Gloomaar Festival 2019, 16.11.19, Neunkirchen, Neue Gebläsehalle

»Blowmaar«

Schön, wenn ein gutes Konzept und harte Arbeit belohnt werden. Aus dem leisen Geheimtipp-Gewisper, dass sich da im Saarland ein phantastisches neues Festival-Format in einer ganz besonderen Halle entwickelt, ist (möglicherweise auch ein wenig unter Mithilfe von begeisterten Medien wie uns) ein gut vernehmbarer Ruf geworden: Hin da!

Dass wir die Verhältnisse vor Ort schon gut kannten, erleichterte es, diesmal mit entspanntem Vorlauf am Ort des Geschehens zu sein. Schlag 16 Uhr wirkte die schöne Neue Gebläsehalle allerdings noch erschreckend leer.

Noorvik

Doch das schüchtert unser Kölner Vorzeige-Quartett nicht für eine Sekunde ein. Die beiden Gitarristen wechseln zwischen Lead- und Rhythmus-Parts so lässig ab, wie andere einen Joint herumgeh… ach, lassen wir das hier, wobei man beim abermals glasklaren Sound die unterschiedlichen Klangphilosophien von Ibanez plus Orange versus Fender Strat plus Marshall studieren kann. Der Mix aus treibendem Post-Rock bis -Metal und einer gewissen, wie bei norwegischen Landschaften abgeschauter Majestät kam ausgezeichnet an. Das letzte Stück (wie es auch immer geheißen haben mag *achselzuckt*) mit seinen flirrenden Tappings war ganz besonders proggig. Und ging ganz besonders ab.

Noorvik @ Gloomaar

There’s a Light…

There's A Light
… that never goes out, möchte man der Band aus dem Schwarzwald nach ihrem gefeierten Gloomaar-Auftritt andichten. Ihr allein schon durch den Gesang deutlich von ihren Vorgängern abgesetzter Auftritt (der allererste im Saarland überhaupt, in China haben sie aber schon getourt) wurde u.a. dadurch auch als Weiterentwicklung oder Steigerung empfunden. In ihren besten Momenten erinnerte die Combo zumindest live an Soup – und ein viel größeres Kompliment hat der Autor grade auch nicht parat.

There's A Light @ Gloomaar

Midas Fall

Apropos Steigerung – wie man sich doch irren kann: Angesichts der Stage-Times-Liste hatte man sich noch gefragt, ob sich die Festival-Dramaturgie mit Midas Fall als drittem Act gegen 18 Uhr nicht als Rückschritt erweisen würde. Blödsinn, genau das erwies sich als ganz richtig und die Formation um Sänger/Gitarristin Elizabeth Heaton und Lead-Gitarristin Rowan Burns als abermalige Steigerung. Das hatte schon mit der gewaltigen Bühnenpräsenz von Elizabeth – was für eine Stimme! – und Rowan zu tun – was für ein dauerhüpfendes Dildöppchen und was für eine Schönheit!

Verprügelte Stand-Toms und effektvolle Keyboard-Loops sorgten überdies für eine Erweiterung des Sound-, die bisweilen recht folkigen Melodien für eine des Harmonie-Spektrums. Toller Auftritt!

Somali Yacht Club

Die erste “Enttäuschung” des Abends, aber auch wirklich nur beim Outfit – denn bei dem Namen hatten wir Hakenhände, Holzbeine und Augenklappen erwartet – außerdem Jolly Roger und einen Papagei auf der Bühne. Sowie vielleicht ein paar Running Wild-Coverversionen. Jottlob hat das Trio aus der Ukraine mit so etwas aber nichts zu schaffen.

Somali Yacht Club

Ihr Post Rock hat tief an der Stoner-Rock-Tüte gezogen. Die Songs wie ’84 Days’ oder ‘Up In The Sky’ bringen hingegen die bislang ausgiebigsten Improvisationen des Abends: “We have pretty long songs, but they are good,” wie Sänger/Gitarrist Mezk Erei mit dickem Akzent schelmisch erläutert.

Somali Yacht Club @ Gloomaar Festival 2019

Stoned Jesus

Man mag es kaum glauben – doch wenn man sich bei Stoned Jesus (einem weiteren Ukraine-Import) umwendet, wirkt die Gebläsehalle erstmals annähernd halb voll. In den Worten eines der Veranstalter bedeutet dieser Eindruck ein Plus von rund 100 Besuchern im Vergleich zu 2018 – und einen wichtigen Schritt in Richtung Kostendeckung. Auch das Trio selbst – aktuell auf “Tenth Anniversary Tour” – schien elektrisiert von dem Anblick und legte bei ihrem MeloDoom meets Stoner Rock noch ein paar Schüppen nach.

