Soulsplitter – Salutogenesis

(61:53, CD/ Digital, Eigenveröffentlichung, 2019)
Das Kölner Euroblast Festival ist nicht nur dafür bekannt, immer wieder große Namen des Progressive Metal an den Rhein zu bringen, sonder auch dafür, kleinen unbekannten Bands eine Bühne zu bereiten und diese über die Jahre zu unterstützen und aufzubauen. Für den Besucher sind Auftritte solch unbekannter Bands immer ein wenig wie ein Überraschungsei: man schüttelt, horcht und spekuliert darüber, was man im Ei finden wird. Mein persönliches Überrauschungsei in diesem war die deutsche Band Soulsplitter. Mein Schütteln des Ü-Eis bestand darin, dass ich mich im Vorfeld ein wenig online über die Band schlau gemacht hatte. Was ich wahrnahm, war das Foto eines Quartetts junger Musiker: Felix Jacobs (Bass), Daniel Gräupner (Keyboards), Simon Kramer (Gitarre) sowie Fenix Gayed (Schlagzeug). Aufgrund des Fehlens eines Sängers stand mein Urteil über die Gruppe schnell fest: es musste sich um eine Instrumentalband handeln.

Als sich das Überrauschungsei dann in der vorgeschalteten “Ignite Night” des Festivals öffnete, stellte ich schnell fest, dass ich mit meiner Einschätzung falscher nicht hätte liegen können. Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, teilten sich, im Laufe ihres Auftritts, ganze sechs Sänger und Sängerinnen die Bühne des Club Volta mit den vier Herren von Soulsplitter. Obendrauf durfte ich auch noch feststellen, dass nicht nur das Spielzeug begeisterte, sondern auch die Schokolade besonders gut schmeckte. Was an diesem Abend präsentiert wurde, war die Live-Premiere Soulsplitters Erstlingswerkes: “Salutogenesis”, einer Geschichte über Liebe, Tod, Sinnhaftigkeit und Selbsterkenntnis. Musikalisch entsprach diese Album-Release-Show nichts anderem als einer Reise durch 50 Jahre Geschichte des Progressive Rocks. Am Endes der Show war ich regelrecht geflasht.

Dieses überwältigende Gefühl wiederholt sich, als ich “Salutogenesis” zu Hause zum ersten Mal in den CD-Player lege; dieses Mal allerdings mit noch mehr Tiefgang. Dies ist kein Wunder, so haben doch mehr als 50 Personen an der Entstehung des Konzeptalbums mitgewirkt: Sänger, Instrumentalisten, Produzenten, Designer, Maler, Animationskünstler, Fotografen und Filmemacher. Schon nach dem ersten Hördurchgang wird mir klar: diese Platte ist kein Album, dass sich dem Hörer erst nach mehrmaligen Durchgängen erschließt, “Salutogenesis” ist schon vom ersten Moment an ein offenliegendes Meisterwerk. Es ist unfassbar, dass es sich hier um das Debütalbum einer Gruppe handeln soll!

Soulsplitter haben bereits im Jahre 2016 damit angefangen an ihrer musikalischen Vision zu arbeiten. Ziel war es, ihre manigfaltigen Einflüsse zu einem neuen und originellen Klang zu verschmelzen. Kein einfaches Unterfangen, da neben Prog- und Rockmusik auch moderne Klassik (Carl Orff, Sergej Rachmaninov, John Williams) sowie Funk und Jazz (Oscar Petersen, George Duke, Cory Henry und Jacob Collier) zur musikalischen DNA der vier Vollblutmusiker gehören.

Den Auftakt der Platte bereitet mit ‘The Prophecy’ ein Stück, welches mit seinen Streicherarrangements stark an den Beginn eines Hörspiels erinnert. Dies macht durchaus Sinn, da sich nur wenig später die geheimnisvolle Erzählstimme Stroppos über die Musik legt. Während die Streicher des Nuvola Quartets vom sanften Piano Daniel Gräupners abgelöst werden, fühle ich mich immer mehr, als würde ich einem Poesievortrag, oder düsterem Musiktheater à la Goethes Erben lauschen. Ein stimmungsvoller Einstieg, der allerdings kaum erahnen lässt, wohin die musikalische Reise gehen wird.

