Toehider – I LIKE IT!
(63:08, CD, LP, Download, Bird’s Robe Records, 2020)
Die Moral von der Geschicht’? Wenn der Schlusenmeier Dir sagt, Du sollst Dir das anhören, tu das einfach. Könnte nämlich sein, dass Du eine neue Lieblingsband entdeckst.
Ja, die Moral gehört für gewöhnlich ans Ende einer Geschichte, weiß man. Aber Mike Mills aka Toehider ist so oder so völlig schnuppe, was man so “für gewöhnlich” an Regeln zu beachten hat, also ist diese fehlgeleitete Eröffnung vermutlich komplett in seinem Sinne. Kennen dürfte der geneigte Progger Mills wohl am ehesten von seinen mehrfachen Engagements bei Ayreon, wo er nicht nur mit seinem unglaublichen Stimmumfang, sondern auch mit höchst exzentrischen Auftritten und maximalem Sympathiefaktor punkten konnte. Sympathische Exzentrik und unglaubliche musikalische Fertigkeiten zeichnen auch Toehider aus, die, technisch gesehen, aus Mike Mills und dem Zeichner Andrew Saltmarsh bestehen – wobei Mike alleine für sämtliche Musik verantwortlich zeichnet. Wenn man sich eine in etwa gleichberechtigte Mixtur aus – festhalten! – Queen, ABBA, Dream Theater, Vince DiColas Achtziger-Soundtracks, Ayreon, Achtziger-Zappa, Cheeto’s Magazine, IQ, Devin Townsend, Manowar, Erasure, Toto, Dragonforce, Bonzo Dog Doo Dah Band, Nightwish, Stan Bush, Roxy Music, Jim Steinman, Tenacious D, System Of A Down, Katy Perry, ELO und Split Enz vorstellen kann, hat man schon eine gute Vorstellung, wie Toehider auf “I LIKE IT!” (nur echt in Großbuchstaben) so grundsätzlich zu Werke gehen. Natürlich, wie man der Aufzählung entnehmen kann, mit einem gehörigen Augenzwinkern versehen, das aber nicht von einer elitär-ironischen Sichtweise geprägt ist, sondern vom gnadenlosen Spieltrieb und einer Begeisterung für Musik jeglicher Couleur, wie man es in der progressiven Musik heuer nur noch höchst selten vernehmen darf.
Die Soundästhetik ist sehr von den Achtzigern geprägt – oder vielmehr davon, was man 2020 eben als “den Achtziger-Sound” empfindet. Im Opener ‘Go Full Bore’ wird ganz eindeutig musikalisch wie textlich dem Manowar-Klassiker ‘Wheels Of Fire’ gehuldigt – wenn nicht gerade ein Achtziger-TV-Soundtrack-Thema oder ein waschechter Black-Metal-Part stattfindet. Natürlich! folgt mit ‘wellgivit’ der metallischen Vollbedienung ein reiner Synthpop-Song, der klingt, als hätte Vince Clarke mit Ariana Grande kollaboriert. Anderswo findet man Folkrock-Dramatik (‘The Guy That No-One Really Knows’, ‘Concerning Lix And Fairs’), orchestralen Pomp kombiniert mit Steely-Dan-Groove (‘Moon And Morons’) – anything goes. Natürlich gibt es auch jede Menge Stoff für die tolerante Prog-Gemeinde – wobei “I LIKE IT!” weder in die Dudelfalle tappt noch epische Zwanzigminüter bietet. Der progressive Ansatz liegt hier eher in der Art, disparate Elemente zu kombinieren und musikalisch innovative Songs zu kreieren. Für die Musikerpolizei gibt es aber natürlich auch genug, was die Kinnlade herunterklappen lässt. Mills ist nämlich nicht nur ein Wahnsinns-Sänger, sondern auch ein Multitalent, das als Gitarren-Shredder genauso überzeugt wie als Wakemanscher Tastenwizard. Am Allerwichtigsten jedoch ist die Ansammlung von unfassbar eingängigen Melodielinien, die sich ohne Umschweife im Gedächtnis festhaken und das Album vollkommen unangestrengt klingen lässt.
Dass das Album auch noch exzellent produziert ist – wenn man keine Allergie gegen Pop-Sounds hat – versteht sich bei einem Allrounder wie Michael Mills fast schon von selbst. Und, ganz generell sollten wir mehr Alben mit Hühnern auf dem Cover kaufen. Dann wird auch Dein Leben bald wieder bunt und granatenstark, Hoschi!
Bewertung: 12/15 Punkten (SG 12, KR 12, KS 11)
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Rezension “What Kind Of Creature Am I?” (2014)
Sammelrezension “The first six” (2009-10), “The last six” (2009-10), To hide here (2011)
Abbildungen: Toehider