Steve Hillage, Gong, 04.12.19, Köln, Kantine

Rejoice! I’m deaf!

„Idole sehen, so lange sie lebendig sind.“ Mein hehrer Vorsatz, der offenbar eng im Zusammenhang mit Betreutes Proggen steht – Ein Schelm, der Böses dabei denkt – griff einmal mehr. Wobei: Es gehörte schon eine Menge Selbstbetrug dazu, um nach den musikalischen Zeitreisen von Soft Machine und Caravan dieselbe Maxime für die ebenfalls der Canterbury-Szene zugerechneten Gong gelten zu lassen.

Denn Gong heute haben natürlich nichts mehr mit der wabernden, psychedelischen Glückseligkeit elektrischer Camemberts und fliegender Teekannen ihrer Hochphase zu tun. Besetzungstechnisch runderneuert, hat sich auch der Sound der Band nicht mehr viel mit dem gemein, was einst für bewusstseinserweiternde Hörerlebnisse sorgte. Wie bitter diese Erkenntnis ist, sollte mir bald schmerzhaft klar werden.

Es fing wie zu erwarten an: Psychedelische Klänge, Soundscapes, Alt- und Neuhippies versammeln sich auf der Band, alles scheint in bester Ordnung. Das Publikum, zum Großteil deutlich Ü60, johlt und wedelt mit den Rollatoren erwartungsfroh der Band zu. Dann ein Sequenzer und die rhythmisch katastrophalsten drei Minuten, die ich jemals erlebt habe. Der Drummer ist total neben dem Sequenzer-Takt, die Band laviert irgendwo zwischen Drums und Sequenzer, nur nicht in irgendeinem Takt. Wenn es sich irgendwann gefunden hätte, wäre das die ausgefuchsteste Polyrhythmik, die ich jemals gehört hätte. Tat sie aber nicht. Es war einfach nur falsch. Und falsch war irgendwie alles, was ich diesen Abend von Gong hören sollte.

Ein verpatzter Anfang, d’accord, das kommt sogar in den besten Bands vor. Das war aber nicht mein Problem mit der kommenden Stunde, die mich da heimsuchen sollte. Es war die immense, jedes Detail verschluckende Lautstärke des Live-Mixes. Speziell die Bassdrums von Cheb Nettles waren so laut, dass sie stellenweise alles übertönten. Dazu kam der ebenfalls sehr laut gemixte Bass von Dave Sturt, die zwei wirklich nicht unaufdringlichen Gitarren von Fabio Golfetti und vor allem Kavus Torabi und der nicht immer saubere Chorgesang. Das Ganze wirkte auf mich eher wie der Sound einer veritablen Progmetal-Band, die versucht, feingliedrigen Canterbury-Sound zu produzieren – was natürlich nicht funktioniert.

Was auf den beiden Post-David-Aellen-Alben der Band “Rejoice! I’m Dead!” und “The Universe Also Collapses” ganz gut umgesetzt wurde, nämlich eine Modernisierung und Neuausrichtung des Band-Sounds, bei Beibehaltung der alten Trademarks, ging live, zumindest in der Kantine in Köln, gründlich in die Hose.

Ohrenbetäubende 115 db in den Spitzen machten jeden Hörgenuss wirklich unmöglich. In den kurzen Instrumentalpassagen, in denen die Mike-Portnoy-Gedächtnis-Double-Bassdrum von Nettles verstummte, wurde es erträglicher, allerdings blieb der Mix und das Zusammenspiel der Band, vor allem im Gesang, nur mäßig überzeugend. Das wurde alles mit viel Enthusiasmus vorgetragen, was es ein Stück weit peinlich erschienen ließ.

Einzig Ian Easts filigranes und flinkes Spiel am Saxophon konnte mich überzeugen, es war wie ein Hauch alter Glorie inmitten des Schlachtfelds der Loudness Wars. Natürlich ging sein Spiel im Bassdrum-Gewitter unter.

Als guter Progger stand ich ganz hinten (natürlich mit überkreuzten Armen) und beobachtete, wie sich nach und nach ein paar sensiblere Fans nach hinten verkrümelten, um den Sound wenigstens fast ertragen zu können. Eine Gegenprobe von mir bestätigte: Je weiter ich mich nach vorne bewegte, umso lauter wurde es und umso breiiger wurde der Sound.

