimmung abzuhalten, welche Songs davon ein gutes, für die Allgemeinheit veröffentlichtes Album abgeben würden – und die Umfrage-Antworten ergaben dann das aktuelle Album. Seit ich das Album fertig habe, sind schon wieder knapp zwanzig Songs entstanden, und ich habe mit der Arbeit an einem Konzeptalbum angefangen. Ich denke, es ist einfach eine gute Weise, regelmäßig mit Menschen zu interagieren. Ich bin da sehr aktiv und wirklich interessiert daran, die Leute, die Toehider unterstützen, nach ihrer Meinung zu fragen und mir ihre Ideen anzuhören. Das läuft also sehr gut.
“Einige andere Sachen, die ich vielleicht eher verwendet hätte und auf die ich richtig stolz bin, bekommen jetzt also nur die Patreon-Abonnenten zu hören.”
Gab’s Überraschungen bei den Songs, die die Fans auswählten?
Ja, absolut. Es gab da ein paar Songs, bei denen ich mir über das Endergebnis nicht sicher war. Ich gehe ans Songwriting immer völlig unbefangen, ohne irgendwelche stilistischen Vorgaben. Das ist ja das Schöne am Progressive Rock: dass er einfach völlig offen ist. Und so habe ich komplett frei von Allem einige Male ganz unterschiedliche Ideen zusammengewürfelt, weil ich ja überhaupt nicht daran dachte, daraus ein Album zu machen. Einige andere Sachen, die ich vielleicht eher verwendet hätte und auf die ich richtig stolz bin, bekommen jetzt also nur die Patreon-Abonnenten zu hören.
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“Ich mag’ einfach die Achtziger!”
Mir gefällt ja ganz besonders die spielerische Art, mit der Du verschiedene Stilistiken vermischst und die Tatsache, dass die Musik zwar eine gute Menge an Humor besitzt, aber nie in die Comedy-Ecke abdriftet. Wo siehst Du hier Deine Vorbilder?
Nun, zunächst einmal nehme ich das als Kompliment, denn es ist mir sehr wichtig, einen Sinn für Humor zu bewahren, ohne komplett zur Comedy zu werden. Ich mag zwar eine Menge Comedy-Musik, Sachen wie Tenacious D, Weird Al (Yankovic), wirklich gerne, würde aber nie selbst in dies Richtung gehen wollen. Ich sehe mich da schon eher von den alten Bands wie Queen oder The Beatles beeinflusst, die auch eher spielerisch an Musik herangingen und nicht an einem bestimmten Stil interessiert schienen. Und viel von meiner Musik hatte schon immer einen starken Achtziger-Einfluss, dieses Album sogar noch mehr, all die Synth-Drums und so weiter. Wenn ich super-ehrlich bin, hat die Renaissance dieser Sounds, Synthwave, Soundtracks und so weiter, mir auch ein wenig das Selbstvertrauen gegeben, diese Einflüsse in den Vordergrund zu rücken. Weißt Du, ich schreibe Musik, seit ich jung bin, seit ich ein Teenager in den Neunzigern war – und zu dieser Zeit galten diese Sounds als so ziemlich das Schlimmste, was Du machen konntest! Es ist also durchaus angenehm, sich auch einmal einen Trend zunutze zu machen. Ja, ich mag’ einfach die Achtziger!
“Ich bin ein riesiger Fan von Manowar”
Der Album-Opener ‘Go Full Bore!’ erinnert hingegen mich zumindest stark an Manowars ‘Wheels Of Fire’…
Zuerst einmal: ich liebe ‘Wheels Of Fire’! Ich habe das Ganze vor ein paar Jahren auf einem Song namens ‘…But Mostly Metal!’ sogar noch einen Schritt weitergetrieben, der WIRKLICH schwer von Manowar beeinflusst ist – ob das nun gut oder schlecht ist! Ich mag das, was heute als Power Metal betrachtet wird, sehr, auch wenn es damals einfach nur schneller Metal war – dieses Double-Bass-Zeug, das geht für mich einfach gut ab. Ich bin ein riesiger Fan von Manowar – nun ja, ehrlich gesagt, nicht von allem, was sie gemacht haben, aber Eric Adams ist ein großartiger Sänger und ein enormer Einfluss für mich. Bewusst habe ich das aber in diesem Fall nicht gemacht. Ich wollte eher – und das ist dann doch eine Parallele zu ‘Wheels Of Fire’ – einen dieser Auto-Songs schreiben, die jede Rock- und Metal-Band irgendwann macht, Du weißt, “tearing up the highway” und so weiter… aber eben aus meiner Erfahrung, mit einem sehr billigen Auto und mir als extrem vorsichtigen und ängstlichen Fahrer, haha!