Der Übergang zu ‘The Transition’ ist fließend. Das Piano wird von einer Akustikgitarre (Patrick Hänsler) abgelöst, um die herum sich die Atmospähäre des Liedes immer weiter verdichtet. Begleitet von Felix Jacobs‘ fast funkiger Rhythmusarbeit dominieren schnell Piano und Orgel das musikalische Geschehen. Erinnerungen an Spock’s Beard werden wach. Diese legen sich jedoch spätestens dann, als Ophelia T. Sullivans (Ecstasphere) Gesang einsetzt. Soulsplitter schalten einen Gang runter. Die Musik wird cinematographischer, auch Dank des Einsatzes von Mellotron (Fenix Gayed) und Theremin (Trautonia Capra). Das Paatos-lastige Terrain verlassend geht die Reise weiter in orientalische Gefilde, die ich so im Prog in ähnlicher Form zum letzten Mal auf Gazpachos “The Walk” vernommen habe. Auch dies ist nur eine weiterer Übergang, da sich Soulsplitter ab Minute 8:40 zum ersten Mal in den Bereich des Progressive Metal vorwagen. Bass uns Darbuka (Tayfun Ates) katalpultieren den Härtegrad der Musik nach oben und die überraschend auftauchenden Growls Gastsänger Stroppos bewerkstelligen ihr übriges. Doch auch in den Sphären von Opeth verweilt die Band nicht lange. Als der Stil der Gesangsstimme ein weiteres Mal wechselt, vollzieht auch die Musik eine letzte Wendung. ‘The Transition’ klingt aus, als sei es von Daniel Gildenlöw für Pain of Salvations “BE” geschrieben worden. Am Ende der gut elf-minütigen Reise des Liedes angekommen, habe ich trotz der vielen Stil- und Stimmungswechsel nicht das Gefühl, dass mir der Kopf brummt. Ganz im Gegenteil: jeglicher musikalischer Übergang war nachvollziehbar. ‘The Transition’ macht Lust auf mehr.

‘The Moloch’, die erste Single-Auskopplung des Albums, erinnert mit Simon Kramers aggressiven Gitarrenriffs und düsteren Piano-Melodien stark an Hakens jüngere Bandphase, mit dem Unterschied allerdings, dass Sänger Manou Wolfsgruber immer wieder zwischen Growls und Klargesang hin- und herwechselt. Neben Djent und Prog-Metal scheinen auch Klassiker des Prog Rock als Inspirationsquelle für ‘The Moloch’ gedient zu haben. Simon Kramers Gitarrensolo ist stark von Pink Floyds David Gilmour beeinflusst, während Wolfsgrubers Klargesang bei mir immer wieder Assoziationen mit Gentle Giants Derek Shulman weckt. Kleiner Tipp: wer seine Probleme mit Growls hat, der sollte diesen Gesangsstil einfach versuchen, als Bassinstrument wahrzunehmen. Es wäre zu schade, wenn man “Salutogenesis” während dieses Liedes aufgrund seiner Death Metal-Einflüsse in die Ecke schmeißen würde. Empfehlenswert ist übrigens auch die verstörende visuelle Umsetzung des Songs als Musikvideo, da hier Bilder und Klang perfekt miteinander harmonieren.

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Das nun anschließende ‘The Maze’ beginnt mit einer melancholisch schönen Pianomelodie, die in eine an Steven Wilson und Porcupine Tree erinnernde Gitarrensequenz leitet. Synthesizer-Sounds verstärken den Eindruck, dass es sich bei diesem Lied um reinrassigen New Artrock handelt. Vor allem LoOfs Stimme, die dem Alternative der 90er entliehen scheint, verzaubert dieses Lied. Auch ‘The Maze’ kann natürlich nicht bei einem Stil bleiben, so dass ab ungefähr der vierten Minute wieder verstärkt groovige Djent-Riffs auftauchen. Im letzten Viertel des Liedes wird dann zusätzlich noch in die Kiste mit den 80er Jahre Keyboardsounds gegriffen, bevor es dann zum Abschluss gitarren- und gesangstechnisch in bester Dream Theater-Manier zu Ende geht.

