Midsummer Prog Festival 2019, 22.06.19, Valkenburg, Openluchttheater
Valkenburg aan de Geul ist ein kleines romantisches Städtchen, kurz hinter der deutsch-niederländischen-Grenze, auf dem Wege von Aachen nach Maastricht. Unter Proggern hat die knapp 17.000 Einwohner zählende Gemeinde mittlerweile einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht, da das dortige Openluchttheater seit 2017 die Heimstätte des jährlichen Midsummer Prog Festivals ist.
Bisher war ich von den ersten beiden Editionen des Festivals vollkommen begeistert. In diesem Jahr allerdings machten sich bei mir im Vorfeld der Veranstaltung erste größere Zweifel bemerkbar. Grund hierfür waren die von den Organisatoren verpflichteten Bands.
Im ersten Jahr seines Bestehens startete das Midsummer Prog Festival mit drei der angesagtesten Bands des Modern Prog & New Artrock: die zu alten Stärken zurückgekehrten Pain of Salvation, die atmosphärischen Gazpacho aus Norwegen, sowie, als Headliner, die ehemaligen Gothic Metaller von Anathema. Komplettiert wurde das Billing durch Iamthemorning, deren Album “Lighthouse” gerade erst bei den PROG-Awards den Titel Album des Jahres gewonnen hatte sowie den australischen Senkrechtstartern von Caligula’s Horse.
Ein Konzept, welches auch im darauffolgenden in ähnlicher Form wiederholt worden war. Neben zwei weniger bekannten Bands als Opener, den niederländischen Lesoir und Lazuli aus Frankreich, sowie den sich immer wieder neu erfindenden Lokalmatadoren von The Gathering gabenen sich auch 2018 wieder zwei Speerspitzen innovativer progressiver Musik die Klinke in die Hand: neben den britischen Amplifier standen die vom Schicksal arg gebeutelten Riverside aus Warschau als krönender Headliner auf der Bühne.
Ende 2018 begann sich allerdings abzuzeichnen, dass das Midsummer Prog seinen Character leicht verändern würde. Viele bekannte Namen waren im Vorfeld gehandelt worden, doch standen angesagte Bands wie Haken, Tesseract, Leprous oder Soen letztendlich nicht auf dem Billing von Valkenburg, sondern auf jener des neu entstandenen Prognosis Festivals in Eindhoven. Midsummer Prog überraschte dagegen auf eine äußerst unvorhersehbare Art und Weise; nämlich indem es sich große Namen des eher klassischen Prog auf die Fahnen schrieb: Focus mit ihrem 70er-Jahre Prog, die NeoProg-Veteranen von IQ, sowie The Flower Kings , die mit ihrem RetroProg in den 90ern zu Größen aufgestiegen waren. Als Anhänger eher kontemporärerer Progmusik war dies für mich ein kleiner Schlag in die Magengrube.
Dem gegenüber standen drei moderne Gruppen, die dem Ganzen ein starkes Kontrastrogramm entgegensetzten: The Intersphere, die viel zu lange von der Bildfläche verschwundenen Jolly sowie die wiedervereinigten Pure Reason Revolution.
Letztendlich waren es genau diese Bands und auch die guten Erinnerungen an die letzten beiden Jahre, die mich davon überzeugten, dem Midsummer Prog Festival auch in diesem Jahr die Treue zu halten.
The Intersphere
Die aufstrebenden The Intersphere aus dem kurpfälzischen Mannheim sind es dann auch, die pünktlich um 12:30 Uhr das Festival eröffnen und voller Spielfreude vor allem die Songs ihres starken neuen Albums “The Grand Illusion” zum Besten geben. Ein Album, dass in den Jahresabschlusslisten 2018 größtenteils zu Unrecht ignoriert wurde, da es erst Ende November veröffentlicht worden ist. Mit ihrer Mischung aus Indie-Sounds, Alternative Rock und progressiven Tönen, können sie, trotz anfänglicher Soundprobleme, das zu dieser Uhrzeit gut halb gefüllte Freilufttheater vollauf überzeugen. Verglichen mit Lesoir und Caligula’s Horse, der für mich stärkste Opener der Midsummer Prog-Historie. Den sympathischen Eindruck, den die Band auf der Bühne hinterlässt, bekräftigt sie auch im Anschluss an ihren Auftritt, als sie Fans und Besuchern für kleine Plaudereien, Fotos und Autogramme zur Verfügung steht.
