(35:33, CD, Vinyl, Digital, RareNoiseRecords, 2020)
Jazz? Punk? Rock? Prog? Es lebe die Schublade! Falls jemand eine findet, in die diese Band hineinpasst, der darf sie gern behalten!
Wer die britische Formation WorldService Project einmal live erleben durfte, wird bestätigen, dass ihre Art, mit dem Publikum in Kontakt zu treten, ziemlich einzigartig ist. Sie haben, insbesondere der Bandleader Dave Morecroft, eine unnachahmliche Gabe, die Konzertbesucher zu fesseln, und quasi direkt und sehr persönlich anzusprechen. Die Bühnenpräsenz ist großartig und beeindruckend. Dazu diese Musik mit ihrem permanenten Wechselspiel von knurrigem Kampf gegen die Bösartigkeiten dieser Welt und den dazugehörigen Gegenparts – bedingungsloser Liebe und traumhafter Schönheit und beißendem Spott. Dieser Widerstreit durchzieht wie ein roter Faden das Wirken der Band und findet sich auch hier auf dem neuen Album wieder. Von frickelig-jazziger Aggressivität und Virtuosität verblüfft, findet sich der Hörer unvermittelt in himmelhoch jubilierenden, fast kitschig-schönen Passagen wieder, die Hände hingebungsvoll nach oben gestreckt. Seit der Übersiedlung von David Morecroft nach Rom wurde aus Anti-Brexit-Jazz-Punk mit progressiver Note nun der After-Brexit-Jazz-Punk mit italienischer Grandezza. Power-Prog-Punk-Jazz ohne elektrische Gitarre, dafür mit weit über die Ufer tretenden Keyboard-Klängen und ordnungsgemäß abfahrendem Gebläse. Eine wahrlich hochenergetische Mixtur!
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‘Sex, Lies, Lies and Lies’ ist eine betörende Hymne mit unter die Haut gehenden italienischem Sprechgesang mit Nackenhaaraufstellgarantie. Das anschließende Stück ‘The Kipper And The Pork Pie’ verfrachtet das Ganze in treibende, jazzrockige Gefilde mit psychedelischer Note. Beides so andersartig und doch so passend. Dies nur beispielhaft, denn das komplette Album ist durchweg von verblüffender Vielfalt. Und doch wirkt es wie aus einem Guss. Das Chaos, die Schönheit und die Zerbrechlichkeit der Welt kanalisieren sich fast plastisch in dieser Musik und wir können es fühlen und begreifen. Die Musik ist schön und böse, sie verströmt kratzenden Zorn, ist ohne Hoffnung und zugleich voller Optimismus. Ein tolles Album! Ein einziger kleiner Schmerz sei angemerkt: Etwas zu kurz! Der Ritt durch diese irrsinnige Welt anno 2020 ist zu schnell zu Ende.
Zuletzt ein Zitat von Dave Morecroft, der mit diesen starken Worten seinen persönlichen Auftrag formuliert: „Wir haben immer versucht, eine Botschaft des Mitgefühls und der Zusammengehörigkeit zu verbreiten. Wir waren bestrebt, unsere Unterschiede zu feiern, aber auch die Unverhältnismäßigkeit hervorzuheben, die in der Welt immer mehr zunimmt. Jetzt rammen wir unsere Fahne in den Boden, etwas, das für mich immer wichtiger wird, je älter und stärker ich in meinen Ansichten werde und je mutiger in dem, was ich zu sagen bereit bin.“ Ja, man kann es spüren.
Und nun: Lautstärke hoch! Ready for take off! Noch aus der Konserve und hoffentlich bald von da, wo diese wunderbare Band ihre vollständige Kraft zur Entfaltung bringt. Von der Bühne!
Bewertung: 12/15 Punkten (KH 12, KR 12)
Line-up:
Dave Morecroft – keyboards, vocals
Ben Powling – saxophones
Arthur O’Hara – bass, vocals
Luke Reddin-Williams – drums, percussion
Kieran McLeod – trombone
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Abbildungen: WSP / RareNoise