Songs wie ‘Here Come The Robots’ oder ‘I’m The Mountain’ haben zwar unglaublich nahe an Ozzy-Sabbath gebaut. Aber zum einen muss man ja auch das erst einmal hinbekommen. Und zum anderen waren Stoned Jesus genau deswegen eine wunderbare Abwechslung im Billing!

Monkey3

Wir hatten Post-Rock und -Metal, Folk-Rock, Stoner-Rock, Doom. Die nächste Stunde jedoch gehörte der Raumfahrt. Das Shuttle dafür gebaut hatte das Schweizer Monkey3-Labor – in Vertretung der leider krankheitsbedingt ausgefallenen, ebenfalls ganz großartigen My Sleeping Karma übrigens.

Geboten wurde abermals eine Steigerung auf permanent hohem Niveau – nicht nur war der Rundflug für den Autor der bisherige Höhepunkt des Festivals, sondern auch der beste Auftritt der Schweizer, den er bislang miterleben konnte. Und das, obwohl das die Setlist dominierende aktuelle “Sphere”-Album nicht gerade zu den Favoriten gehört und zum ersten Mal bei einem Festival mit ausgesprochen ästhetischen, einfühlsamen Lichtkonzept die Lightshow mit ihren ständigen Blend-Effekten erstmals als beinahe lästig und von der Musik (und den Projektionen) ablenkend empfunden wurde. Trotzdem war halt alles andere beinahe perfekt – und so konnten alle gemeinsam abheben.

So geschehen zu ‘Spirals’, ‘Prism’, ‘Mass’ oder – endlich – dem wunderbaren ‘Icarus’.

Von welchem römischen Philosoph stammt noch das Dictum, “Vapen macht unf…bar”?

Davon völlig unangefochten bliesen sowohl das bestaufgelegte Bühnenzentrum Boris wie auch Keyboarder “dB” zwischen und sogar teils während den Songs ganz erstaunliche Wolken in die Gebläsehalle, sodass die hauptberuflichen Nebelwerfer nahezu eingeschüchtert bis nutzlos erschienen.

Ab der Geisterstunde gehören ältere Semester (und Frühaufsteher) allmählich ins Bett. Auch daher übernimmt flohfish ab hier freundlicherweise…

——–

Trotz meiner Hauptbeschäftigung als Sozialarbeiter, fällt es mir an diesem Abend zu, Progressive Musik zu betreuen, und nicht etwa unseren wohl etwas in die Jahre gekommenen Chefbetreuer Klaus (sowas von alt, im Vergleich zu Dir, Grasshopper! Die Schlussred.) .
Auch für mich hat sich das Gloomaar-Festival nach meinem ersten Besuch im Jahre 2018 zu einer Pflichtveranstaltung gemausert. Und so bin ich froh, dass in diesem Jahr nicht nur die musikalischen Darbietungen vom Feinsten sind, sondern dass dieses Mal auch die Zuschauerzahlen stimmen. Grund hierfür könnte sein, dass das diesjährige Programm ein wenig homogener erscheint, als jenes des Vorjahres. Zwar hatten die Veranstalter mit Riverside ein namhaftes Zugpferd als Headliner gebucht, doch war deren Progressiv Rock vielleicht ein etwas zu hartes Kontrastprogramm zu den ansonsten hauptsächlich dem Post-Rock zuzurechnenden weiteren Gruppen gewesen (u.a. And So I Watch You From Afar, Toundra, Soup, Flares).

Alcest

Dieses Jahr dagegen fügt sich der Headliner stilistisch viel besser ins Gesamtprogramm ein. Alle bisher aufgetretenen Bands hatten stilistisch nahtlos aneinander angeschlossen. So stammen die Gruppen zwar aus unterschiedlichen Genres, doch hatte es im Ablauf des Tages keine harten Brüche gegeben. Ganz im Gegenteil: Bandauswahl -und abfolge scheinen gut durchdacht zu sein und so passen auch Alcest perfekt an jene Stelle, welche ihnen von den Veranstaltern zugesprochen worden ist.

Als jemand, der die Franzosen bisher nur von einigen wenigen und vor allem neueren Songs kennt, ist es für mich nur schwierig einzuschätzen, was mich zu dieser späten Stunde erwarten würde: romantische Shoegaze-Klänge, oder eher Nackenbrecher-Mucke zwischen Blackgaze und Black Metal.

Als die Truppe um Stéphane ‘Neige’ Paut dann die Bühne betritt, haben die Musiker für jeden der Anwesenden etwas im Gepäck. Während die einen Fans zu sphärisch-romatischen Post-Metall-Klängen verträumt Sänger Neige anchschwelgen, feiern die anderen das Geschehen auf der Bühne mit ihren sich windmühlenartig drehenden Köpfen und Haaren. Spährische Gitarren, lautmalerischer und manchmal auch gutturaler Gesang sowie eine prominente Rhythmusarbeit erzeugen Musik im Wechselspiel zwischen Wall of Sound und Minimalismus. Der Auftritt entspricht einer intensiven, cinematographischen, manchmal fast traumhaften Reise durch die verschiedenen Epochen und Stadien der Band. Alles in allem ein sehr überzeugender Auftritt, der vom Publikum gebührend bejubelt wird.

