Jan Felix May über Gustav Mahler, 13/8 Takte und ein Leben (fast) ohne Musik
Das Interview fand an einem klamm-kalten Abend in Frankfurt statt. Jan Felix May und Band waren zu Gast bei Familie Montez im Frankfurter Ostend. Eine wunderbare Location: roh, viel Beton und Kunst. Auf Teppichen wandelt man von Couch zu Couch und ist schon fast geneigt, sich über die eigentlich wunderhübschen Stehlampen aufzuregen, weil sie die Sicht versperren. Alles in allem also ein wunderbarer Ort, sich mit Jan über Musik, Beats und Gustav Mahler zu unterhalten.
Deine Musik ist vielschichtig. Es scheinen viele Einflüsse zur Geltung zu kommen. Welche Musik hörst du denn so bzw. welche Musik hat Einfluß auf dich und deine Kompositionen? Hörst du überhaupt noch Musik von anderen?
JFM: (Lacht) Ja, auf jeden Fall. Ich habe in meinem Leben bisher wohl mehr Klassik gehört, als Jazz. Ich höre Klassik, sehr viel Jazz, Electro, Stevie Wonder ist halt ein toller Songschreiber gewesen, ganz unabhängig vom Genre. Ich bin eigentlich gar nicht so ein Funk-Typ, obwohl ich mal ne Funk-Band hatte, damals in der Schule.
(wirkt nachdenklich) Vor allem aber Klassik. Gustav Mahler. Ein toller Komponist.
Also eher die traurige Abteilung?
Auch ja. Ja, die zerrissene Abteilung. Ich habe mich da einfach von vielen Seiten inspirieren lassen. Ich finde es auch interessant, viele (verschiedene) Sachen zu hören.
Und in Bezug auf das Album “Red Messiah“?
Für mich sind das Progressive die ungeraden Taktarten. Das ist das, was es für mich so progressiv macht. Auf dem Album sind gerade mal zwei Songs (von zwölf), die im 4/4 sind. Ansonsten ist das alles krumm.
Ups, ist mir gar nicht so aufgefallen.
Das ist genau der Punkt. Für mich es total interessant, was zu finden, was ungerade ist und sich trotzdem natürlich anhört.Das ist das Ding. Das interessiert mich am meisten. Das muss organisch klingen und gleichzeitig natürlich. Und etwas anders.
Lass uns das doch mal bei “May Love” genauer betrachten. Auf everythingisnoise.net wurde der Song als 6/8 – 7/8 Wechsel bezeichnet. Für mich ist es aber eher ein 13/8, weil das besser zu dem passt, was dazu gespielt wird (Gesang, Akkorde).
Angefangen hat es mit einer Bassline. Zu der könnte man 13 sagen. Ich bzw. die Band denkt darüber nicht mehr nach. Wenn man darüber nachdenken muss, ist es vorbei. Das kommt organisch. Das spielt man so oft, bis man es drin hat. Den Takt. Deshalb würde ich dem Artikel auch Recht geben, weil so würde ich es auch unterteilen. Aufgeschrieben ist es auch so. Aber was meinst du mit “dazu passt was gespielt wird”?
Ich nehme den Song eher über den Gesang und die Akkorde wahr und da ergibt sich nicht die 6/8-7/8 Trennung.
Gute Rückmeldung. Zwar ist es so aufgeschrieben, aber nicht von der Wirkung her.
Was gibt es so an aktuellen Einflüssen aus der Musik für dich?
Das ist schon eher schwierig zu beantworten.
Wie sind denn die Songs entstanden?
Alle Songs incl. Gesang sind von mir geschrieben. Ich mache dazu eine Vorproduktion zu Hause. Das endet dann meist damit, dass ich so ca. 200 Spuren pro Song habe, die ich dann versuche, auf die Band zu verteilen. So versuche ich, das Wichtigste herauszukristallisieren. Der Drummer verwendet noch Samples, ich habe noch ein Keyboard am Klavier stehen. Insgesamt sind wir zu fünft (Gesang, Gitarre, Bass, Drums & Klavier)
Kommt dann von den Musikern noch etwas zu den Songs?
Kompositorisch nicht. Aber das sind natürlich alles gute Musiker, die ihre persönliche Note hineinbringen. Die Band ist ja auch zusammengewachsen über die Jahre. Und die Art wie sie spielen ist auch besonders wertvoll für das Ganze.
Mal zu den Songs und deren Bedeutung. ‘The Day I Die’. Das hätte von einer Black Metal-Band nicht böser kommen können. Was steckt dahinter?
Eine Stimmung. Eine ganz merkwürdige, schlimme Stimmung, die ich, weil ich Musiker bin, am ehesten mit Musik ausdrücken kann. Ich habe das Teil geschrieben und war wie in Trance, weil ich das Stück immer wieder gespielt habe. Und es hatte etwas Abgeklärtes. Schwer zu beschreiben.
Was ganz Anderes: Wir sind gerade dabei, das zweite Album zu produzieren. Es soll nächstes Jahr erscheinen. Mehr wird aber noch nicht verraten.
In dem TV Interview sprachst du über eine russische Klavierlehrerin. Ich hoffe, sie hat dir die Leidenschaft an der Klassik nicht komplett ausgetrieben?