Nach ca. einer Stunde endete der Gong-Gig. Meine Ohren waren dankbar für den angenehmen Pausenlärm und für ein paar kurze Worte mit Chefpfleger Klaus und Prog-Recke Michael Peters (selbst ein brillanter Musiker). Wie schön doch das Gläserklirren an der Theke klingen kann!

All meine Hoffnungen richteten sich darauf, dass Hillage den Abend für mich und die zahlreichen Fans in der sehr gut besuchten Kantine richten würde. Ein technisch so versierter und nuanciert spielender Gitarrist braucht einen guten, klaren Sound, sonst klingt er wie jeder daher gelaufene Blues-Nudeler von der Stange. Doch es sollte anders kommen.

They’re all too much

Es fing gut an. Hillage betrat die Bühne und ein Raunen ging durch die Menge. Doch dann erschien, einer nach dem anderen, die gesamte Gong-Besetzung als Begleitband auf der Bühne. Immerhin: Mit Miquette Giraudy trat auch eine langjährige Weg- und Lebensgefährtin Hillages auf die Bühne, während Gong-Saxophonist Ian East die meiste Zeit abwesend war und die Steve Hillage Band (a. k. a. Gong plus 2) nur gegen Ende verstärkte.

Nach einem Intro stimmte Hillage das Beatles-Cover “It’s all too much” an, einer der Höhepunkte meines Lieblingsalbums “L” von ihm. Ich wäre fast versöhnt gewesen mit dem Abend, wenn der Sound nicht genau dort weitermachte, wo er bei Gong aufgehört hatte. Und dass nun Giraudy auf den Synthesizern gegen drei Gitarren auf der Bühne anspielte, machte den Sound nicht besser. Und dass nun noch mehr Sänger um Harmonie kämpften, machte es auch nicht entspannter.

Und so wurde der Hillage-Gig zu einer großen Enttäuschung. Denn trotz musikalischer Highlights mit vielen meiner Favoriten (“Om Nama Shivaya”, “Hurdy Gurdy Man”, “The Salmon Song”) war der dicke, laute, undurchdringliche Klangbrei noch lauter. Er verdarb mir all meine Freude an der Tatsache, mit Hillage einen großen Namen von meiner Bucketlist streichen zu können.

Ich war nicht der einzige, der das so empfand. Nach und nach verließen Fans, sichtlich angestrengt von der Lautstärke und manchmal mit deutlicher Gestik ihre schmerzenden Ohren betreffend, den Saal. Es war einfach too much.

Es soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass ein Großteil des Publikums Hillage frenetisch feierte und vehement eine Zugabe einforderte. Keine Ahnung, was die für Ohren haben. Mit dem letzten Ton flüchtete ich aus dem Saal und genoss danach das leisen Rauschen in meinen Ohren und den Straßenlärm der Neusser Straße in Köln, den ich nur gedämpft wahrnahm.

Als ich zu Hause ankam, war ich bitter enttäuscht: Was eine Zeit- und Raumreise nach Canterbury werden sollte, war in Wirklichkeit eines der lautesten und deswegen unerträglichsten Konzerte, die ich jemals besucht habe. Nur die Chronistenpflicht für euch, oh meine verehrten Leserinnen und Leser, hielt mich davon ab, schon früher die Ohrensegel zu streichen.

Ein musikalischen Fazit ist kaum zu ziehen, da man die Bands schlichtweg nicht gut hören konnte in all dem Lärm (sic!). Ich frage mich allerdings, ob die aufdringlich agierende Rhythmus-Sektion Sturt/Nettles wirklich die glücklichste Besetzung für Gong und vor allem Steve Hillage ist. Kein Zweifel, wir hören hier exzellente Musiker, die wirklich sehr versiert mit ihren Instrumenten umgehen können. Ihr aufdringliches Spiel ist allerdings nicht nur das Ergebnis eines völlig durchgeknallten Mixers, der sich als Drum-and-Bass-Gott gebiert.

Live-Fotos: Klaus Reckert

Surftipps zu Steve Hillage:
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Rezension zu “Düsseldorf” (1979/2017)
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Surftipps zu Gong:
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Rezension zu “The Universe Also Collapses”
Interview m. Dave Sturt zu “Rejoice! I’m Dead!” (2016, english)
Konzertbericht Bonn 2017
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