Jolly
Stilistisch ähnlich, da auch im Alternative Prog beheimatet, fügt sich die nun folgende Gruppe perfekt in die zuvor aufgebaute Stimmung ein. Jolly, um die es in den letzten Jahren eher ruhig geworden war, sind extra für das Midsummer Prog Festival über den großen Teich geflogen; die anschließende Mini-Europa-Tour wurde erst im Anschluss gebucht. Der heutige Tag stellt ein besonderes Ereignis in der Bandgeschichte dar, da es das Veröffentlichungsdatum ihres neuen Albums “Family” markiert. Trotz dieses Ereignisses fokussieren sich die Amerikaner mit ihrer Songauswahl auf ihre drei älteren Platten, wobei der Fokus eindeutig auf “The Audioguide to Happieness (Part 1)” liegt. Augenfällig ist, dass Sänger und Gitarrist Anadale auffallend unauffällig bleibt. Versteckt hinter seiner dunklen Sonnenbrille nimmt er auf der Bühne eine Rolle ein, die sehr gut die Abmischung des neuen Albums widerspiegelt: seine Stimme begleitet die Musik der Band und ist nicht dominierend. Die Rolle des Frontmannes nimmt an seiner statt Bassist Anthony Rondinone ein, der von Anfang an den Kontakt zum Publikum sucht. Auch Schlagzeuger Louis Abramson kommt weniger später hinter seinem Drumset hervor, um mit den Zuschauern zu kommunizieren und diesen den mitgebrachten Nachwuchs der Band zu präsentieren. Alles in allem scheinen Jolly einfach nur froh zu sein, endlich wieder auf der Bühne stehen zu können. man merkt den Musikern förmlich an, dass die zurückliegende Pause deutlich zu lang war. Ein zufriedenstellender Auftritt, der ein begeistertes Publikum zurücklässt, welches sich vereinzelt zu ersten Standing Ovations hinreißen lässt.
Focus
Focus sind im Anschluss die ersten der alten Haudegen, die die Bühne des Openluchttheaters erklimmen dürfen. Die Band um Sänger, Flötist und Keyboarder Thijs van Leer, welche in diesem Jahr ihr 50. Jubiläum feiert (!!!) ist noch immer nicht altersmüde geworden. Ganz im Gegenteil. Vor allem van Leer und Schlagzeuger Pierre van der Linden trumpfen mit einer Spielfreude auf, die selbst den Desinieressiertesten im Auditorium zum Aufhorchen bringt. Spätestens beim Spielen ihres Klassikers ‘Hocus Pocus’ hält es keinen mehr auf den Beinen und was als stimmungsvolle Sommerfestival-Untermalung begann entwickelt sich zu einem ersten Highlight des Tages. Einziger Wermutstropfen des Auftrittes ist das technische Problem zum Schluss der Darbietung, welches zu einem etwas unharmonischen Ende führt.
The Flower Kings Revisited
Wahrscheinlich sind es genau diese technischen Probleme, die im Anschluss zu Verzögerungen im Festivalablauf führen. So kommen die um Drummer Mirkko DeMaio und Keyboarder Zach Kamins verstärkten drei originalen Blumenkönige Roine Stolt, Hasse Fröberg und Jonas Reinhold erst mit einer guten Viertelstunde Verspätung auf die Bühne.
Der Einstieg der Band gelingt eher schlecht als recht. Roine Stolt hat Probleme mit der Technik auf der Bühne und artikuliert seine Unzufriedenheit auch unmissverständlich und für jedermann hörbar. Dazu kommt Leadsänger Hasse Fröberg, der nicht nur immer wieder die Töne nicht trifft, sondern auch in der Abmischung zu weit im Hintergrund bleibt. Abgesehen davon spielen The Flower Kings einen soliden Set, der einige Fans in Erinnerungen schwelgen lässt. Objektiv betrachtet kann die Band das Publikum allerdings kaum mitreißen, da außer Bassist Jonas Reinhold alle Mitglieder äußerst zurückhaltend agieren. Spieltechnisch gut, schön für Nostalgiker, aber im Verlaufe der Stimmungskurve ein deutlicher “Einknicker”.
