Galahad – Following Ghosts (Expanded Edition, 3 CD)

(73:50; 65:43; 73:37, CD, Avalon Music / Just For Kicks 2020)
Galahad - Following Ghosts (Expanded Edition, 3 CD; 1998/2020)Das “Following Ghosts”-Album kann man getrost als den großen Wendepunkt in der Karriere von Galahad ansehen. Wo die ersten drei Alben der klassischen Neoprog-Lehre noch recht konventionell folgten, begann die Band mit ihrem vierten vollständigen Album, sich deutlich moderner und experimentierfreudiger zu zeigen, ohne dafür den bislang typischen Stil komplett hinter sich zu lassen. Speziell die deutlich hörbaren elektronischen Elemente sorgten damals für einiges Aufsehen, und ja, mit Ausnahme von Marillion gab es damals keine anderen Prog-Bands, die sich musikalisch überzeugend im Klima von 1998 zurecht fanden. Porcupine Tree waren gerade erst frisch vom elektronisch-psychedelischen Steven-Wilson-Soloprojekt zur Band gewachsen, Radioheads “OK Computer” wurde noch keinesfalls als dem Prog zugehörig empfunden, ebensowenig wie Tools “Ænima”. Genesis hatten gerade mit “Calling All Stations” trotz durchaus ordentlicher Musik ihr Comeback versemmelt, und Yes folgten einer vielversprechenden Reunion des klassischen Line-Ups mit dem miesen “Open Your Eyes” – Prog war also, zusammengefasst, eine komplett andere und eher nostalgisch orientierte Baustelle, deren Highlight klar die ersten Alben von Spock’s Beard darstellten.

Aus heutiger Sicht wirkt das alles weit weniger wild als damals – aber ein Galahad-Album mit dem punkigen Lospresch-Riff von ‘Myopia’ zu beginnen, sorgte 1998 durchaus für hochgezogene Augenbrauen. Ganz zu schweigen von den erwähnten elektronischen Elementen, die speziell im Longtrack ‘Bug Eye’ und dem tanzbaren (!) ‘Ocean Blue’ zur Geltung kamen. Galahad waren allerdings clever genug, diese Einflüsse eher als Farbtupfer zu nutzen. Im Mittelpunkt standen nämlich nach wie vor die charismatische Stimme von Stuart Nicholson und die auch bei komplex arrangierten Stücken immer höchst eingängigen Melodien, die schon den Vorgänger “Sleepers” dominiert hatten. Die Ankündigung, das Album für diesen Re-Release neu abzumischen, hat zumindest in diesem Rezensenten durchaus gemischte Gefühle ausgelöst: “Following Ghosts” klang schon immer fantastisch, und der rohe, “alternativ” klingende Drumsound geht bis heute als persönliches Highlight durch. Positiverweise hat Band-Spezi Karl Groom sich weitgehend an den Sounds des Originals orientiert, aber alles eben ein wenig “Prog-typischer” hingebogen – als Vergleich kann man hier durchaus den 2013er Mix von Marillions ebenfalls 1998 erschienenen Meinungsspalter “Radiation” erwähnen. Am meisten profitieren die größer und präsenter klingenden Vocals und die generell lauteren Keyboards, die Drums hingegen wurden im Gesamtsound ein wenig zurückgenommen und klingen nun weniger dominant – aber immer noch großartig. Das erwähnte ‘Ocean Blue’ klingt durch die Betonung des Bassfundaments noch Trance-lastiger, und die Backings von Sarah Quilter (heute: Bolter) stehen nun fast gleichwertig neben Stuarts Leadgesang. Und die Songs? Die waren natürlich schon immer klasse – “Following Ghosts” ist eines der besten Neo-Prog-Alben überhaupt, gerade aufgrund des Abwechslungsreichtums.

Mehr Freiheiten hat man sich bei der zweiten Disc erlaubt: hier findet man aktuelle Neueinspielungen von jedem einzelnen Song des Albums. Ob die nun “bessser” sind als die Originale, ist schwer zu sagen, nachdem man die Urfassungen seit zwanzig Jahren im Ohr hat. Gelungen sind sie jedenfalls alle: ‘Ocean Blue’ mit echten Drums und mehr Gitarren, ‘Bug Eye’ deutlich gestrafft und um vier Minuten gekürzt, ‘Karma For One’ dafür rhythmischer und eine ganze Minute länger als früher – und das poppige ‘Perfection Personified’ wurde mit James-Bond-Streichern und Bratgitarren aufgepimpt. ‘Shine’ hat seinen instrumentalen Uptempo-Schlusspart eingebüßt, der Rest ist recht nahe an den Originalen. Auf jeden Fall eine echt coole Zugabe, die tatsächlich enormen Unterhaltungswert hat.

Wie hoch der Unterhaltungswert von Disc 3 ausfällt, hängt davon ab, wie sehr der Hörer mit elektronischer Dance-Mucke klarkommt. Es handelt sich hier nämlich um eine remasterte Version des lange vergriffenen Remix-Albums “De-Constructing Ghosts”, bei dem das Material des Albums von diversen Elektronikern – darunter Dean Baker (keyboards) selbst – komplett umgestrickt und als Basis für durchaus eigenständige Songs verwendet wurde. Das reicht von klassischen Tanzboden-Fegern bis zu Tangerine-Dream-mäßigen Sequencer-Hypnosen, wird sicherlich nicht jedem Galahad-Fan gefallen, gehört aber fraglos zur Geschichte des Albums und hat sich damit seinen Platz im Set ganz definitiv mehr als verdient.

Following Ghosts – 2020 Expanded Edition by GALAHAD

Kurz gesagt: Galahad haben mit diesem Reissue-Paket alles perfekt hingebogen. Mit den informativen Linernotes von Stuart, Dean und Bandbiograf Andrew Wild und zeitgenössischen Fotos wird das Ganze schön abgerundet – lediglich das Fehlen der Texte muss, wie so oft bei Reissues, bekrittelt werden. Das sollte aber niemanden, auch Besitzer der Originalausgabe, nicht davon abhalten, sich diese fantastische Wiederauflage eines Klassikeralbums zuzulegen – vor allem, weil das gute Stück auch überall unter der Zwanzig-Euro-Grenze zu bekommen ist.

Bewertung: 13/15 Punkten (SG 13, JM 13)

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