Touché Amoré, Deafheaven, Portrayal of Guilt, 07.10.19, Köln, Carlswerk Victoria

Progressive Rock ist je nach Interpretation ein sehr eng gefasster Begriff. Oft bezeichnet er lediglich die grenzüberschreitenden Bands der 70er Jahre und deren moderne Epigonen. Progressive Rockmusik dagegen ist so ziemlich das genaues Gegenteil. Sie umfasst Bands, die heute als innovativ gelten und oft Wege einschlagen, die zuvor noch nie bestritten worden sind.

Das Triumvirat an Kapellen, das am 7. Oktober ins Mülheimer Carlswerk Victoria ruft, ist soweit vom Progressive Rock der 70er Jahre entfernt, wie man es sich nur vorstellen kann. Trotzdem fühlt sich zumindest ein Betreuer dazu verpflichtet, über das Ergebnis zu berichten. Grund hierfür sind vor allem Deafheaven, die mit ihrem Blackgaze, einer Mischung aus Black Metal, Shoegaze und Post-Rock, nicht nur für die Grammy Awards 2019 nominiert worden waren, sondern es auch bereits auf die Seiten der alles definierenden Prog Archives geschafft haben.

Doch auch Touché Amoré sind für den aufgschlossenen Musikfan nicht völlig uninteressant. Wie auch Deafheavens Musik wird jene von Touché Amoré durch das Präfix “Post” beschrieben, nur dass es sich hier nicht um Post-Rock, sondern um Post-Hardcore handelt. Beide Stilrichtungen haben gemeinsam, dass sie sich vom klassischen Songaufbau gelöst haben und ihre Mutter-Musikstile um sich wiederholenede Klangmuster, Noiseausbrüche sowie Klangmalereien erweitern.

Portrayal of Guilt
Los geht der Abend allerdings mit einer dritten Band: Portrayal of Guilt. Den meisten Gästen im Publikum völlig unbekannt, schlagen die Texaner James Beveridge (Schlagzeug), Blake Givenrasch (Bass) und Matt King (Gitarre & Gesang) eine Brücke zwischen den Fanlagern der beiden Headliner.

Was mit einem industriallastigen Intro beginnt, entwickelt sich schnell zu einem Zwitterwesen aus klassischem Hardcore, Black Metal, Post-Metal und einer guten prise Grindcore. Portrayal of Guilt sind mit ihrem Kontrast aus präziser Rhythmusarbeit, Punkgitarren, Sample-Einspielungen und Matt Kings verzückendem Gekeife immer wieder für Überraschungen gut und erzeugen über die gesamte Länge ihres Auftritts eine beklemmend düstere Atmosphäre.

Deafheaven
Wie bei einer Double-Headliner-Tour so üblich, wechseln sich Deafheaven und Touché Amoré bei der Running Order immer wieder ab. Heute sind es Deafheaven, die im Anschluss an Portrayal of Guilt an der Reihe sind – und das ist auch gut so, denn schon beim Betreten des gut zu zwei Dritteln gefüllten Carlswerks war aufgefallen, dass die Fans von Touché heute Abend in der Mehrzahl sind.
Wer, wie der Betreuer, die Kalifornier vor allem von ihrem letzten Album “Ordinary Corrupt Human Love” kennt, der muss überrascht sein, als das Quintett – bestehend aus George Clarke (Gesang), Kerry McCoy (Gitarre), Daniel Tracy (Schlagzeug), Shiv Mehra (Gitarre) & Chris Johnson (Bass) – im Lichte der Scheinwerfer erscheint. Während sie auf ihren neueren Bandphotos meist wie eine junge Hipster-Band auftreten, stehen nun fünf Männer im klassisch schwarzen Metal-Look auf der Bühne. Lediglich Gitarrist Shiv Merah bildet mit seiner weißen Hose eine Ausnahme.