Kokomo

Was das Gloomar von vielen anderen Festivals unterscheidet, ist die Tatsache, dass nach Ende des Headliner-Auftritts nicht Feierabend ist. Wie schon im letzten Jahr gibt es auch im Jahre 2019 einen sogenannten “Late Night Act”. Dieses Mal ist die deutsche Post-Rock-Formation Kokomo geladen, um in den ersten Stunden nach Mitternacht dem verbliebenen Publikum musikalisch den Ausklang zu gestalten. Dessen Zahl ist allerdings schon sichtlich minimiert, da eine große Zahl an Zuschauern auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen ist und Neunkirchen nun mal trotz allem nicht der Nabel der Welt ist.

Zwar hatte ich im Vorfeld des Festivals schon die Möglichkeit gehabt, in das aktuelle Werk der Duisburger hineinzulauschen, doch hatte “Totem Youth” bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht voll und ganz bei mir gezündet. Dies ändert sich allerdings schnell, als das Quintett, bestehend aus drei Gitarristen, Bassisten und Schlagzeuger, zehn Minuten früher als angekündigt die Bühne betritt und ausschließlich die Stücke ihres neuen Werkes präsentiert. Was mit trancehaften Post-Rock-Landschaften beginnt, verwandelt sich schnell in eine immer wiederkehrende Dampfwalze, die in den frühen Morgenstunden über das Publikum hinwegrollt. Kokomo vermögen es dabei, das Publikum mit ihrem Sound nicht zu plätten, sondern vielmehr aufzurütteln. Die drei Gitarristen wechseln sich in ihrem Spiel immer wieder bei den Lead- und Rhythmus-Parts ab, was, in Kombination mit ihrer Agilität in Form von Hüpfen und Springen, für reichlich Dynamik auf der Bühne sorgt. Es macht Spaß, den Jungs zuzusehen!
Letztendlich sind Kokomo vermutlich die härteste Band des Abends und vermutlich der perfekte Rausschmeißer. Ihr Auftritt ist ein würdiger Abschluss für ein wiedermal gelungenes Festival.

PS – Fazit der Autoren:

  • Weiterhin eines der angenehmsten, entspanntesten Festivals, die man sich als Rock-Fan in Deutschland geben kann: Traumhafte Architektur, überwiegend Referenzsound, ohne Gehörschutz genießbar!
  • Auffallend freundliche Mitarbeiter an allen Positionen, einschließlich Security.
  • Abermals ein wirklich überzeugendes Line-up für nur 40 € Abendkasse!
  • Signing-Sessions erleichtern die Kontaktaufnahme zu den eh meist sehr integrierten Künstlern.
  • Diesmal nur extrem reibungslose Umbaupausen. Die meisten Festivals, die zwei oder mehr Bühnen bespielen, lassen das Publikum länger als die in der Gebläsehalle gebotenen 15 Minuten ohne Live-Musik warten – und das ging hier alles mit einer großen Bühne.
  • Mini-Manko und gleichzeitig Festival-Plus: die kultige Grimbergen-Theke war heuer leider unterwegs zu einer anderen Veranstaltung. Danach gefragt und zum Trost machte sich die Gastro-Chefin der Halle aber einen Spaß daraus, alle paar Minuten einige Reste an Bier-Bouteillen aus dem Gebläsehallen-Keller zum immer gleichen Einheitspreis von 3 Euro auf den durstigen Markt zu werfen – von Wulle-Bier bis hin zu edelstem Craft-Stoff.

Wenn sich jetzt noch ein wenig mehr Community um das Festival herum entwickelt (Facebook-Gruppe/n, Organisation gemeinsamer Anreise und Unterbringung, Pre-Party), dann scheint der Kult unaufhaltsam – alle Voraussetzungen sind da, vor allem ein begeistertes, kenntnisreiches Festival Booking!

PPS – Apropos “mark your calendars”: die vierte Ausgabe des Gloomaar Festivals geht am 21.11.2020 am gleichen Ort über die Bühne.

Setlists:
Noorvik
There’s a Light
Midas Fall
Somali Yacht Club
Stoned Jesus
Monkey3
Alcest
Kokomo

Live-Fotos mit freundlicher Genehmigung: Alexander Moell

Fotos von “Blowmaar” (M7), Kokomo, der Gebläsehalle und den Tickets: Klaus Reckert

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