(46:10, CD, Kscope / Edel, 2019)
Hat eine Band ihre eigene musikalische Formel gefunden, stellt sich die Frage: fühlt sie sich in ihrem Terrain wohl und wiederholt mit gewissen Modifizierungen nur noch das bereits Bekannte oder wagt sie sich an wirkliche Veränderungen, auch mit der Gefahr, die mühevoll aufgebauten Fans teilweise vor den Kopf zu stoßen.
Dass Iamthemorning, das Zweigestirn aus St.Petersburg, mit seinem melodisch, vermehrt akustischen, teils klassisch, teils folkig inspirierten Art Pop/Rock das persönliche musikalische Terrain auf überaus ansprechendem Niveau abgesteckt hat, bewiesen bereits die letzten Alben. Doch gerade das letztes Jahr erschiene, überaus hörenswerte Soloalbum vom instrumentalen Mastermind Gleb Kolyadin offenbarte eine ganz andere musikalische Facette, eine weitaus sinfonischere, progressiv eher zurückhaltende Seite, die bisher weniger Raum bei Iamthemorning fand.
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“The Bell” wagt nun den sehr sachten, wohl durchdachten Spagat zwischen dem über die letzten Jahre entwickelten Bisherigen und dem wohl dosierten Versuch wesentlich mehr Expressivität in die Musik des russischen Duos einzustreuen. Die zehn Titel des aktuellen, songbasierten, inhaltlich von Ängsten und Scheintoderfahrungen geprägten Konzeptalbums von Marjana Semkina und Gleb Kolyadin klingen einerseits melancholisch sehr vertraut, lassen jedoch in einigen Momenten – vor allem beim episch, vielschichtig arrangierten siebenminütigen Opener ‘Freak Show’, der zuweilen sperrige, jazzige Passagen auffährt, sowie dem verspielten ‘Ghost Of A Story’ – erkennen, dass man sich doch noch weiterentwickeln möchte. Gleichzeitig wirkt vieles vertraut, wie der zerbrechliche, eindringlich bestimmende Gesang, wie gleichfalls der meist akustisch, von Klavier dominierte Kunstrock.
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Auf bekannte Gastmusiker wurde dieses mal verzichtet – einzig Schlagzeuger Evan Carson verfügt über eine gewissen Bekanntheitsgrad – dafür nahezu ein komplettes Orchester mit Violinen, Violas und Cellos, wie ebenso Gäste an Harfe, Marimba, Saxophon oder Trompete aufgefahren. So gerät “The Bell” hin und wieder eine Spur ausschweifender, eindringlicher, dynamischer, ist der kammermusikalische, traditionelle, zudem sehr zurückhaltene Ansatz aber immer noch sehr bestimmend. Dieser zehnteilige Songzyklus ist so etwas wie eine wehmütige Reise in eine andere Zeit, in andere Sphären, die meist nur auf die alleinige Kraft von Gesang und Klavier setzt. Doch gerade dann, wenn sich Iamthemorning aus der eigenen, sanften Komfortszone herausbewegen, beginnt dieses Album seine wahre Kraft zu offenbaren.
Bewertung: 10/15 Punkten
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Interview Marjana Semkina
Abbildungen: Iamthemorning / Kscope