Passend zum Outfit dröhnen brachiale Gitarrenriffs aus den Boxen, die an klassichen Trash Metal erinnern. Es handelt sich um “Black Brick”, den wahrscheinlich härtesten Song der Bandgeschichte, welcher im Februar als Download-Single veröffenlicht worden war. Weiter im Text geht es ohne Verschnaufpause mit ‘Brought to the Water’ vom 2015er Album “New Bermuda“, welches seinem Vorgänger in Heaviness kaum nachsteht. Erst im Anschluss spannen die US-Amerikaner den Bogen zum Post-Rock des jüngsten Albums. Metal-Riffs und Black Metal-Gesang lösen sich immer mehr in atmosphärischen, teils tonnenschweren Klanglandschaften auf und vermitteln trotz aller Düsterkeit ein wohliges Gefühl in der Magengegend. Mehr als eine halbe Stunde dauerd die beeindruckende Darbietung der Stücke ‘Honeycomb’, ‘Canary Yellow’ und ‘Worthless Animal’, die – abgesehen von George Clark‘s gollumartig-zischendem Gesang – kaum noch etwas mit Black Metal zu tun hat. Highlight des Sets ist jedoch der abschließende über neunminütige Klassiker ‘Dream House’ vom rosafarbenen Publikumsliebling “Sunbather”. Spätestens hier tendiert die Band wieder in eine härtere Richtung, die auch die Zuschauer, welche nur wegen Touché Amoré gekommen sind, versöhnlich stimmt.

 

 

Touché Amoré
Übte sich das Publikum in der übergroßen Halle bisher zumeist in Zurückhaltung, brechen schon bei den ersten Takten des heutigen Headliners die Dämme. Während sich Frontmann Jeremy Bolm in bester Hardcore-Manier die Seele aus dem Leib schreit und schon beim zweiten Song ‘Honest Sleep’ stagedivend das Bad in der Menge sucht, bildet sich in den vordersten Reihen der erste kleine Moshpit. Die Fans der Band sind völlig aus dem Häuschen und singen bzw, grölen Song für Song Zeile für Zeile mit. Crowdsurfing ist heute aufgrund des breiten Fotograbens und der weitläufigen Halle allerdings nicht so einfach, und so ähnelt Touchés Sänger beim Bad in der Menge mehr der untergehenden Titanik als einem über die Wogen segelnden Schiff.

Der Stimmung tut es keinen Abbruch, vor allem, weil Jeremy Bolm nicht aufgibt und nun eben vom Fotograben aus den Kontakt zum Publikum sucht. Zu Freuden der versammelten Fans geben Touché Amoré ihr Debütalbum “…To The Beat Of A Dead Horse” – welches zum zehnjährigen Jubiläum gerade unter dem Namen “Dead Horse X” neu eingespielt worden ist – in voller Länger zum Besten. Auch im Anschluss, als die Band sich weiter durch ihre Diskographie spielt, lässt die Stimmung im Publikum nicht nach; dafür sind die Hardcore-Riffs im Post-Ambiente sowie die Dynamik des Fünfers einfach zu mitreißend. Der Abend kulminiert dann in einer Auswahl von Liedern ihres letzten Studioalbums, dem 2016er “Stage Four”, welche trotz oder gerader wegen der traurigen persönlichen Texte des Sängers nur so vor Energie strotzen.
Als das reguläre Set dann nach gut 60 Minuten zu Ende geht, ist die Stimmung im Publikum so überwältigend, dass Jeremy Bolm und seine Mitmusiker Nick Steinhardt (Gitarre), Clayton Stevens (Gitarre), Elliot Babin (Schlagzeug) und Tyler Kirby (Bass) noch einmal für zwei Zugaben auf die Bühne zurückkehren.

Am Ende des Tages scheinen alle Fans zufriedengestellt zu sein, egal für welche der drei Bands sie angereist waren. Geboten wurde eine ungewöhnliche Vielfalt, die wahrscheinlich nicht nur dem anwesenden Betreuer neue musikalische Horizonte eröffnet hat.

Text: Floh Fish
Live-Fotos: Chris Bre

Setlist:
Portrayal of Guilt
Deafheaven
Touché Amoré

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