Ach, nee, alles halb so schlimm. Eher vielleicht sogar witzig gemeint. Damals habe ich tatsächlich auch mal überlegt, ein Jahr zu pausieren. Dann habe ich Oscar Petterson gehört und mir damals überlegt (mit 13!, Anm. d. Autors), dass ich Jazz machen will. Mein Vater als Musiklehrer hat natürlich auch seinen Teil dazu beigetragen. Er hat mir auch Jacques Brel gezeigt. Ein großes Vorbild, wegen seiner Energie. Ich bin auch großer Frankreich-Fan. Wir haben das Album auch in Paris aufgenommen.
Daher auch die Nummer ‘Leaving P.’?
Da ist Paris aber eher ein Symbol. Ein kitschiges Symbol.
Die “krummen Takte”, sagtest Du vorhin, machen für Dich das Progressive aus. Wie entstehen die? Müssen die konstruiert werden?
Wenn da irgendeine neue Idee kommt, spiele ich es einfach, ohne groß darüber nachzudenken, sondern erst im nachhinein. Erst später versuche ich, mir Gedanken darüber zu machen, was es denn jetzt genau ist. Wenn ich es nicht so machen würde, würde es nicht organisch klingen.
‘Hardcore Bling’steht wofür? Im Kontext des Albums ein schon etwas merkwürdiger Titel.
Das ist Lautmalerei. Es hat keinen echten Sinn. Es ist hart. Es ist irgendwie Hardcore. Hat auch eine harte Ästhetik. “Bling” assoziiere ich mit Hip Hop.
Am Ende des Albums taucht der Titel wieder auf, wie eine Reprise, und besteht aus enorm vielen unterschiedlichen Teilen.
Ja, ursprünglich war es ein Song. Wir haben es dann so produziert, dass der erste Teil als Intro herauskam und der zweite als Reprise.
Aber was ich unbedingt mal an dieser Stelle sagen muss: Das Album haben wir zu zweit gemacht. Da hat Julian Carmago, der Schlagzeuger, unheimlich viel mitgeholfen. Wir haben es zu quasi zu zweit gemacht. Die Kompositionen sind von mir, aber produziert haben wir es zu zweit. Aber das nächste Album werde ich alleine produzieren.
Spielst du denn auch Schlagzeug?
Wenn ich die Vorproduktion mache, dann mache ich das Schlagzeug mit Software-Instrumenten. Ich habe die Drum Samples auf dem Keyboard und spiele das Schlagzeug. Das klingt dann aber auch entsprechend (lacht). Später im Studio sind wir dann natürlich alle zusammen und nehmen die Sachen noch mal neu auf.
Ich brauche auch Phasen, wo ich keine Musik höre
Musik ist sicherlich etwas, was dich permanent umgibt, 24h. Aber wenn denn man mal zwei, drei Biorhythmuskurven krumm zueinander laufen, hat man vielleicht auch auf nichts Bock. Wie hältst Du die Waage zwischen Antrieb und Motivation aufrecht?
Interessant… Ich bin der Meinung, dass es bei uns (Musiker) nichts Anderes ist als bei anderen Leuten auch. Ich habe natürlich den Antrieb, dass ich eine Musik machen will, die mich bewegt, die interessant ist, die tief genug ist. Das ist das, was ich machen will. Und will natürlich auch, dass es klappt. Und das ist auch das Ziel. Aber es gibt natürlich auch Phasen, wo man sich überlegt: “will ich das auch wirklich machen?” Und wo es denn auch vielleicht mal nicht klappt. Wo man Zweifel hat. Es kommt immer wieder mal und ist ganz normal. Deshalb brauche ich auch Phasen, wo ich keine Musik höre.
Während ich produziere, da ist es so, wie Du sagst: Dann sind es auch mal 24h. Aber wenn ich dann nichts mache, dann bin auch extrem. Dann mache ich auch wirklich nichts mit Musik. Also gar nichts. Weder hören noch machen.
Das ging früher, in jungen Jahren, wahrscheinlich nicht, oder?
Also ich übe immer noch. Aber ich weiß, was du meinst. Doch, das ging früher auch. Da hatte ich auch Momente, wo ich nichts gemacht habe, und das war auch in Ordnung so.
Das spricht für deine Eltern.
Ja, genau. Auch wenn mein Vater Musiklehrer war. Mir wurde nie mit der Peitsche auf die Finger gehauen, sondern die haben mich immer gut unterstützt.
Und dann ist da ja noch dieser Zappa-Vergleich.
Ja, in der Tat. Ich finde Zappa natürlich super. Aber ich habe den nie so viel gehört.
Welches von den geschätzten 200 Alben meinst du denn? (lach!)
(lach!) Genau. Es ist auch kein direkter Einfluss bei mir. Nie gewesen. Aber er hat mal gesagt: “Über Musik zu reden, ist wie über Architektur zu tanzen”. Ich finde das Zitat super, denn es ist zwar schön, mal darüber zu reden, aber man kommt der Musik nicht nahe, sondern die Musik steht für sich selbst. Musik muss erlebt werden und das kann man mit anderen Teilen.
Abbildungen: Jan Felix May / Delta Music
Mit freundlicher Genehmigung
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Rezension zu “Red Messiah”