Pure Reason Revolution
Dem nun folgenden Auftritt war von vielen Besuchern wahrscheinlich am meisten entgegengefiebert worden. Schließlich handelt es sich um das erste Live-Konzert von Pure Reason Revolution seit dem 30. November 2011. Vor allem die Ankündigung, dass die Band den ersten Teil ihres kultstatus-tragenden Debuts “The Dark Third” spielen würde, hatte Fans aus aller Herren Länder nach Valkenburg gelockt. Die Verzögerungen im Ablauf des Programmes setzen sich fort, so dass die Briten erst mit deutlicher Verspätung die Bahne betreten. Die Darbietung, die mit kleineren Tonproblemen und leichteren textlichen Schwierigkeiten seitens Sängerin Chloë Alper beginnt (wen wundert es nach so vielen Jahren Auszeit), gewinnt im Laufe der Zeit immer mehr an Professionalität und reißt schon nach kürzester Zeit auch den letzten im Publik von seiner Sitzbank. Die progressiven Klänge von “The Dark Third” lassen Prog-Enthusiasten in floydesken Sphären schweben. Auch nach so langer Auszeit präsentieren sich die Mannen um die Bandleader Jon Courtney und Chloë Alper als starke Einheit, von der man erst jetzt ganz genau weiß, wie sehr man sie in den letzten Jahren vermisst hat. Zur Überraschung vieler spielen PRR nicht nur die erste Hälfte, sondern letztendlich die komplette Version ihres grandiosen Erstwerks. Erst in den Zugaben tauchen Lieder der beiden Nachfolger “Amor Vincit Omnia” und “Hammer and Anvil” auf. Während diese Scheiben bei Veröffentlichung viele Progheads aufgrund ihres stilistischen Wechsels in Richtung Ambient und Elektro noch vor den Kopf stießen, zeigen ihre Songs im Halbrund von Valkenburg eine gänzlich andere Wirkung. Spätestens beim von Industrial-Klängen geprägten ‘Fight Fire’ fühlt man sich weniger auf einem Progfestival, als vielmehr bei einem Auftritt von The Prodigy oder Nine Inch Nails. Kaum zu glauben, dass Proggies auch tanzen und headbangen können. Beurteilt man den Auftritt anhand der Publikumsreaktionen, so ist es wohl die meist gefeierte Leistung der dreijährigen Midsummer Prog Historie. Ein Auftritt, der hoffen lässt: so kündigen PRR nicht nur die Arbeit an einem neuen Album an, sondern auch die Rückkehr zu progressiveren Tönen.
Im Anschluss an diese Party ist wahrscheinlich allen Besuchern klar, dass es IQ als Headliner verdammt schwer haben würden. Und so kommt es dann auch. Musikalisch zwar überzeugend bleiben IQ vor allem soundtechnisch im 20. Jahrhundert stecken. Der drucklose Klang gepaart mit einer bieder-zurückhaltenden Bühnenperformance kann das Feuer, das PRR entfacht haben, nicht aufrechterhalten. Die ausgewogene Reise durch 38 Jahre Bandgeschichte ähnelt daher eher einem Trab- als einem Galopprennen. Auch verglichen mit eigenen Auftritten, z. B. während der “Subterranea”-Tour vor gut 20 Jahren, wirken die Herren um Gitarrist Mike Holmes und Sänger Peter Nicholls arg in die Jahre gekommen. Alles in allem zwar ein schönes Konzert, aber wahrscheinlich keines, welches in Erinnerung bleiben wird.
Und so kann ich zu Ende des Festivals nur sagen: das Midsummer Prog Festival ist im Jahre 2019 an einem Punkt angekommen, an dem sich die Organisatoren werden fragen müssen, in welcher Richtung sie sich mit ihrem Festival bewegen wollen. Geben sie ihre Position als Festival moderner progressiver Töne weiter zu Gunsten von Retroklängen auf, oder bleiben sie am Puls der Zeit und konzentrieren sich wieder mehr auf zeitgenössische Bands. Auch wenn man das Line-up anderer Festivals nicht kopieren will, so bietet die heutige Szene doch eine so große Vielzahl von Möglichkeiten, dass man ein Festival modern-progressiv gestalten kann, ohne dabei zum Abziehbild von Parallelveranstaltungen werden zu müssen.
Ich bin gespannt, wohin die Reise gehen wird.
Vielen Dank für die Live-Fotos an: Gerianne Brenters!
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Review von Betreutes Proggen zum Midsummer Prog Festival 2018
Review von Betreutes Proggen zum Midsummer Prog Festival 2017
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