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Ohne Pause schließt ‘The Sunset’ an, ein gut zweiminütiges Instrumentalstück, dass vor allem von einem verträumten Piano geprägt wird. Trotz seines spannungsgeladenen Bassspiels und den jazzangehauchten Drums Fenix Gayeds kann der Song als kleine Verschnaufspause wahrgenommen werden…

…und die ist auch nötig, da es gleich mit dem fast elf-minütigen ‘The Dream’ weitergeht, welches zu einer Reise durch die Proggeschichte einlädt. Während das Instrumentalstück mit “Damnation”-artigen Klängen loslegt und auch ansonsten gerne in Opeth-Gewässern herumschippert, wird der anschließende Teil von Nathan Kirzons an Kansas erinnerndes Geigenspiel geprägt. Es folgen krachender Djent (à la Periphery), Jazzrock, Kammermusik sowie am Ende des Liedes eine Fusion-Gitarre. Eine so große Vielzahl von Stilelementen hatte zuletzt Devin Townsend auf seinem aktuellen Album “Epmpath” versucht, unter einen Hut zu bringen. Doch wo dieser – für meinen Geschmack – aufgrund von Überfrachtung grandios gescheitert ist, meistern Soulsplitter ihr musikalisches Experiment mit voller Bravour.

Ganz andere Töne schägt das auffällig kurze ‘The Eye of the Cyclone’ an, ein herzergreifendes Duett zwischen Sänger LoOf und der lettischen Singer-Songwriterin Vic Anselmo (bekannt für ihre Kooperationen mit Duncan Pattersons Íon und Antimatter. Untermalt von akustischen Instrumenten und den Streichern des Nuvola Quartets bewegen sich Soulsplitter hier auf dem schmalen Grad zwischen Kitsch und Romantik in Territorien zwischen ruhigen Anathema und akustischen-orchestralen Deine Lakaien.

Es ist die Ruhe vor dem Sturm, denn im abschließenden ‘The Sacrifice’ ziehen Soulsplitter noch einmal alle Register ihres Könnens und dringen in die symphonische Spähren von Queen und Symphony X vor. Auch dieses Stück ist an Vielfalt und Ideen kaum zu übertreffen. Horn (Isgard Boock ) und Marimba (Fenix Gayed) ergänzen das vielschichtige Soundspektrum der Band ein weiteres Mal und Marian Feistritzers Geang lässt Erinnerungen an ein Broadway-Musical aufkommen. Dies ist die Musik, die Dream Theater warscheinlich im Sinne hattn, als sie versuchten, mit “The Astonishing” Musikgeschichte zu schreiben.

Am Ende der Platte angekommen, habe ich schon nach dem ersten Hören das Gefühl, dass es sich hier um einen modernen Progklassiker handelt. Mittlerweile hat die Scheibe unzählige Rotationen in meinem CD-Player gedreht, und man hält es kaum für möglich, sie wird noch immer von Durchgang zu Durchgang interessanter.

Lediglich meine persönliche Vorliebe für etwas eingängigere Musik hindern mich daran, “Salutogenesis” zu meinem Album des Jahres zu machen, denn schon lange hat mich kein Debüt einer Band mehr so sehr überwältigt wie Soulsplitters “Salutogenesis”. Zeitlos genial!
Bewertung: 14/15 Punkten (FF 14, KR 13, KS 11)

Tracklist:
1. The Prophecy
2. The Transition
3. The Moloch
4. The Maze
5. The Sunset
6. The Dream
7. The Eye of the Cyclone
8. The Sacrifice

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