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Noch einmal zurück zur Geschichte von Toehider: Das Projekt besteht ja offiziell aus Dir und dem Zeichner Andrew Saltmarsh. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit und wie gestaltet die sich genau?
Ich bin aufgewachsen in Weston, das auf der komplett anderen Seite von Australien liegt. Dort habe ich mit meinem Bruder in Coverbands gespielt, bis ich mehr Interesse daran fand, meine eigene Musik zu machen. Also zog ich nach Melbourne, das den Ruf hat, Australiens Musik-Metropole zu sein. Daraus entstand dann Toehider. So richtig kam die Sache aber erst ins Laufen, nachdem mich Arjen Lucassen eingeladen hat, auf dem Ayreon-Album “The Theory Of Everything” zu singen. Ja, und Andrew… ich wollte mit jemandem arbeiten, der kein Musiker ist. Ich lernte Andrew über eine Internetseite namens ozprog.com kennen, die sich mit australischen Progbands beschäftigte. Und mir gefiel, was er dort machte, also begannen wir uns auszutauschen. Dann erstellte er Covers für all die Singles auf Patreon – da gibt’s also auch jede Menge Artwork, das nur Patreon-Abonnenten sehen können.
“Ich habe eine Rhythmusgruppe hier in Australien und eine in Europa”
Im Studio spielst Du alle Instrumente selbst ein, aber live hast Du eine richtige Band…
Ja, ich würde gerne auch jetzt ein paar Shows spielen, denn das ist natürlich ein großer Teil davon, ein neues Release zu bewerben! Aber das wird im Moment nicht passieren, gerade hier in Melbourne haben wir immer noch ziemlich strikte und harte Lockdown-Regelungen. Vielleicht nächstes Jahr. Im Moment ist das Line-up recht stabil, ich habe eine Rhythmusgruppe hier in Australien und eine in Europa, wenn ich dort spiele, das macht logistisch und organisatorisch einfach am Meisten Sinn. Ich kann natürlich niemandem ein richtiges Band-Umfeld bieten, das verstehen manche nicht, andere hingegen schon… Ich versuche auch gar nicht, die Studiofassungen mit den vielen Keyboards und Overdubs zu reproduzieren. Wir haben ausprobiert, mit Backing Tapes zu spielen, aber das fühlte sich zu steril an – und bringt einen weiteren technischen Punkt, an dem Vieles schiefgehen kann. Also habe ich einfach akzeptiert, dass die Songs live zu etwas ganz Anderem werden können, wie das ja zum Beispiel auch bei Queen der Fall war.
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Selbst Devin Townsend hat ja letztes Jahr eine Tour ohne Clicktrack und Backingtracks absolviert.
Das wußte ich bisher noch nicht, ich finde es aber sehr cool! Ich hab’ ihn mehrfach live gesehen (Anmerkung: Toehider tourten auch schon als Support von HevyDevy), und einmal hat ihn diese komplette Technik im Stich gelassen. Ich würde mich freuen, wenn es eine weitere Ära solcher Performances gäbe. Es hat mich eigentlich immer gewundert, wie akzeptabel all das plötzlich war. Wie erwähnt, ich bin in den Neunzigern großgeworden, und da waren solche Hilfsmittel komplett verpönt. Ich ziehe es jedenfalls generell vor, eine Band dynamisch arbeiten zu hören, auch mal das Tempo anzuziehen oder zu drosseln, je nach Gefühl. Ich hoffe also, das Beispiel macht Schule.
Das neue Album steht nun auch zum ersten Mal in Deutschland ganz regulär in den Plattenläden. Wie kam’s dazu?
Nun, die meisten Alben wurden über ein Label namens Bird’s Robe Records veröffentlicht, und die erweitern jetzt gerade ihre Vertriebsstruktur. Das hat mit mir eigentlich nichts zu tun, ich tu’ nur das, was mir Mike Solo, der Labelchef, aufträgt, haha.
Welchen Weg, Deinen Backkatalog zu erstehen, würdest Du neugewonnenen Fans empfehlen?
Definitiv über Bandcamp. Ich liebe diese Website: sie ist liebevoll zusammengestellt mit Blick auf die Bedürfnisse von Künstlern und Fans. Bandcamp ist das, was Deezer und Spotify sein sollten: statt einer monatlichen Flatrate, die nur an die großen Investoren weitergegeben wird, zahlt man für ein Album einen kleinen Preis, kann das dann herunterladen und auch ewig streamen. Ich bin ein großer Fan und Supporter dieses Modells und kaufe auch den Großteil meiner Musik dort. Also, ja, toehider.bandcamp.com ist definitiv der Ort, an dem man die Musik von Toehider erstehen sollte.
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Rezension “What Kind Of Creature Am I?” (2014)